Umfrage: Ohne Wohlstand kaum Zufriedenheit mit Demokratie

Stand: 07.11.2023 06:00 Uhr

Die deutsche Demokratie funktioniert gut, sagt die knappe Mehrheit in einer #NDRfragt-Umfrage. Ist die eigene wirtschaftliche Lage schlecht, überwiegt die Unzufriedenheit. Die Befragten fordern mehr Mitsprache und weniger Lobbyismus.

von Lisa Göllert, Patrick Reichelt

Ob Inflation, Migrationsdebatte, Klimawandel oder der Umgang mit internationalen Krisen - die Politik in Deutschland steht vor einigen Herausforderungen. Was sagt die #NDRfragt-Community: Ist unsere Demokratie dafür derzeit ausreichend gewappnet?

Ja, sagt über die Hälfte der Befragten in Norddeutschland. Allerdings ist die Mehrheit nur knapp. Nur etwas weniger als die Hälfte ist hingegen nicht zufrieden mit der Art und Weise, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert. Und je nach Bundesland und Selbsteinschätzung der eigenen wirtschaftlichen Lage dominiert die Unzufriedenheit deutlich. Dennoch: Obwohl viele die Demokratie kritisieren, hat knapp die Hälfte der Befragten das Gefühl, dass sie selbst in ihrer Stadt oder Gemeinde politisch etwas verändern könnte. Und es gibt auch Vorschläge, wie sich die Demokratie verbessern ließe. Beim Blick auf die Regierungen kommen die Länder positiver weg als der Bund.

Alle Ergebnisse dieser nicht repräsentativen, aber gewichteten Umfrage gibt es als PDF zum Herunterladen.

Mehr als vier von zehn sind unzufrieden

Die knappe Mehrheit, die mit der Demokratie zufrieden ist, macht 54 Prozent aller Befragten aus. Damit ergibt die #NDRfragt-Umfrage einen ähnlichen Wert wie eine im August 2022 deutschlandweit durchgeführte repräsentative Umfrage von Infratest dimap im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, in der genau dieselbe Frage zur Demokratie gestellt worden war. Dort äußerten sich nur knapp 49 Prozent zufrieden.

Das Reichstagsgebäude spiegelt sich am Morgen in einer Pfütze © picture alliance Foto: Christoph Soeder
AUDIO: #NDRfragt: Befragte wünschen sich mehr Transparenz von der Politik (2 Min)

Viele Befragte schreiben, dass sie sich um die Demokratie sorgen, unter anderem über das Erstarken rechter Parteien. Die große Mehrheit von gut 70 Prozent hat zudem den Eindruck, dass die führenden Politiker in ihrer eigenen Welt leben würden und für die Meinungen der Bevölkerung wenig zugänglich seien. Auch #NDRfragt-Mitglied Bernd aus Schleswig-Holstein kritisiert das:

"Die Parteien verfolgen mehr und mehr eine ideologiegetriebene Politik, die in kleinen, elitären Kreisen beschlossen wird, immer häufiger gegen den Rat von Experten und Betroffenen. Kompromisse werden nicht im Sinne von Mehrheitsverteilungen geschlossen, sondern nur im Rahmen der ideologisch akzeptierten Lösungen." #NDRfragt-Mitglied Bernd (61) aus Schleswig-Holstein

Zum Vergleich: Demokratievertrauen in anderen Umfragen

Das Vertrauen in die Demokratie wird regelmäßig auch von Meinungsforschungsinstituten abgefragt. Im April 2023 veröffentlichte etwa die Friedrich-Ebert-Stiftung die Studie "Demokratievertrauen in Krisenzeiten". Die repräsentative Befragung wurde im August 2022 von Infratest dimap durchgeführt - teils per Onlinefragebogen, teils per Telefoninterview.

Unzufriedenheit im Osten besonders groß

Besonders in Mecklenburg-Vorpommern sehen viele den Zustand der Demokratie kritisch: Während in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg 43 Prozent unzufrieden sind, wie die Demokratie derzeit laufe, sind es in Mecklenburg-Vorpommern sogar 68 Prozent. Viele der Befragten kritisieren dort vor allem die fehlende Mitbestimmung und verhärtete Fronten, wenn sie mit Freunden oder Familie über Politik sprechen. So auch #NDRfragt-Mitglied Benjamin:

"Ich denke, der Konsens untereinander findet nicht mehr statt. Wenn man entgegen der derzeit geläufigen Meinung ist, dann wird man ganz schnell in Schubladen gesteckt, wo man eigentlich nicht sein möchte. Ich habe das Gefühl, dass in gewissen Punkten keine andere Meinung mehr geduldet wird." #NDRfragt-Mitglied Benjamin (33) aus Mecklenburg-Vorpommern

