Umfrage: Ohne Wohlstand kaum Zufriedenheit mit Demokratie
Die deutsche Demokratie funktioniert gut, sagt die knappe Mehrheit in einer #NDRfragt-Umfrage. Ist die eigene wirtschaftliche Lage schlecht, überwiegt die Unzufriedenheit. Die Befragten fordern mehr Mitsprache und weniger Lobbyismus.
Ob Inflation, Migrationsdebatte, Klimawandel oder der Umgang mit internationalen Krisen - die Politik in Deutschland steht vor einigen Herausforderungen. Was sagt die #NDRfragt-Community: Ist unsere Demokratie dafür derzeit ausreichend gewappnet?
Ja, sagt über die Hälfte der Befragten in Norddeutschland. Allerdings ist die Mehrheit nur knapp. Nur etwas weniger als die Hälfte ist hingegen nicht zufrieden mit der Art und Weise, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert. Und je nach Bundesland und Selbsteinschätzung der eigenen wirtschaftlichen Lage dominiert die Unzufriedenheit deutlich. Dennoch: Obwohl viele die Demokratie kritisieren, hat knapp die Hälfte der Befragten das Gefühl, dass sie selbst in ihrer Stadt oder Gemeinde politisch etwas verändern könnte. Und es gibt auch Vorschläge, wie sich die Demokratie verbessern ließe. Beim Blick auf die Regierungen kommen die Länder positiver weg als der Bund.
Alle Ergebnisse dieser nicht repräsentativen, aber gewichteten Umfrage gibt es als PDF zum Herunterladen.
Mehr als vier von zehn sind unzufrieden
Die knappe Mehrheit, die mit der Demokratie zufrieden ist, macht 54 Prozent aller Befragten aus. Damit ergibt die #NDRfragt-Umfrage einen ähnlichen Wert wie eine im August 2022 deutschlandweit durchgeführte repräsentative Umfrage von Infratest dimap im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, in der genau dieselbe Frage zur Demokratie gestellt worden war. Dort äußerten sich nur knapp 49 Prozent zufrieden.
Viele Befragte schreiben, dass sie sich um die Demokratie sorgen, unter anderem über das Erstarken rechter Parteien. Die große Mehrheit von gut 70 Prozent hat zudem den Eindruck, dass die führenden Politiker in ihrer eigenen Welt leben würden und für die Meinungen der Bevölkerung wenig zugänglich seien. Auch #NDRfragt-Mitglied Bernd aus Schleswig-Holstein kritisiert das:
"Die Parteien verfolgen mehr und mehr eine ideologiegetriebene Politik, die in kleinen, elitären Kreisen beschlossen wird, immer häufiger gegen den Rat von Experten und Betroffenen. Kompromisse werden nicht im Sinne von Mehrheitsverteilungen geschlossen, sondern nur im Rahmen der ideologisch akzeptierten Lösungen." #NDRfragt-Mitglied Bernd (61) aus Schleswig-Holstein
Unzufriedenheit im Osten besonders groß
Besonders in Mecklenburg-Vorpommern sehen viele den Zustand der Demokratie kritisch: Während in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg 43 Prozent unzufrieden sind, wie die Demokratie derzeit laufe, sind es in Mecklenburg-Vorpommern sogar 68 Prozent. Viele der Befragten kritisieren dort vor allem die fehlende Mitbestimmung und verhärtete Fronten, wenn sie mit Freunden oder Familie über Politik sprechen. So auch #NDRfragt-Mitglied Benjamin:
"Ich denke, der Konsens untereinander findet nicht mehr statt. Wenn man entgegen der derzeit geläufigen Meinung ist, dann wird man ganz schnell in Schubladen gesteckt, wo man eigentlich nicht sein möchte. Ich habe das Gefühl, dass in gewissen Punkten keine andere Meinung mehr geduldet wird." #NDRfragt-Mitglied Benjamin (33) aus Mecklenburg-Vorpommern
Viele Befragte in Mecklenburg-Vorpommern äußern sich allerdings auch positiv über die Demokratie. Auch #NDRfragt-Mitglied Philipp glaubt nicht, dass es eine bessere Staatsform als die Demokratie gibt:
"Demokratie ist kompliziert und anstrengend, aber das Beste, was wir haben können. Sie funktioniert für sich gut, die Menschen sind nur zunehmend weniger bereit, sich mit ihr gutmütig einzulassen." #NDRfragt-Mitglied Philipp (30) aus Mecklenburg-Vorpommern
Wohlstand entscheidet über Zufriedenheit mit der Demokratie
Entscheidend wie zufrieden die Menschen mit der Demokratie sind, ist nicht nur ihr Wohnort, sondern auch, wie sie ihren Wohlstand einschätzen. Dies ist eins der deutlichsten Ergebnisse der #NDRfragt-Umfrage: Fast 70 Prozent der Befragten, die ihre eigene wirtschaftliche Lage als gut oder sehr gut einschätzen, sind mit der Art und Weise zufrieden, wie die Demokratie funktioniert. Von denjenigen, die den Eindruck haben, es gehe ihnen wirtschaftlich schlecht oder sehr schlecht, sagen dies hingegen nur gut 30 Prozent.
