Eine Frau fährt mit einem Fahrrad auf der Straße © Picture Alliance | Photoshot Foto: Picture Alliance / Photoshot

Gender Planning - eine gerechte Stadt für alle

Stand: 10.06.2021 00:00 Uhr

Durch geschlechtssensible Stadtplanung sollen unsere Städte so gestaltet werden, dass alle Menschen davon profitieren - die Mobilitätswende ist ein entscheidender Teil davon.

von Charlotte Horn, Michael Latz, Sharon Welzel

Unsere Städte sind nicht für alle Menschen gleich zugänglich, erfahrbar und sicher. Das wird zum Beispiel daran deutlich, dass viele Kommunen und Verkehrsbetriebe immer noch mit viel Aufwand dabei sind, ihre Gebäude oder Bahnhöfe barrierefrei zu gestalten. Oder daran, dass sich Frauen in ihren Städte oft nicht sicher fühlen. Das Konzept des Gender Plannings verfolgt dagegen die Idee, eine Stadt zu schaffen, die auf die Bedürfnisse und Probleme aller Bewohnerinnen und Bewohner eingeht. Also: Wie könnte sie aussehen, die Stadt der Zukunft?

Mehr als verkehrsberuhigte Zonen

Mit dem Stichwort Mobilitätswende, wird diese Frage schnell politisch. Autos, die im Stau stehen, oder Dauerparken sind Stadtplanerinnen und Stadtplanern ein Dorn im Auge. Die spanische Metropole Barcelona hat sich der Sache angenommen und vor ein paar Jahren die Umgebung ganzer Häuserblocks zu verkehrsberuhigten Zonen zusammengefasst. Mit Erfolg. Inzwischen inspirieren diese sogenannten "Superblocks" Menschen weltweit. In Berlin, München und auch in Hamburg Eimsbüttel. Dort hat eine Initiative das Konzept "Superbüttel" entwickelt.

Eine Frau geht mit einem Kinderwagen auf einem schmalen Gehweg. © Ostap Senyuk via unsplash Foto: Ostap Senyuk via unsplash
AUDIO: Gender Planning - eine gerechte Stadt für alle (42 Min)

"Superblocks" für "Superbüttel"

Ein Superblock in Barcelona - eine verkehrsberuhigte Zone. © Stadtmarketing Barcelona
Vorbild für Superbüttel waren die Superblocks in Barcelona. Dort sollen insgesamt 503 dieser Zonen entstehen.

Andreas Tintemann von der privaten Initiative "Kurs Fahrradstadt" ist einer der Initiatoren. Beim Spaziergang durchs Viertel geht es entlang der für Eimsbüttel typischen Altbau-Häuser. Neben dem schmalen Gehweg reihen sich Fahrräder. Daneben eng nebeneinander geparkte Autos, teilweise auch in der zweiten Reihe. Zwei Kinderwagen nebeneinander würden hier nur schwer durchkommen: "Auch eine Grundschule hier vertritt das Interesse, dass weniger Autos direkt vor den Schultoren stehen", erklärt er. Trotz des absoluten Halteverbot-Schilds parken gerade zwei Autos direkt vor dem Schulgebäude – dem Zentrum der geplanten autoarmen Zone. Andreas Tintemann erklärt: "Ein Superblock oder ein Superbüttel besteht aus mindestens drei zusammenhängenden Blöcken und Straßen." In Hamburg würde das konkret heißen, dass im Bereich zwischen acht Häuserblocks weniger Autos fahren und parken würden.

Jede Straße bleibt weiterhin erreichbar

Eine Simulation zeigt eine verkehrsberuhigte Zone in Hamburg Eimsbüttel © Kurs Fahrradstadt
Eine Simulation zeigt, wie die Rellinger Straße durch bauliche Veränderungen aussehen könnte.

Für die Nachbarschaft würde das weniger Abgase und Lärm bedeuten und mehr Platz für Radwege, Sitzbänke und Spielplätze – und mehr Miteinander wie Andreas Tintemann sagt: "Es ist ein lebenswerter Raum. Man kann hier eine Bank hinstellen. Es kann begrünt sein. Kinder könnten raus zum Spielen. Das haben sie in früheren Generationen auch gemacht. EIn Parkplatz sind meistens 12 qm. Diese Fläche wollen wir nicht an ein stehendes Auto verschenken." In dem dicht besiedelten Eimsbüttel reiche der Platz sowieso nicht, wenn jeder und jede ein Auto habe. Carsharing-Angebote seien eine Alternative und Quartiersgaragen für diejenigen, die nicht aufs eigene Auto verzichten wollen. Die Initiative spricht bewusst von einer autoarmen Zone, nicht von einer autofreien Zone. Lauter, schneller Durchgangsverkehr soll zwar vermieden werden. Wer aber ein Anliegen hat, darf auch weiter in die Gegend fahren, allerdings nur in Schritt-Tempo 10 – wie Taxis, Pflegedienste und Kurzparker, betont Andreas Tintemann. Jede Straße bleibe durchfahrbar und jeder Hauseingang erreichbar für Müllabfuhr, Feuerwehr, Lieferdienste und für den einzelnen privaten PKW, etwa bei einem Umzug. Eine Umwandlung der Straßenführung mit Blumenkübeln oder Pollern koste nicht viel.