Viele Befragte in Mecklenburg-Vorpommern äußern sich allerdings auch positiv über die Demokratie. Auch #NDRfragt-Mitglied Philipp glaubt nicht, dass es eine bessere Staatsform als die Demokratie gibt:

"Demokratie ist kompliziert und anstrengend, aber das Beste, was wir haben können. Sie funktioniert für sich gut, die Menschen sind nur zunehmend weniger bereit, sich mit ihr gutmütig einzulassen." #NDRfragt-Mitglied Philipp (30) aus Mecklenburg-Vorpommern

 

Weitere Informationen
Das Logo von #NDRfragt © Getty Images | iStockphoto Foto: BongkarnThanyakij

Registrieren Sie sich hier für #NDRfragt!

Melden Sie sich für die #NDRfragt-Community an und nehmen Sie an Umfragen teil. Ihre Stimme zählt für unser Programm! mehr

Wohlstand entscheidet über Zufriedenheit mit der Demokratie

Entscheidend wie zufrieden die Menschen mit der Demokratie sind, ist nicht nur ihr Wohnort, sondern auch, wie sie ihren Wohlstand einschätzen. Dies ist eins der deutlichsten Ergebnisse der #NDRfragt-Umfrage: Fast 70 Prozent der Befragten, die ihre eigene wirtschaftliche Lage als gut oder sehr gut einschätzen, sind mit der Art und Weise zufrieden, wie die Demokratie funktioniert. Von denjenigen, die den Eindruck haben, es gehe ihnen wirtschaftlich schlecht oder sehr schlecht, sagen dies hingegen nur gut 30 Prozent.

Geringerer Rückhalt zur Demokratie als Staatsform in MV

Die Unzufriedenheit im Osten spiegelt sich auch in einem geringeren Rückhalt zur Demokratie als politischer Herrschaftsform wider: So halten in den westlichen Nordländern (Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen) 80 Prozent die Demokratie für die beste Herrschaftsform, in Mecklenburg-Vorpommern jedoch nur 60 Prozent. Im Osten sagen zudem 38 Prozent der Befragten entweder, dass es eine bessere Herrschaftsform als die Demokratie gibt, oder, dass sie in dieser Frage unentschlossen sind. Im Nordwesten sagen dies insgesamt nur 18 Prozent. #NDRfragt-Mitglied René aus Niedersachsen etwa schlägt vor, dass Ministerinnen und Minister zukünftig nach Berufserfahrung ausgewählt werden sollten:

"Meiner Meinung nach wäre eine Meritokratie am besten. So können Minister nicht nach Parteizugehörigkeit, sondern nach Berufserfahrung gewählt werden. Lieber habe ich einen Wissenschaftler am Steuer eines wissenschaftlichen Ministeriums als einen Anwalt." #NDRfragt-Mitglied René (35) aus Niedersachsen

 

#NDRfragt - das Meinungsbarometer im Norden. © NDR Screenshot
AUDIO: #NDRfragt-Teilnehmerin: "Brauchen mehr Frauen in der Politik " (2 Min)

Größere Zustimmung zu Regierungen der Länder als im Bund

Die Demokratie als Ganzes ist das eine, aber wie bewerten die Befragten die konkrete Politik in ihrem Bundesland? Während gut 70 Prozent nicht mit der Arbeit der Bundesregierung zufrieden sind, schneiden die Landesregierungen besser ab - wenn auch unterschiedlich stark: Vor allem in Schleswig-Holstein (68 Prozent) und Niedersachsen (57 Prozent) sind die Menschen mit der Landesregierung zufrieden. In Mecklenburg-Vorpommern sind es hingegen nur 31 Prozent.

Mehrheit glaubt, sie kann politisch etwas verändern

Trotz der Kritik an der Demokratie sieht die Mehrheit ihre Stellung in der Demokratie positiv: 60 Prozent sind der Meinung, dass sie in ihrer Stadt oder Gemeinde politisch etwas verändern können. Viele Teilnehmende haben angegeben, sich in einer Form politisch zu beteiligen. Die meisten diskutieren mit Freunden oder Familie über Politik. Zudem haben die Befragten mehrheitlich bereits eine Petition unterschrieben. Nur die Minderheit hat in einer politischen Partei mitgearbeitet (acht Prozent) oder hatte beziehungsweise hat selbst ein politisches Amt inne (vier Prozent). #NDRfragt-Mitglied Cornelia aus Mecklenburg-Vorpommern schätzt es mit Blick in die Geschichte, dass sie sich einbringen kann:

"Demokratie lebt von der Mitgestaltung der Bürger, jeder kann sich aktiv beteiligen. In der DDR war dies nicht möglich, dass sollte nie vergessen werden. Unser Rechtsstaat und die Demokratie sind ein hohes Gut, welches durch die AfD und rechtsextreme Vereinigungen bedroht werden. Ich möchte nicht zu der schweigenden Mehrheit gehören." #NDRfragt-Mitglied Cornelia (70) aus Mecklenburg-Vorpommern

