Stand: 05.07.2019 18:00 Uhr

Sea-Watch: Rackete will sich Prozess stellen

von Nadia Kailouli, Jonas Schreijäg

Die Kapitänin der "Sea-Watch 3", Carola Rackete, will sich den Vorwürfen gegen sie und ihre Hilfsorganisation in Italien auch in einem Prozess stellen. Im ersten Fernsehinterview seit ihrer Freilassung erklärte sie gegenüber Panorama: "Für den Fall, den wir nicht erwarten, dass eine Anklage zustande kommt, werde ich mich der selbstverständlich stellen, weil ich dann spätestens beim Gerichtsverfahren mit einem Freispruch rechne."

VIDEO: "Ich denke, dass wir alles richtig gemacht haben" (6 Min)

Hoffnung auf "richtungsweisendes Urteil"

Die Kapitänin hofft auf eine grundsätzliche Klärung durch die italienische Justiz. Entsprechend habe sich auch schon die italienische Richterin in der ersten Anhörung am vergangenen Dienstag, 2. Juli, positioniert. Im Interview mit dem NDR sagte Rackete: "Ich erwarte mir ein richtungsweisendes Urteil, was wir im Prinzip auch schon am Dienstag bekommen haben, was ja auch ganz klar feststellt, dass die Sicherheit der Menschen, die wir gerettet haben, wichtiger ist als der Anspruch der Staaten auf ihre Territorialgewässer und dass damit im Prinzip die sicheren Häfen wieder frei werden."

Die Kapitänin der Seawatch 3, Carola Rackete © NDR Foto: Screenshot
Kapitänin Carola Rackete schildert die Ereignisse rund um die Mission der "sea-Watch 3".

Rackete verteidigte ihre Entscheidung, die 53 Flüchtlinge vor der libyschen Küste an Bord zu nehmen. Zwar habe die libysche Küstenwache den Rettungseinsatz koordiniert, die "Sea-Watch 3" habe sich aber am schnellsten zur Rettung entschlossen. Rackete wörtlich: "Tatsächlich hat die libysche Küstenwache die Koordinierung dieses Notfalls übernommen. Und das war per E-Mail. Und wir haben darauf geantwortet und gefragt, wann die Küstenwache ankommen würde. Und daraufhin haben wir interessanterweise erst eine Antwort erhalten, als wir an dem Notfall schon dran waren. Also ganz klar, in dem Moment, wo man weiß, dass es irgendwo einen Notfall gibt, hat man eine Pflicht, dort zu helfen. Wir sind also darauf hingefahren und waren einfach das erste Schiff, was angekommen ist."

"Libyen hat keine sicheren Häfen"

Auf Nachfrage, warum sie die Flüchtlinge nicht nach Libyen, Tunesien oder Marokko zurückgebracht habe, erklärte Rackete, diese Länder seien zur Aufnahme von Flüchtlingen nicht geeignet. In Tunesien etwa gebe es kein Asylsystem. Am Abend sei ein Funkspruch der libyschen Küstenwache eingegangen mit der Aufforderung, die Flüchtlinge nach Tripolis zurückzubringen. Dazu sagte Rackete: "Das, ganz klar, können wir natürlich nicht annehmen, dazu gibt es viele Gerichtsurteile. Es verstößt gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, und auch die EU-Kommission hat ganz klar gesagt, dass Libyen, das ganze Land Libyen keine sicheren Häfen hat. Es handelt sich ja schließlich auch um ein Bürgerkriegsland."

Stattdessen bemühte sich Rackete um einen sicheren Hafen in anderen Ländern und schickte entsprechende Meldungen nach Malta, Frankreich, Italien und an die Niederlande, unter deren Flagge die "Sea-Watch 3" fährt. Nachdem keines der Länder eine Aufnahme in Aussicht gestellt hatte, habe sie im Interesse der Flüchtlinge auch gegen die Weisung der italienischen Behörden den Hafen von Lampedusa angelaufen. Rackete sagte dazu: "Ich war vor allem unglaublich frustriert, weil wir wirklich zwei Wochen lang versucht haben, diese Situation zu lösen, mit allen legalen und politischen Mitteln und wir einfach dort sitzen gelassen wurden, niemand uns geholfen hatte. Und es blieb uns letztlich keine andere Wahl. Nachdem wir diese Leute erst mühevoll gerettet hatten aus diesem Seenotfall, sie dann sicher waren, hat sich die Lage wieder so verändert, dass die Leute praktisch ein zweites Mal letztlich in Lebensgefahr waren. Und das wäre überhaupt niemals nötig gewesen, wenn die Behörden vorher auf unsere Anfragen reagiert hätten."

