Stand: 02.06.2016 15:30 Uhr

Sierra Leone: Im Armenhaus Westafrikas

von Matthias Stelte
Stadtwappen von Freetown  Foto: Thomas Schulze
Die Löwen sind Teil des Stadtwappens von Freetown, der Hauptstadt Sierra Leones.

Als der portugiesische Seefahrer Pedro da Cintra 1462 die Küste Sierra Leones sah, sollen ihn die Berge, die eingebettet an der Küste lagen, an Löwen erinnert haben. So zumindest geht die Legende, die Sierra Leone, spanisch für Löwenberge, zu seinem Namen verhalf.

Doch bevor die Europäer das westafrikanische Land entdeckten und kolonisierten, lebten bereits seit vermutlich 2.500 Jahren verschiedene Ethnien in dem heutigen Staatsgebiet von Sierra Leone. Das von Regenwäldern bewachsene Land lag abseits der großen Handelsrouten, die Westafrika mit dem arabischen Raum verbanden und abseits der westafrikanischen Großreiche, deren Einfluss sich nie bis in das Gebiet Sierra Leones erstreckte.

Kolonisierung begann im 15. Jahrhundert

Ab dem 15. Jahrhundert begann der Handel und die Besiedlung durch Europäer. Portugiesen, Spanier, Engländer kamen, siedelten dort und begannen Handel zu treiben, und das war vor allem Sklavenhandel. Ab Ende des 18. Jahrhunderts stand das heutige Sierra Leone unter britischer Herrschaft.

Mit dem Verbot des Sklavenhandels in Großbritannien 1807 wurde Sierra Leone zu einem Zentrum der Abolitionisten, der Bewegung, die für das Ende des transatlantischen Sklavenhandels und der Sklaverei kämpfte. Ehemalige Sklaven, die im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg der USA auf Seiten Großbritanniens gekämpft hatten, erhielten für ihre soldatischen Dienste Land - und gründeten die heutige Hauptstadt des Landes, Freetown.

Karte: Sierra Leone

Bürgerkrieg, Kindersoldaten und Blutdiamanten

Kindersoldat in Sierra Leone  Foto: Seyllou
1991 schwappte der Krieg von Liberia nach Sierra Leone. Zehntausende Kinder wurden in dem blutigen Konflikt als Soldaten missbraucht.

1961 wurde Sierra Leone unabhängig. 1967 putschte das Militär und übernahm die Macht in dem westafrikanischen Land. 1991 weitete sich der Bürgerkrieg von dem südlichen Nachbarland Liberia auf Sierra Leone aus. Warlord Charles Taylor stürzte die gesamte Region ins Chaos. In diesem Konflikt wurden Zehntausende von Kindern mit hineingezogen, die zu sogenannten Kindersoldaten gemacht wurden. Finanziert wurde der Konflikt unter anderem mit dem Handel mit Diamanten - den Blutdiamanten.

Bis zum Ende des Krieges 2002 starben 120.000 Menschen, staatliche Strukturen waren zerstört, das Land galt als ein "failed state", als ein Staat ohne Strukturen, ohne Verwaltung, ohne Hoffnung. Doch nur innerhalb weniger Jahre gelang, was viele für nicht möglich hielten: Das Land wurde langsam wieder aufgebaut. 2011 erklärte Michael von der Schulenburg, Leiter der Friedens- und Aufbaumission der Vereinten Nationen (UNIPSIL) in Sierra Leone: "Sierra Leone, Symbol für einen failed state, entwickelt sich kontinuierlich zu einem Musterland, das alte Gräben und Konflikte überwindet und in dem sich Frieden und Demokratie entwickeln."

Ebola stürzte Sierra Leone ins Chaos

Marktszene in Makeni, Sierra Leone  Foto: Pia Lenz
Marktszene in Makeni im Landesinneren.

2014 drohte die Ebola-Katastrophe alle bisher gemachten Fortschritte zu zerstören. Im Juli 2014 rief die Regierung den Notstand aus, in den folgenden elf Monaten starben 4.000 Menschen. Infolge der Seuche ging die Produktion von Nahrungsmitteln zurück, der Handel brach ein. Die Staatseinnahmen schrumpften, während gleichzeitig die Ausgaben aufgrund der Seuche stiegen. Ebola schädigte das soziale Zusammenleben und bedrohte die politisch erreichte Konsolidierung des Landes. Sierra Leone stand erneut am Abgrund. Mittlerweile ist die Seuche besiegt, mit den Folgen kämpft das Land bis heute.

Starke Kritik am Anbau von Cash Crops

So ist Sierra Leone vor allem auf Reislieferungen aus dem Ausland angewiesen, damit die Bevölkerung ausreichend versorgt werden kann. Rund eine Million Hektar fehlen als Anbauflächen für Reis und Gemüse, stattdessen werden dort Cash Crops angebaut. Das sind landwirtschaftliche Erzeugnisse, die nicht der Ernährung dienen - wie unter anderem Zuckerrohr, der zu Biokraftstoff verarbeitet wird. Das wird auch seit Jahren immer wieder kritisiert. "Der Anbau von Cash Crops hilft nicht, die postkolonialen Abhängigkeiten zu überwinden und unabhängig zu werden. Die Cash Crops nützen der Industrie in Europa und Nordamerika", schreibt Krijn Peters, Professor an der Swansea Universität in Großbritannien, in seinem Buch "War and the crisis of youth in Sierra Leone".

Sierra Leone kämpft bis heute mit den Folgen des Bürgerkrieges, den postkolonialen Strukturen und auch mit den Folgen der Ebola-Seuche. Das westafrikanische Land mit seinen geschätzt sieben Millionen Einwohnern ist eines der ärmsten Länder der Welt, Korruption und Misswirtschaft sind an der Tagesordnung.

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Mann vor einem Zuckerrohrfeld

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Dieses Thema im Programm:

Panorama - die Reporter | 07.06.2016 | 21:15 Uhr