Forderungen nach mehr Transparenz und Mitbestimmung

Trotz grundsätzlicher Zustimmung zu der Demokratie als Staatsform ist die Kritik groß. Wie ließe sich das System aber verbessern? Mit Blick auf die Antworten wird klar, dass sich eine große Mehrheit mehr Offenheit und Transparenz von den Politikern wünscht: Zwei Drittel sind der Meinung, dass Politiker ihre Entscheidungen prinzipiell offenlegen und erklären sollten, fast 70 Prozent sind für ein Lobbyregister. Auch das Thema direkte Demokratie ist den Befragten wichtig: Mehr als 60 Prozent wünscht sich mehr Volksabstimmungen. Eine Absenkung des Wahlalters (22 Prozent) oder das Wahlrecht für Menschen in Deutschland mit Bleiberecht (14 Prozent) halten hingegen nur wenige für eine Verbesserung der Demokratie. Auch #NDRfragt-Mitglied Jana fordert einen stärkeren Einfluss der Bürger:

"Direkte Demokratie, ähnlich wie in der Schweiz. Die Bürger müssten über Volksabstimmungen mehr Mitspracherecht und Mit-Entscheidungsgewalt bekommen." #NDRfragt-Mitglied Jana (49) aus Mecklenburg-Vorpommern

 

Über diese Befragung

Die Antworten stammen aus der Umfrage "Ist unsere Demokratie gut genug?", an der sich 18.351 Norddeutsche beteiligt haben. Für die Ergebnisse wurden Antworten ausgewertet, die vom 24. bis zum 30. Oktober 2023 um 9 Uhr abgegeben wurden. An den Umfragen von #NDRfragt nehmen Menschen aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen teil. Die Umfragen werden online ausgefüllt.

Die Ergebnisse der Befragung sind nicht repräsentativ. Wir haben sie allerdings nach den statistischen Merkmalen Alter, Geschlecht, Bundesland und Schulabschluss gewichtet. Das heißt: Antworten von Bevölkerungsgruppen, die unter den Befragten seltener vertreten sind als in der norddeutschen Bevölkerung, fließen stärker gewichtet in die Umfrage-Ergebnisse ein. Und die Antworten von in der Befragung überrepräsentierten Gruppen werden schwächer gewichtet. Insgesamt verteilen sich die Antworten dann am Ende eher so, wie es der tatsächlichen Verteilung der Bevölkerungsgruppen in Norddeutschland entspricht.

Wachsende #NDRfragt-Community mit mehr als 34.000 Norddeutschen

Die Community #NDRfragt gibt es seit Ende Oktober 2022. Mittlerweile haben sich mehr als 34.000 Norddeutsche angemeldet. #NDRfragt ist das Meinungsbarometer für den Norden. Wer noch nicht dabei ist, aber mitmachen will, kann sich registrieren und an den Umfragen teilnehmen. Mitglied kann werden, wer in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg oder Bremen wohnt und mindestens 16 Jahre alt ist.

Weitere Informationen
Eine Frau schaut auf einen Monitor mit dem Schriftzug "#NDRfragt" (Montage) © Colourbox

#NDRfragt - das Meinungsbarometer für den Norden

Wir wollen wissen, was die Menschen in Norddeutschland bewegt. Registrieren Sie sich jetzt für das Dialog- und Umfrageportal des NDR! mehr

Ein Abstimmungszettel, auf dem "Nein" angekreuzt ist.  Foto: Christian Ohde

Bürgerbegehren und Bürgerentscheid: Instrumente der direkten Demokratie

Bürgerbegehren und -entscheide in MV: Wie viele Stimmen werden benötigt, wer ist stimmberechtigt, was folgt auf die Abgabe? mehr

Eine Ampel leuchtet in einer Aufnahme mit Langzeitbelichtung am Morgen vor dem Reichstagsgebäude in allen drei Phasen. © picture alliance/dpa Foto: Christoph Soeder
6 Min

Politikwissenschaftler: Zustand der Regierung ist katastrophal

Der Streit der Ampel-Regierung führt zu Politikverdrossenheit, sagt Hans Vorländer von der TU Dresden. 6 Min

Eine Frau schaut auf einen Monitor mit dem Schriftzug "#NDRfragt" (Montage) © Colourbox

Fragen und Antworten zu #NDRfragt

#NDRfragt ist die Dialogplattform des Norddeutschen Rundfunks. Hier finden Sie Antworten auf die Fragen zum Projekt. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 07.11.2023 | 17:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Bürgerbeteiligung