Stand: 01.10.2013 17:45 Uhr

Ein Unfall ohne Konsequenzen

von Anna Orth
Jürgen Albers von der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchungen (BSU). © NDR
Jürgen Albers zweifelt an der Sicherheit einer ganzen "Sunseeker"-Baureihe.

Wenn vor deutschen Küsten ein schwerer Unfall passiert und Jürgen Albers den Verdacht hegt, es könnte sich dabei um mehr handeln als einen tragischen Zufall, dann untersucht er diesen Unfall und seine Bedingungen. Albers arbeitet für die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU). Ihn beschäftigt die Frage: Wie können schwere Unfälle künftig verhindert werden? Auch den Unfall, bei dem eine 47 Tonnen-Jacht der britischen Luxuswerft Sunseeker einen Surfer in der Lübecker Bucht überfuhr, hat Albers untersucht.

Die Luxusjacht, aus der man schlecht gucken kann

Sunseeker-Jacht in Cannes. © NDR
Begehrte Objekte der Reichen und Schönen: Sunseeker-Jacht in Cannes.

Es sind die Jachten, mit denen James Bond sich auf Kinoleinwänden Verfolgungsjagden liefert. Das Design ist äußerst schnittig, "raubvogelartig" nennt es Albers. Sein Bericht kommt zu dem Ergebnis: Die Rundumsicht der Jacht entspricht nicht den einschlägigen Normen. Sichteinschränkungen dürften maximal 30° betragen, lägen hier aber bei 52° bis 64°.Der Bericht hält fest, es bedürfe „umfangreicher konstruktiver und baulicher Veränderungen“, um die Anforderungen einer bestimmten DIN-Norm zu erfüllen, die für den Betrieb solcher Fahrzeuge eingehalten werden muss.

Die BSU hat ihre Ergebnisse und Empfehlungen an alle Betroffenen weitergeleitet, an die Unfallbeteiligten, den Hersteller und an die italienische Klassifikationsgesellschaft RINA , eine Art Schiffs-TÜV, die der Jacht mit ihrem Prüfsiegel den Segen gegeben hatte. Auch das Bundesverkehrsministerium wurde unterrichtet.

Was passiert mit den bemängelten Booten?

Torsten Sieckmann, im Vorstand von Sunseeker Germany. © NDR
Torsten Sieckmann, Vorstand von Sunseeker Germany, verweist ebenfalls auf den Mutterkonzern.

Doch welche Konsequenzen hat der Unfallbericht? Mit dieser Frage haben wir uns das erste Mal Ende Juli an die Werft und das Verkehrsministerium gewandt. Sunseeker teilte uns mit, man habe Schwachpunkte in der BSU-Untersuchung identifiziert, die Boote seien sicher. Für einen Produktrückruf sehe man überhaupt keine Notwendigkeit. Das Bundesverkehrsministerium wiederum erklärt, dass für Konsequenzen in diesem Fall die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz in Hamburg zuständig sei.

Doch die verweist uns weiter: Dieses Mal nach Großbritannien, den Sitz des Mutterkonzerns Sunseeker International. Am 18. September schreibt man uns, die Kollegen in Großbritannien seien „tätig geworden und [...] auf der Grundlage eines Prüfberichtes zu dem Ergebnis gekommen, dass das betreffende Boot die Anforderungen der Sportboot-Richtlinie erfüllt.“ Es bestehe also kein Handlungsbedarf. Jürgen Albers von der BSU weiß dagegen nichts von einer britischen Untersuchung. Er sagt, er halte an seiner Einschätzung fest: Die Boote hätten eine schlechte Rundumsicht und seien deshalb eine Gefahr.

Produktsicherheit: Ein Behörden-Krimi

Ein Mitarbeiter der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung. © Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung
Ein Mitarbeiter der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung begutachtet ein verunfalltes Schiff (Symbolbild).

Wir fragen bei der britischen Behörde an. Deren Antwort verwirrt noch mehr: Es heißt, die Untersuchung des Unfalls sei allein deutsche Angelegenheit, man warte auf die Ergebnisse. Wo aber ist dann der britische Bericht, auf den sich die Hamburger Behörde stützt? Dabei handelt es sich offenbar um nichts weiter als die ursprüngliche Zulassung der Jacht - also exakt jenes Gutachten, das Jürgen Albers und die BSU ursprünglich kritisiert hatten, weil dort die Sichteinschränkungen des Bootsführers weder aufgefallen noch bemängelt worden seien.

Und es passiert nichts

Es ist der Beweis, wie sich Behörden einmal amtlich im Kreis drehen können: Eine deutsche Behörde bemängelt, dass die Zulassung eines Bootes erfolgt ist, obwohl dieses eine bestimmte DIN-Norm nicht erfüllt. Anschließend befragen sich zwei deutsche, eine britische und eine italienische Behörde gegenseitig und stellen fest: Da das Schiff ja zugelassen ist, muss es wohl auch die DIN-Norm erfüllen, weil eben nicht sein kann, was nicht sein darf. Der Unfall ist zwei Jahre her. Der BSU-Unfallbericht ist seit fünf Monaten öffentlich. Er attestiert den Jachten von Sunseeker Sicherheitsmängel. Doch es passiert nichts.

Dieses Thema im Programm:

Panorama - die Reporter | 01.10.2013 | 21:15 Uhr

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