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Michael Latz, Charlotte Horn, Sharon Welzel, Birgit Langhammer © NDR/ Foto: Christian Spielmann

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Unterschiedliches Mobilitätsverhalten bei Frauen und Männern

Die Seestadt Aspern in Wien. © Stadt Wien
In der Seestadt Aspern in Wien gibt es besonders viele Grünflächen und öffentlichen Raum ohne motorisierten Verkehr.

Wenn man miteinbezieht, wer mit dem Auto fährt und wer vor allem zum Fahrrad greift, oder zu Fuß geht, dann bekommt die Mobilität noch eine andere Dimension: Sie wird zum Geschlechterproblem – zu einer Gerechtigkeitsfrage zwischen Männern und Frauen. Frauen haben seltener ein Auto zur Verfügung und ihre jährlich zurückgelegten Fahrkilometer sind geringer. Für sie ist das Auto auch seltener das wichtigste Verkehrsmittel. Das hängt mit den sogenannten Wegeketten zusammen. Die zurückgelegten Wege bei Frauen sind vielfältiger und kleinteiliger als bei Männern, erklärt Verkehrsplanerin Juliane Krause: "Da geht es schon mal nachdem das Kind zur Kita gebracht wurde, kurz zum Einkaufen und danach zur Großmutter. Bei einem Großteil der Männer ist der Weg immer noch hauptsächlich von zu Hause ins Büro und wieder zurück." Dies war bei der Stadtplanung lange Zeit der Maßstab und das soll sich durch Gender Planning ändern.

Städte sollen menschenfreundlicher werden

Die Gürtelfrische West: Ein temporärer Pool mitten Wien. © Stadt Wien
Auch das ist Teil der Wiener Politik: Im Sommer 2020 wurden kurzerhand sieben Fahrspuren auf einer Kreuzung gesperrt um dort einen temporären Pool zu errichten.

Teil der Lösung müsse also auch ein Aufbrechen dieser traditionellen Geschlechterrollen sein, um eine fairere Arbeitsteilung zu erreichen, erklärt Wiener Städteplanerin Eva Kail. Je mehr Männer gleichberechtigt Versorgungsleistungen übernähmen, desto mehr steige auch das Bewusstsein für die damit einhergehenden Mobilitäts-Bedürfnisse, so Kail. Sie hat dafür gesorgt, dass die Stadt Wien in Sachen Stadtplanung als Vorreiter gilt. Urbane Räume wurden dort gezielt so gestaltet, dass Care Arbeit leichter statt finden kann, dass ältere Menschen schnell eine Bank finden, um sich auszuruhen, oder dass Anwohner*innen genug Räume zum Austausch und für Zusammenkünfte finden.

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Viel Zustimmung für neue Mobilitätskonzepte

Im Prinzip folgt also die Idee "Superbüttel" genau diesem Ansatz - und trifft damit offenbar einen Nerv: In einer Onlineumfrage der Initiative "Kurs Fahrradstadt" haben mehr als 600 Menschen aus Eimsbüttel teilgenommen. Mehr als die Hälfte gaben an, kein Auto zu besitzen. Insgesamt begrüßten mehr als zwei Drittel der Befragten die Superbüttel-Idee. Die Hamburger Behörde für Verkehr und Mobilitätswende hat mit "Ottensen macht Platz" aber schon ein ähnliches Projekt in Altona getestet. Das Projekt war aber zeitlich befristet, wurde wissenschaftlich begleitet und von einer großen Mehrheit im Quartier positiv gesehen. Anwohnerinnen und Anwohner äußerten etwa den Wunsch, dem Fuß- und Radverkehr mehr Freiraum zu geben. Nun soll das Projekt dauerhaft umgesetzt werden. Für die Verkehrsbehörde ist es eine Blaupause für weitere autoarme Stadtteile und Quartiere in Hamburg. Auf einen positiven Effekt für Superbüttel hofft auch Andreas Tintemann. Er fordert dafür aktive Unterstützung von der Politik: "Unser Bürgermeister Peter Tschentscher hat ja das Ziel erklärt, die Stadt Hamburg zur Modellstadt für den Klimaschutz zu machen. Und an diesen großen Worten machen wir ihn fest."

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Perspektiven - auf der Suche nach Lösungen | 10.06.2021 | 00:00 Uhr

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