Morddrohungen gegen Rackete

Panorama-Reporterin Nadia Kailouli (l.) im Gespräch mit der Kapitänin der Seawatch 3, Carola Rackete © NDR Foto: Screenshot
Carola Rackete erzählt Panorama-Reporterin Nadia Kailouli (l.) von den persönlichen Anfeindungen.

Zum Vorwurf, sie habe beim unerlaubten Einfahren in den Hafen von Lampedusa auch die Gesundheit von Beamten auf einem italienischen Patrouillenboot gefährdet, sagte Rackete im Interview: "Die Situation war ein Unfall. Das ergibt sich auch ganz klar aus den Videoaufnahmen. Es gab natürlich zu keinem Zeitpunkt irgendeine Absicht zu dieser Kollision, die hat sich aus der Situation ergeben und aus dem Fall, dass dieses Boot der Guardia di Finanza sich uns aktiv in den Weg gestellt hat, uns aktiv praktisch in den Weg gefahren ist, als wir an dieser Pier anlegen wollten."

Carola Rackete betonte: "Ich denke, dass wir auf dieser Mission alles richtig gemacht haben. Am Ende ist es das Richtige, dass wir diese insgesamt 53 Personen gerettet und in einen sicheren Hafen gebracht haben."

Rackete gab das Interview an einem Ort in Italien; der Ort wird vertraulich behandelt. Sie werde derzeit regelmäßig bedroht, erklärte Rackete gegenüber Panorama, es gebe auch Morddrohungen. Rackete will nach Klärung der Vorwürfe auch an neuen Rettungsmissionen ihrer Organisation teilnehmen.

 

Weitere Informationen
Seenotretter © NDR Foto: Screenshot

Ermittlungen gegen private Seenotretter

Einst retteten sie als Freiwillige auf der "Iuventa" Flüchtlinge im Mittelmeer, dann wurde das Schiff stillgelegt. Seitdem laufen Ermittlungen gegen die Seenothelfer. mehr

Mann mit Deutschland-Hut © NDR Foto: Screenshot

"Absaufen?" - Zu Besuch bei Pegida

Bei einer Pegida-Demonstration im Juni skandierte eine aufgebrachte Menge, dass Mittelmeer-Flüchtlinge "absaufen" sollen. Wer fordert so etwas? Und warum? Wir haben in Dresden nachgefragt. mehr

Freiwillige Seenotretter in der Ägäis (Symbolbild). © NDR

Angeblicher Todeskapitän und Schlepper kommt frei

Ein Berufungsgericht auf Rhodos hat ein früheres Urteil gegen einen Syrer korrigiert. Der Mann war ursprünglich zu 145 Jahren Haft verurteilt worden, kommt nun aber bald auf freien Fuß. mehr

Der Flüchtling Sabur Azizi steht an einer Kaimauer. Seine Frau und seinen Sohn sind ertrunken. © ARD/NDR

Ertrunkene Flüchtlinge: Protokoll einer vermeidbaren Katastrophe

Regelmäßig erfahren wir, dass Flüchtlinge bei dem Versuch nach Europa zu gelangen ertrinken. Nun erheben Überlebende eines solchen Unglücks schwere Vorwürfe gegen die griechische Küstenwache. mehr

Ingo Werth © NDR Foto: Screenshot
4 Min

"Erst waren wir die Guten, heute die Feinde der Gesellschaft"

Ingo Werth rettet seit drei Jahren Menschen im Mittelmeer vor dem Ertrinken. Erst wurden Seenotretter wie er gelobt, mittlerweile angefeindet. Für ihn kein Grund aufzuhören. 4 Min

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 11.07.2019 | 21:45 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Migration

Panorama 60 Jahre: Ein Mann steht hinter einer Kamera, dazu der Schriftzug "Panorama" © NDR/ARD Foto: Screenshot

Das Panorama-Archiv

Alle Panorama-Beiträge seit 1961: Stöbern im Archiv nach Jahreszahlen oder mit der Suchfunktion. mehr

Kalender © Fotolia.com Foto: Barmaliejus

Panorama-Geschichte

Als erstes politisches Fernsehmagazin ging Panorama am 4. Juni 1961 auf Sendung. Die Geschichte von Panorama ist auch eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. mehr