Stand: 11.03.2014 17:04 Uhr

Wo hört ein Praktikum auf?

Prof. Dr. Peter Schüren, Arbeitsrechtler an der Universität Münster. © NDR
Für Prof. Peter Schüren darf es keine Vermischung von Praktika und regulärer Arbeit geben.

Der Arbeitsrechtler Prof. Peter Schüren von der Universität Münster beschäftigt sich schon lange mit problematischen Arbeitsverhältnissen. Im Gespräch mit Panorama Reporterin Anna Orth spricht er über den Unterschied zwischen Praktika und regulären Lohnarbeitsverhältnissen - und erklärt, warum er die Verwischung der Grenzen zwischen beiden für rechtlich äußerst bedenklich hält.

Das Dänische Bettenlager sucht bundesweit nach "Jahrespraktikanten." Ein Praktikant bekommt dafür monatlich 400 bis 500 Euro. Was macht ein Praktikum grundsätzlich eigentlich aus?

In einem Praktikum kann man einen Beruf oder ein Arbeitsumfeld direkt kennenlernen. Dafür reichen ein paar Wochen in der Regel völlig aus. Wenn aber ein Praktikant über längere Zeit das tut, was sonst ein Arbeitnehmer machen würde, dann ist das kein Praktikum mehr.

Wo hört ein Praktikum auf und wo fängt Arbeit an?

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat das 2008 einmal sehr schön abgegrenzt. Bei einem Praktikum müssen „bei einer Gegenüberstellung der Anteile „Ausbildungszweck“ und „für den Betrieb erbrachte Leistungen und Arbeitsergebnisse“ das Erlernen praktischer Kenntnisse und Erfahrungen deutlich überwiegen...“ Auf den Punkt gebracht: Bei einem Praktikum steht der Ausbildungszweck im Vordergrund und nicht die verwertbare Arbeit.

Das Unternehmen lockt die Langzeit-Praktikanten mit der Chance auf eine anschließende Ausbildung. Legitimiert diese Aussicht nicht die lange Praktikumszeit?

Keinesfalls! Mir erscheint diese Praxis besonders verwerflich. Würde man die Praktikanten während des Praktikums ausbilden, könnten sie doch gleich mit der Lehre anfangen. Wenn sie aber ein Jahr lang brav und extrem billig arbeiten, dann läuft das darauf hinaus, dass sich die Betroffenen mir ihrer sittenwidrig unterbezahlten Arbeit eine Lehrstelle erkaufen.

Wie Insider berichteten, werden Praktikanten besonders gerne zu Stoßzeiten, Prospektwochen oder Schlussverkäufen eingesetzt.

Das deutet darauf hin, dass sie nützliche Arbeit leisten. Jetzt muss man weiter fragen, ob das einmalig war, oder ob solch ein Praktikant für längere Zeit einen normalen Arbeitnehmer ersetzt hat. Wenn ein Praktikant für den Beschäftigungsbetrieb monatelang genauso nützlich ist wie ein Arbeitnehmer, dann ist er ein Arbeitnehmer und muss auch so bezahlt werden. Eigentlich nicht besonders schwierig…!

Was bedeutet das?

Gehen wir mal davon aus, dass ein Praktikant über Monate irgendeine normale Helferarbeit leistet und nur 400 Euro im Monat bekommt. Was verdient ein Helfer gewöhnlich in der Branche? Ich nehme mal ganz vorsichtig 1200 Euro brutto bei 165 Stunden Arbeitszeit pro Monat oder 38 Stunden pro Woche - das entspricht sehr kargen 7,30 Euro Bruttostundenlohn.

Die Bezahlung mit 400 Euro - das ist ein Stundenlohn von 2,40 Euro - ist dafür ohne jeden Zweifel sittenwidrig; dem Helfer steht die übliche Vergütung zu. Dann fehlen hier jeden Monat 800 Euro. Für diese fehlenden 800 Euro sind rechtswidrig überhaupt keine Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden. Damit sind wir im Bereich ernsthafter Kriminalität - strafbare Beitragshinterziehung -, wenn das mit dem Willen der Geschäftsleitung in hunderten von Fällen über längere Zeiträume geschieht.

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Das Dänische Bettenlager ist sicher nicht das einzige Unternehmen, das von Praktikanten profitiert. Die Generation Praktikum macht mit. Inwiefern sind solche Methoden für Arbeitsmarkt und Gesellschaft schwierig?

Ein Unternehmen, das so handelt, nutzt die Arbeit, aber bezahlt sie nicht anständig sondern mit sittenwidrig niedrigen Löhnen. Das Geld, das die Pseudopraktikanten zum Leben brauchen, müssen andere aufbringen - die Eltern, die Agentur für Arbeit, wir alle. Zudem fehlen die Beiträge in den Sozialversicherungssystemen.

Welche Konsequenzen hätte es, könnte man dem Dänischen Bettenlager dies als unternehmerisches Konzept nachweisen?  

Es würde bedeuten, dass die Sozialversicherungsbeiträge komplett für alle Pseudopraktikanten nachbezahlt werden müssen. Dann müsste von der Staatsanwaltschaft ermittelt werden, ob zielgerichtet Sozialversicherungsbeiträge hinterzogen wurden. Ob zugleich strafbarer Lohnwucher vorliegt, muss im Einzelfall ermittelt werden. Bei der Verknüpfung mit dem Angebot einer Lehrstelle liegt dieser Verdacht nicht fern.

Welche Möglichkeiten hätte ein Einzelner, den Lohn einzufordern, der ihm eigentlich zusteht?

Er kann den nichtgezahlten Lohn vor dem Arbeitsgericht einklagen. Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre.

Was müsste passieren?

Die Rechtslage ist eigentlich klar. Leider ist der Verfolgungsdruck noch ziemlich gering. Daher sollte man politisch erwägen, erstens einen Bußgeldtatbestand zu schaffen, der dann greift, wenn ein Arbeitgeber genutzte Arbeitszeit gezielt nicht oder sittenwidrig gering bezahlt. Die bevorstehende Gesetzgebung zum Mindestlohn wird hier hoffentlich einiges verbessern.

Zweitens halte ich eine Beweislastumkehr bei Praktika, die länger als 4 Wochen dauern, für sinnvoll. Der Arbeitgeber muss dann im Streitfall beweisen, dass die Tätigkeit überwiegend der Ausbildung diente und nicht einfach nur billige Arbeit war. Dann können die übervorteilten Praktikanten leichter ihren Lohn einklagen.

Dieses Thema im Programm:

Panorama - die Reporter | 11.03.2014 | 21:15 Uhr