Stand: 19.01.2016 17:52 Uhr

"Wir wollten die Ereignisse mit frischem Blick rekonstruieren"

Zehn Menschen starben bei einem Brandanschlag 1996 in Lübeck - doch die Täter wurden ermittelt. Autorin Birgit Wärnke über die Arbeit an dem Film.


Panorama - die Reporter: Der Fall Lübeck ist juristisch abgeschlossen - warum habt Ihr ihm nochmal einen ganzen Film gewidmet?

Birgit Wärnke: Anfang der 90er-Jahre gab es eine Reihe von schweren Brandanschlägen – in Erinnerung sind vor allem Mölln, Solingen und Rostock. Aber der Brand im Asylbewerberheim in Lübeck ist fast in Vergessenheit geraten. Dabei war es die schwerste Brandstiftung in der Geschichte der Bundesrepublik. In dieser Nacht am 18. Januar 1996 sind zehn Menschen gestorben und bis heute konnte kein Täter dafür verurteilt werden.

Autor Lukas Augustin
20.000 Seiten Ermittlungsakten haben die Autoren Lukas Augustin....

Wir haben uns gefragt, wie das eigentlich sein kann - bei einem zehnfachen Mord. Im vergangenen Jahr wurden brennende Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland leider zur traurigen Realität, die meisten dieser Brandstiftungen konnten bislang nicht aufgeklärt werden. Auch das war eine Motivation noch einmal 20 Jahre zurückzuschauen. Wir wollten die Ereignisse in dieser Brandnacht mit frischem Blick rekonstruieren. Wichtig war uns, unvoreingenommen die beiden großen Täterspuren zu verfolgen.

Was war während der Recherche aus heutiger Sicht am überraschendsten?

Autorin Birgit Wärnke
...und Birgit Wärnke in ihrer mehrmonatigen Recherche zu dem Film gesichtet.

Wärnke: Überrascht hat uns am meisten, dass kaum jemand mit uns über diesen Fall nochmal sprechen wollte. Offiziell haben Staatsanwaltschaft Lübeck, Polizei Lübeck und die Gerichtsmedizin unsere Interviewanfragen abgelehnt. Staatsanwaltschaft und Polizei haben sich selbst aus der Verantwortung genommen und nur ihre damaligen - mittlerweile pensionierten Leiter vorgeschickt. Die Gerichtsmedizin Lübeck, die ja ein entscheidendes Gutachten zu den frisch versengten Haaren der Grevesmühlener erstellt hat, wollte sich gar nicht mehr zu dem Fall äußern. Das hat uns bei diesem mittlerweile zeitgeschichtlichen Fall doch sehr verwundert und wirft aus meiner Sicht kein gutes Licht auf die Ermittlungsbehörden.

Damals standen in der Öffentlichkeit mehrere mutmaßliche Täter in der Diskussion - was sagen die heute?

Wärnke: Leider nichts. Wir haben die vier verdächtigen Grevesmühlener ausfindig gemacht und haben mehrfach versucht mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Da hatten wir keine Chance, wir wurden zum Teil angeschrien und verjagt. Freundlich war noch die zugeschlagene Tür vor der Nase. Auch den damals beschuldigten Hausbewohner Safwan E. wollten wir treffen - seine Anwältin hat aber gesagt - er wolle mit der ganzen Geschichte abschließen. Das ist auch verständlich. Wir haben Kontakt zum Vater aufgenommen und hatten ein Interview vereinbart, das wurde dann aber leider kurz vorher abgesagt. Daher haben wir eine andere Möglichkeit gesucht, den damals Verdächtigen Gesichter und Stimmen zu geben. Wir haben mit Schauspielern die Zeugenaussagen nachgestellt – aus den Ermittlungsakten hatten wir alle Vernehmungen vorliegen.

Weitere Informationen
Brennende Flüchtlingsunterkunft in Lübeck (Aufnahme vom 18.Januar1996) © dpa - Bildfunk Foto: Wolfgang Langenstrassen

Die Brandnacht

In der Nacht zum 18. Januar 1996 stand in der Lübecker Hafenstraße das Asylbewerberheim in Flammen. Bis heute ist kein Täter ermittelt. Die Reporter nehmen den Fall noch einmal auf. mehr

Der Film entscheidet sich nicht für einen Tatablauf, sondern lässt es am Ende offen. Was bleibt da als Autorin für ein Gefühl?

Wärnke: Wir müssen auch solche Filme machen, Filme die beide Seiten darstellen, abwägen und am Ende zum Ergebnis kommen: Wir wissen es nicht. Auch, wenn das etwas unbefriedigend ist. Wir haben natürlich am Anfang der Recherche gehofft, den entscheidenden Mosaikstein zu finden, der es vielleicht rechtfertigt, den Fall nochmal neu aufzurollen. Wir sind allerdings keine Ermittler und können niemanden zwingen, mit uns zu sprechen. Wir können Fragen stellen und haben versucht die Ungereimtheiten noch einmal zusammenzutragen und davon gibt es in diesem Fall einige. Vielleicht ist es an der Zeit, einen Untersuchungsausschuss einzurichten, der den Fall nochmal neu aufrollt.

 

Dieses Thema im Programm:

Panorama - die Reporter | 19.01.2016 | 21:15 Uhr