Geringerer Rückhalt zur Demokratie als Staatsform in MV
Die Unzufriedenheit im Osten spiegelt sich auch in einem geringeren Rückhalt zur Demokratie als politischer Herrschaftsform wider: So halten in den westlichen Nordländern (Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen) 80 Prozent die Demokratie für die beste Herrschaftsform, in Mecklenburg-Vorpommern jedoch nur 60 Prozent. Im Osten sagen zudem 38 Prozent der Befragten entweder, dass es eine bessere Herrschaftsform als die Demokratie gibt, oder, dass sie in dieser Frage unentschlossen sind. Im Nordwesten sagen dies insgesamt nur 18 Prozent. #NDRfragt-Mitglied René aus Niedersachsen etwa schlägt vor, dass Ministerinnen und Minister zukünftig nach Berufserfahrung ausgewählt werden sollten:
"Meiner Meinung nach wäre eine Meritokratie am besten. So können Minister nicht nach Parteizugehörigkeit, sondern nach Berufserfahrung gewählt werden. Lieber habe ich einen Wissenschaftler am Steuer eines wissenschaftlichen Ministeriums als einen Anwalt." #NDRfragt-Mitglied René (35) aus Niedersachsen
Größere Zustimmung zu Regierungen der Länder als im Bund
Die Demokratie als Ganzes ist das eine, aber wie bewerten die Befragten die konkrete Politik in ihrem Bundesland? Während gut 70 Prozent nicht mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden sind, schneiden die Landesregierungen besser ab - wenn auch unterschiedlich stark: Vor allem in Schleswig-Holstein (68 Prozent) und Niedersachsen (57 Prozent) sind die Menschen mit der Landesregierung zufrieden. In Mecklenburg-Vorpommern sind es hingegen nur 31 Prozent.
Mehrheit glaubt, sie kann politisch etwas verändern
Trotz der Kritik an der Demokratie sieht die Mehrheit ihre Stellung in der Demokratie positiv: 60 Prozent sind der Meinung, dass sie in ihrer Stadt oder Gemeinde politisch etwas verändern können. Viele Teilnehmende haben angegeben, sich in einer Form politisch zu beteiligen. Die meisten diskutieren mit Freunden oder Familie über Politik. Zudem haben die Befragten mehrheitlich bereits eine Petition unterschrieben. Nur die Minderheit hat in einer politischen Partei mitgearbeitet (acht Prozent) oder hatte beziehungsweise hat selbst ein politisches Amt inne (vier Prozent). #NDRfragt-Mitglied Cornelia aus Mecklenburg-Vorpommern schätzt es mit Blick in die Geschichte, dass sie sich einbringen kann:
"Demokratie lebt von der Mitgestaltung der Bürger, jeder kann sich aktiv beteiligen. In der DDR war dies nicht möglich, dass sollte nie vergessen werden. Unser Rechtsstaat und die Demokratie sind ein hohes Gut, welches durch die AfD und rechtsextreme Vereinigungen bedroht werden. Ich möchte nicht zu der schweigenden Mehrheit gehören." #NDRfragt-Mitglied Cornelia (70) aus Mecklenburg-Vorpommern
Forderungen nach mehr Transparenz und Mitbestimmung
Trotz grundsätzlicher Zustimmung zu der Demokratie als Staatsform ist die Kritik groß. Wie ließe sich das System aber verbessern? Mit Blick auf die Antworten wird klar, dass sich eine große Mehrheit mehr Offenheit und Transparenz von den Politikern wünscht: Zwei Drittel sind der Meinung, dass Politiker ihre Entscheidungen prinzipiell offenlegen und erklären sollten, fast 70 Prozent sind für ein Lobbyregister. Auch das Thema direkte Demokratie ist den Befragten wichtig: Mehr als 60 Prozent wünscht sich mehr Volksabstimmungen. Eine Absenkung des Wahlalters (22 Prozent) oder das Wahlrecht für Menschen in Deutschland mit Bleiberecht (14 Prozent) halten hingegen nur wenige für eine Verbesserung der Demokratie. Auch #NDRfragt-Mitglied Jana fordert einen stärkeren Einfluss der Bürger:
"Direkte Demokratie, ähnlich wie in der Schweiz. Die Bürger müssten über Volksabstimmungen mehr Mitspracherecht und Mit-Entscheidungsgewalt bekommen." #NDRfragt-Mitglied Jana (49) aus Mecklenburg-Vorpommern
Wachsende #NDRfragt-Community mit mehr als 34.000 Norddeutschen
Die Community #NDRfragt gibt es seit Ende Oktober 2022. Mittlerweile haben sich mehr als 34.000 Norddeutsche angemeldet. #NDRfragt ist das Meinungsbarometer für den Norden. Wer noch nicht dabei ist, aber mitmachen will, kann sich registrieren und an den Umfragen teilnehmen. Mitglied kann werden, wer in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg oder Bremen wohnt und mindestens 16 Jahre alt ist.