Vielfalt vor der Kamera: Deutsche TV-Serien werden diverser
Minderheiten - egal ob Homosexuelle, Menschen mit Migrationshintergrund oder Beeinträchtigungen - werden in deutschen Fernsehserien und -filmen insgesamt nicht realistisch dargestellt.
Benjamin Gutsche freut sich. Gerade hat er die Serie "All You Need" abgedreht, Gutsche hat das gesamte Drehbuch dafür geschrieben und Regie geführt. Es geht darin um eine WG in Berlin, vier junge Männer auf der Suche nach Liebe, Glück und Geborgenheit. Was allerdings ungewöhnlich ist an "All You Need": Die vier Männer sind schwul. Gezeigt wird der Sechsteiler im Frühjahr in der ARD-Mediathek.
Für den Drehbuchautor Gutsche, der selbst schwul ist und sich als Teil der LGBT-Community sieht, ist dies ein besonderes Projekt: "Ich brauche ja selber auch identitätsstiftende Stoffe. Ich möchte das selber gerne im Fernsehen sehen. Und ich habe die in den letzten Jahren halt immer noch sehr lange gesucht. Und inzwischen ändert sich da der Markt und ich glaube, das kann dazu beitragen, dass sich da auch etwas ändert."
UFA gibt sich Selbstverpflichtung
Viele Filmschaffende sind sich einig: Minderheiten kommen zu wenig vor und wenn, dann oft nur stereotyp. Auch Nataly Kudiabor, Produzentin von "All You Need" teilt diese Einschätzung: "In den letzten Jahrzehnten wurde stark aus einer eurozentrischen Sicht erzählt, vielleicht auch aus einer heteronormativen Sicht." Aus dieser Kritik erwachsen derzeit einige Initiativen, beobachtet Kudiabor: "Jetzt ist die Zeit des Redens vorbei. Jetzt packen wir's richtig an!"
Dementsprechend hat die UFA, größte Produktionsgesellschaft des Landes und Auftraggeber von Gutsche und Kudiabor, Ende November öffentlichkeitswirksam eine Selbstverpflichtung vorgelegt. Bis 2024 soll im Gesamtportfolio der UFA die Diversität so abgebildet werden, wie es dem Zensus der Bundesrepublik entspricht - und zwar vor und hinter der Kamera. Mit Arbeitsgruppen, Quoten und entsprechendem Monitoring soll dieses Ziel erreicht werden.
Streaming-Dienste weniger divers als erwartet
Die Medienwissenschaftlerin Elizabeth Prommer begrüßt diesen Schritt: "Ich finde das prima. Wenn ich mir eine Selbstverpflichtung gebe, dann möchte ich etwas verändern. Das heißt aber eben auch ich muss zählen. Ich muss aufpassen, was ich tue. Und wer eine Selbstverpflichtung gibt, der kann daran gemessen werden." Prommer zählt und misst selbst seit Jahren, wie vielfältig TV-Serien und Filme besetzt sind. Zuletzt hat sie mit ihrem Team der Uni Rostock eine Studie über die Diversität in fiktionalen Angeboten auf Streaming-Plattformen wie Netflix, Sky und Amazon Prime vorgelegt.
Doch die Streaming-Formate sind nicht so divers besetzt wie sie es erwartet hätte, erklärt Prommer: "Am meisten hat uns überrascht, dass eben doch viele Mechanismen, die wir vom linearen, altmodischen Fernsehen kennen, auch im Streaming-Angebot zu finden sind. Frauen kommen seltener vor, Frauen kommen eingeschränkt vor, vor allem jüngere Frauen. Sie sind ethnisch nicht so divers, wie sie uns das verkaufen. Also sie zeigen doch immer die Mainstream-Bevölkerung." Dabei gelten die großen Streaming-Plattformen in der öffentlichen Wahrnehmung als progressiver als das lineare Fernsehen.
Nur hinsichtlich der sexuellen Orientierung seien die Streaming-Angebote weiter. In diesem Punkt bildeten sie die Gesellschaft besser ab als das Fernsehen. Die Frage, wie vielfältig eine Gesellschaft in Serien und Filmen dargestellt wird, lässt sich laut Prommer übrigens nicht anhand von einzelnen Formaten beantworten. Ihr zufolge gehe es nicht darum, dass in jeder Sendung alle Minderheiten gleichmäßig vorkommen müssten: "Aber wenn ich das Gesamte anschaue, dann würde ich doch ganz gerne eine Hälfte Frauen und Männer als Hauptfiguren sehen. Ich würde 25 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund sehen. Ich würde gerne Menschen mit anderer Hautfarbe sehen." Ob das jemals erreicht wird, wird sich zumindest für die UFA-Produktionen in vier Jahren zeigen.
