Sendedatum: 06.08.2013 21:15 Uhr

"Dokumente, die unter die Haut gehen"

Die Geschichte der "Marida Margeruite" ist fast unbekannt. Wie kamen Sie auf das Thema?

Sabine Puls. © NDR
Reporterin Sabine Puls stieß ursprünglich aus Zufall auf die Geschichte des Folterschiffs.

Sabine Puls: Das war klassisches Reporterglück. Ich war aufgrund einer völlig anderen Geschichte in der Hamburger Seemannsmission "Duckdalben". Dort war ausgerechnet an diesem Abend ein englischer Gewerkschafter zu Gast, der mir von der Geschichte der "Marida Marguerite" erzählte. Ich hatte noch nie davon gehört. Gleich am nächsten Tag hab ich meiner Redaktion davon berichtet – und mit den Recherchen begonnen.

Wie kamen Sie an die Telefonmitschnitte?

Puls: Ich hatte einen Informanten, der mir die Dateien geschickt hat. Eine riesige Fülle an Material, stundenlange Gespräche, sogar transkribiert. Dazu Fotos, Faxe, Sms. Ein ganz dickes Pfund.

Wie muss man sich diese Gespräche vorstellen?

Christian von Brockhausen: Es sind Dokumente, die unter die Haut gehen. Man lauscht einem knallharten Businessdeal. Der Verhandlungsführer der Piraten ist klug, spricht exzellentes Englisch und hat seinen Verhandlungspartner in Deutschland meist im Griff. Immer wieder spricht er Drohungen aus, sagt, die Mannschaft würde bald Selbstmord begehen und leide unermesslich.

Dann nennt er seine Forderung. Das Feilschen beginnt, es werden Geschichten erzählt. Die Piraten, das wird in den Verhandlungen sehr deutlich, kennen die Spielregeln. Einmal sagt der Sprecher der Reederei, er habe kein Geld mehr, er hätte schon alles verkauft. Und der Pirat am anderen Ende gibt lapidar zurück: Fragen sie doch ihre Versicherung!

Welche Hürden gab es bei der Recherche?

Puls: Viele. Ich musste erst einmal lernen, wie man solche Lösegeldverhandlungen liest, welche Verhandlungsmuster es gibt, wie man überhaupt mit Piraten effektiv verhandelt. Ich musste mir da einen richtigen Regelkatalog erarbeiten. Dafür musste ich Zugänge finden in die äußerst verschwiegene Branche der Verhandlungsspezialisten und Experten finden, die erfolgreich mit Piraten verhandelt hatten. Das war nicht einfach.

Sabine Puls und Christian von Brockhausen. © NDR
Sabine Puls und Christian von Brockhausen zeichnen die Geschichte der Entführung akribisch nach.

Sie sagen, es war sehr schwer in die Branche hineinzufinden. Wie konnten Sie Insider dennoch überzeugen vor die Kamera zu treten?

Puls: Mit viel Überzeugungskraft. Und mit meinen Insiderinformationen. Der Fall der "Marida Marguerite" war in diesen Kreisen bereits bekannt als "unique case" – weil es eben die Folterungen gab, was eigentlich eher ungewöhnlich ist. Ich hatte außerdem den Eindruck, dass jetzt, nach dem Abebben der Piratenkrise die Zeit der Aufarbeitung gekommen ist. Wir sind zum richtigen Zeitpunkt auf die Spezialisten zugegangen.

von Brockhausen: Die Betroffenen aber, ehemalige Geiseln zum Beispiel aus Indien, zögerten monatelang uns ein Interview zu geben. Viele wirken traumatisiert. Der Fall wurde zur Hängepartie, wir mussten unser Visum bei der indischen Botschaft ständig aktualisieren. Am Ende fuhren wir nicht nach Indien, sondern die Spurensuche führte uns in die Ukraine.

Wie geht es den Geiseln heute?

Puls: Einige mussten nach der Entführung in psychologische Behandlung. Manche fahren wieder zur See, andere, wie zum Beispiel der Kapitän, sind nicht mehr auf ein Schiff zurückgekehrt. Die Männer sind bis heute traumatisiert. Man kann sich nicht vorstellen, was sie durchgemacht haben. Fast acht Monate in der Hand von Piraten, Folterungen, Demütigungen. Ich musste den Männern sehr viel Zeit geben und behutsam vorgehen.

Ist es eher ein klassischer Entführungsfall oder ein besonderes Beispiel?

von Brockhausen: Besonders ist in jedem Fall, dass die Mannschaft gefoltert wurde. Somalische Piraten sind zwar brutal, aber bei den über 150 Schiffsentführungen der letzten Jahre wurden nur sehr wenige Geiseln gefoltert. Auch die Dauer, fast acht Monate, und das Lösegeld lagen Statistiken zufolge deutlich über dem Durchschnitt.

Was hat Sie am meisten überrascht?

Puls: Wie diese Verhandlungen in Wahrheit ablaufen. Aber auch die Offenheit der Polizei und Staatsanwaltschaft. Ich war zu mehreren Hintergrundgesprächen in Osnabrück und Hannover – und hatte das Gefühl, dass die Beamten geradezu dankbar waren, dass endlich über diese Geschichte berichtet wird.

Welche filmischen Herausforderungen gab es?

von Brockhausen: Es gab zwar Tonprotokolle, aber so gut wie keine Bilder. Wir standen vor der Herausforderung, das Geiseldrama mit einer eigenen Bildsprache zu illustrieren. Uns halfen dabei wieder die Tonspuren, auf denen wir viel von der Atmosphäre an Bord hörten. Jeden Tag Todesangst, zähe Verhandlungen – all das wurde allein in den Stimmen der Protagonisten spürbar. So entwickelten wir unsere eigene Bildsprache zu den Szenen. Wir gingen filmisch noch einmal mit an Bord der "Marida Marguerite".

Wie geht der Fall weiter?

Puls: Im Mai haben LKA Ermittler einen mutmaßlichen Piraten in Gießen festgenommen. Ein Zufallstreffer. Der Mann war illegal nach Deutschland eingereist. Bei einem Abgleich seiner Fingerabdrücke wurde festgestellt, dass er an Bord der "Marida Marguerite" war. Ersten Ermittlungen zufolge soll er für die Buchhaltung verantwortlich gewesen sein, er selbst sagt aber, er sei nur der Friseur gewesen. Die Ermittlungen dauern an.

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Panorama - die Reporter | 06.08.2013 | 21:15 Uhr