Mein Nachbar ist Nazi

Stand: 01.07.2021 07:00 Uhr

Rechtsextreme drängen in kleine Dörfer. Dort ist man oft uneins - wie mit den Rechten umgehen? Das zeigt ein Fall in Groß Krams in Mecklenburg-Vorpommern.

von Hans Jakob Rausch

Rechtsextreme drängen in kleine Dörfer - sie engagieren sich im Gemeinderat, in der Freiwilligen Feuerwehr und inszenieren sich als freundliche Kümmerer. Die Dorfgemeinschaften sind oft uneins, wie sie mit den Rechten umgehen sollen. Das zeigt ein Fall in Groß Krams in Mecklenburg-Vorpommern.

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Die rechtsextreme Einstellung seines Dorfnachbarn? Für Wolfgang Gresens stellt sie kein Problem dar: "Wir reden darüber nicht". So einfach ist das für ihn. Gresens ist vor zwei Jahren aus Lübeck nach Groß Krams in Mecklenburg-Vorpommern gezogen, hat sich einen Hof gekauft und züchtet nun Schafe. So hat er sich immer seine Rente vorgestellt - friedlich und ohne Streitereien. Mit seinem rechtsextremen Nachbarn kommt er gut aus: Man grüßt sich freundlich, leiht einander Werkzeug, trinkt gemeinsam Kaffee. Er gehört eben dazu. Und so wie er denken viele in dem kleinen Dorf.

Das Problem: Der Nachbar, um den es geht, ist nicht irgendwer: Sebastian Richter, bis 2018 ein hoher Funktionär in der NPD. Bundesvorsitzender des Jugendverbandes "Junge Nationalisten" und Mitglied der inzwischen verbotenen HDJ, einer Art neuer Hitlerjugend.

"Nationalistische Siedlungsstrategie" der Rechtsextremen

Ganz anders gibt er sich nun in Groß Krams: Hier sitzt Richter gemeinsam mit einem weiteren Rechtsradikalen in der Gemeindevertretung. Nach seiner Wahl 2019 verteilte er ein selbst gemachtes Infoblättchen im Dorf. Darin inszeniert er sich als bürgerlicher Kümmerer und Helfer. Er fordert eine Tempo-30-Zone im Ort, möchte ein Begrüßungsgeld für Neugeborene und verkündet: "Für ein Dorf mit Herz - gegen Ausgrenzung und Hetze". Von rechtsextremer Gesinnung keine Spur.

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Das sei reine Taktik, sagt Daniel Trepsdorf. Der Politikwissenschaftler aus Ludwigslust berät Gemeinden und Vereine, die sich gegen Nazis engagieren, und beobachtet die rechte Szene in Mecklenburg-Vorpommern seit Jahren. Er ist überzeugt: "Sebastian Richter gibt sich sehr bürgerlich und versucht, Groß Krams durch seine Aktivitäten in eine rechte Ecke zu drängen."

Verfolgen die Rechtsextremen eine Strategie? Tatsache ist: Groß Krams ist kein Einzelfall - überall in Deutschland gehen Rechtsextreme in den ländlichen Raum, kaufen dort Häuser, treten in Vereine ein und engagieren sich ehrenamtlich. Sebastian Richter selbst hat diese Taktik schon 2016 in einem Artikel für die Zeitschrift des NPD-Jugendverbandes dargelegt. Dort spricht er von einer "nationalistischen Siedlungsstrategie" und fordert seine Kameraden dazu auf, nach Mecklenburg-Vorpommern zu ziehen und "politisch in die ländliche Gesellschaft hineinzuwirken". Im Interview mit Panorama steht er dann auch ganz offen zu seiner rechtsextremen Gesinnung: "Das politische System der BRD kann weggefegt werden."

"Leicht" ist nicht immer "richtig"

Julia Wurl © NDR Foto: Screenshot
Wollen das Feld nicht den Rechten überlassen: Julia Wurl und das Bündnis für Demokratie.

Die Groß Kramser sind gespalten, wie sie mit Sebastian Richter umgehen sollen. Einige leisten nun Widerstand: Julia Wurl, eine Rechtsanwältin, hat mit rund 15 Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohnern im vergangenen Sommer ein Bündnis für Demokratie gegründet. Sie wollen das Feld nicht den Rechten überlassen und planen Aktivitäten, um das Dorf zu beleben. Mit einer Theatergruppe, Musikunterricht, oder einem Flohmarkt. Julia Wurl gibt sich kämpferisch: "Ich möchte nicht, dass Nationalisten hier die Oberhand gewinnen und das, was wir in Europa erreicht haben, wieder zurückgeht."

Von Sebastian Richter wird sie dafür in seinem "Groß Kramser Blättchen" angefeindet. Aber Julia Wurl hat sich entschieden: Sie will nicht wegschauen. Es ist ein Stück große Politik im kleinen Dorf - Julia Wurl könnte sich das Leben sicher leichter machen. Aber "leicht" ist eben nicht immer "richtig".

 

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Der Panorama-Beitrag vom 1. Juli 2021 als PDF-Dokument zum Download. Download (154 KB)

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 01.07.2021 | 21:45 Uhr

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