Jan fragt seine Großtante

Hast du selbst noch eigene Erinnerungen an den Krieg?

Ich wurde im August 1939 geboren. Ich war die Älteste und hatte 6 Geschwister. Wir wohnten in einem kleinen Dorf und meine Eltern bewirtschafteten einen eigenen Bauernhof. Außerdem hatten wir einige Schweine, 2 Pferde für die Arbeit auf den Feldern, Hühner und einen großen Gemüsegarten.

Eigene Erinnerungen an den Krieg habe ich kaum. Ich weiß noch, dass der Bürgermeister angeordnet hatte, dass jede Familie einen Schutzraum oder -keller mit Betten und anderen Dingen ausstatten sollte. Wenn dann die Sirenen gingen und Fliegeralarm war, sollte man dort Schutz suchen. Du musst wissen, dass unser Haus dicht an der Eisenbahnlinie nach Berlin lag und im Nachbarort gab es eine große Fabrik, die für die Versorgung der Kriegsmaschinen wichtig war. Deshalb kamen oft englische/britische Flieger, die dort Bomben abwarfen und durch die Nähe eben auch bei uns. Meine Mutter mochte nicht gern mit uns in diesen Keller gehen und hielt sich auch nicht immer daran. Einmal hat sie im Garten Wäsche aufgehängt und wurde durch einen Bombensplitter am Arm verletzt. Da war sie dann doch erschrocken und danach vorsichtiger. Weiter weiß ich noch, dass (zu den jungen Mädchen, die im Haushalt halfen und den Knechten für die Feldarbeit) zwei sehr junge Männer aus Belgien, sogenannte Zwangsarbeiter zu uns auf den Hof kamen, als mein Vater eingezogen wurde. Auch auf den anderen Höfen im Dorf war das so. Einer hatte schlimmes Heimweh und obwohl das nicht erlaubt war, hat meine Mutter ihn mit seinem Freund auf Urlaub nach Hause geschickt und sie kamen wieder. Da die deutschen Soldaten ihre Heimat besetzt hatten, war es zuhause auch nicht besser als bei uns. Der Kontakt ist noch viele Jahre nach dem Krieg geblieben.

Was fällt dir als erstes ein, wenn du das Wort "Krieg" hörst?

Beim Wort Krieg denke ich an Leid und Angst, an Tod und Chaos und Zerstörung.

Weißt du, wie deine Eltern den Krieg überstanden haben?

Ja, sie haben ihn körperlich unbeschadet überstanden. Mein Vater wurde erst zwei Jahre vor Kriegsende eingezogen und kam direkt an die Ostfront nach Russland. Ihm ist soweit nichts passiert. Was er tatsächlich in der Zeit gesehen und erlebt hat, darüber hat er nie weiter gesprochen. Nach Kriegsende im Mai 1945 kam er auch bald wieder nach Hause. Meine Mutter hatte durch meine Großeltern und die vielen Leute auf dem Hof viel Hilfe bei der ganzen Arbeit. Außerdem lebten ihre Familie und Verwandte ebenfalls in dem Dorf, sodass sie mit ihren Sorgen nie allein war. Man passte aufeinander auf und half sich untereinander.

Gibt es Ereignisse in deiner Familie, die mit dem Krieg zusammenhängen?

In meiner eigenen Familie fällt mir da nichts ein. Ein älterer Bruder meiner Mutter ist im ersten Weltkrieg in Belgien ums Leben gekommen. Er liegt dort mit vielen anderen deutschen Soldaten auf einem großen Friedhof, den im Laufe der Jahre fast alle aus meiner Familie einmal besucht haben.

Wie ging es nach dem Krieg weiter?

Nach dem Krieg (und wohl auch schon davor) kamen viele Familien mit ihrem ganzen Besitz auf Pferdefuhrwerken aus dem Osten des deutschen Reiches. So hieß Deutschland damals. Und weil ja gerade Bauernhäuser groß sind, wurden überall, also auch bei uns, ganz viele Leute einquartiert. Die blieben ganz unterschiedlich lange. Wir spielten mit den Kindern und waren es sowieso gewohnt, mit den eigenen, kleineren Geschwistern in einem Zimmer zu schlafen. Meine Mutter war eine großherzige Frau und so waren wir immer viele Leute am Mittagstisch. Die Leute hatten ja nichts, sie halfen, wo sie helfen konnten und waren dankbar, dass sie eine Bleibe hatten. Eine Frau hieß Fräulein Kracht. Bei ihr hatten ich und später auch meine Geschwister Klavierunterricht. Ganz wichtig war nach dem Krieg, dass mit der Währungsreform das Geld endlich wieder einen Wert hatte und alle Leute nach und nach die Möglichkeit hatten, sich wichtige Dinge zu kaufen.

Hat jemand aus der Familie gehungert?

Nein, gehungert hat bei uns niemand. Wir hatten ja das Glück, dass wir unsere eigenen Kartoffel und Getreide auf den Feldern angebaut haben. Durch die Hühner und Schweine hatten wir Eier, Wurst und Fleisch und der Garten hat uns mit Gemüse versorgt.

Kann man deiner Meinung nach etwas tun, um Krieg zu verhindern?

Ja, das denke ich schon. Es muss jedem klar sein, dass Gewalt kein Mittel ist, mit dem man etwas erreichen kann. Streiten und unterschiedlicher Meinung sein, das ist o.k., aber dann muss man eine Lösung suchen und finden und sich versöhnen. Wenn man mal ungerecht oder so war, sollte es selbstverständlich sein sich zu entschuldigen und andersherum dem anderen auch zu verzeihen. Das muss man Kindern schon von klein auf vermitteln und auch vorleben. Und jeder Mensch ist gleich viel wert, egal in welchem Land er lebt. Ich finde da den christlichen Glauben und das Gebot der Nächstenliebe hilfreich. Außerdem finde ich es gut, wenn gerade junge Menschen Gelegenheit haben über die Schule, den Sport oder Hobbys andere junge Menschen aus anderen Ländern kennenzulernen. Dadurch wächst das Verständnis füreinander. Grundsätzlich möchte doch jeder Mensch friedlich in seinem Land mit seiner Familie und Freunden aufwachsen und ein gutes Leben führen.

Orchester und Vokalensemble