Stand: 28.11.2024 21:45 Uhr

Israel: Deutsche Außenpolitik in der Sackgasse (Manuskript)

Anmoderation Anja Reschke: "Deutschland ist leider auch außenpolitisch in einer misslichen Lage. Wir haben Israel unbedingte Solidarität versprochen. Das ist auch nachvollziehbar und richtig, schon aufgrund unserer Geschichte. Der Staat Israel ist von vielen Seiten bedroht. Wie sehr, musste die Welt bei dem fürchterlichen Massaker am 7. Oktober erleben. Natürlich standen wir auf der Seite Israels. Und als die Regierung dort ausgab, sich zu wehren, haben wir auch das verstanden und mitgetragen. Die Frage nach über einem Jahr "Vergeltung" ist nur, wie weit kann und sollte unsere Solidarität gehen. Und was bedeutet diese Solidarität für unser Verhältnis zu anderen Ländern? Stefan Buchen"

In der arabischen Welt herrscht Wut auf Deutschland. Zu einseitig pro Israel sei die deutsche Nahostpolitik. Beim Besuch von Außenministerin Annalena Baerbock in Jordanien im September brach die Wut durch. 

O-Ton Ayman as-Safadi, Außenminister Jordanien: "Das Ansehen eines Landes wie Deutschland, das muss ich hier ganz offen sagen Annalena, ist schwer beschädigt."

Für die offenen Worte des jordanischen Außenministers gab es viel Beifall in der arabischen Welt.

O-Ton Ayman Zaineldine, Diplomat a.D. Ägypten: "Manche haben wohl die Dimension der Katastrophe, die unsere Region heimsucht, noch nicht kapiert. Allen scheint nicht klar zu sein, dass wir mitten in einer gigantischen Katastrophe sind, mit menschlichen, wirtschaftlichen und politischen Folgen auf lange Zeit."

Der ehemalige ägyptische Diplomat Ayman Zayn ad-Din hält offene Kritik an der Bundesregierung für dringend geboten. Er kennt Deutschland gut, war hier vier Jahre als Diplomat stationiert. 

O-Ton Ayman Zaineldine, Diplomat a.D. Ägypten: "Die Kluft zwischen dem deutschen Standpunkt und der Realität in Gaza ist so gewaltig, dass man das nicht mehr entschuldigen kann. Und ich fürchte, dass die Folgen schlimmer sein werden, als die Bundesregierung sich vorstellt."

Hierum geht´s, den israelischen Vergeltungsschlag im Gazastreifen nach dem Massaker vom 7. Oktober 2023 durch die Hamas. Seit mehr als einem Jahr läuft der Feldzug. In den vergangenen Wochen hat die israelische Armee das Feuer auf den nördlichen Teil des Gazastreifens intensiviert. Mit dabei: deutsche Waffen wie diese Schulterkanone. Die Bundesregierung steht weiterhin hinter den Waffenlieferungen an Israel. 

O-Ton Olaf Scholz, SPD, Bundeskanzler: "Solidarität bedeutet in diesem Fall immer auch, dass wir Israel in die Lage versetzen und in der Lage halten, sein eigenes Land zu verteidigen. Und dehalb haben wir in der Vergangenheit Waffen und Rüstungsgüter geliefert. Deshalb tun wir das. Es gibt Lieferungen und wird auch in Zukunft weitere Lieferungen geben. Darauf kann das Land Israel sich immer verlassen."

Zustimmung auch von der CDU. Die Noch-Oppositions-Partei steht voll hinter den Waffenlieferungen. 

O-Töne
Johann Wadephul, CDU-Bundestagsabgeordneter:
"Israel führt einen Verteidigungskampf. Gegen die Terroristen von Hamas und Hizbollah und gegen Iran am Ende des Tages, gegen den sich Israel nur mit Waffen zur Wehr setzen kann. Deswegen muss Deutschland Israel unterstützen."

Jürgen Hardt, CDU-Bundestagsabgeordneter: "Deswegen sollten wir Israel die Waffen zur Verfügung stellen. Ich bin auch der Meinung, dass wir für die Unterstützung Israels noch mehr tun könnten."

Israel hat wie jedes andere Land das Recht auf Selbstverteidigung, Aber wo sind die Grenzen dieses Rechts? Wie viele tausend getötete Zivilisten sind gerechtfertigt? Wie viele Vertriebene? Ist die derzeit laufende Entvölkerung von Nord-Gaza ein unvermeidliches Ergebnis des Krieges? Für diese Akteure ist der Exodus der Palästinenser politisches Programm. Eine Gruppe radikalnationalistischer israelischer Offiziere organisiert im Juni eine Tagung in Tel Aviv. Ihr Ziel: eine härtere Kriegführung und die Wiedereroberung des Gazastreifens. Ein Brigadegeneral der Reserve verrät Absichten, die weit über das Militärische hinausgehen.  

O-Ton Oren Solomon, Brigadegeneral der Reserve: "Die Palästinenser haben uns 2023 angegriffen. Also werden sie im Gazastreifen Territorium verlieren. Der Norden des Gazastreifens wird komplett evakuiert. Aber das ist nur der Anfang. Es ist ein Hebel. Wann können sie zurück? Das Land gehört erstmal uns. Sollen sie doch 30, 50 Jahre in Zelten leben."

In einem auf der Tagung verteilten Flugblatt heißt es: Es beginnt mit dem nördlichen Gazastreifen. Sämtliche Bewohner sind aus dem gesamten Nordteil zu entfernen. Radikale Gruppen wie diese haben großen Einfluss in Israel. Der Organisator der Tagung erklärt die Palästinenser kollektiv zum Feind.

O-Ton Hezi Nehama, Israelischer Oberst der Reserve: "Das palästinensische Volk steht zu 70-80 Prozent hinter der Hamas. Die ist keine Terrorgruppe, die in einer Bevölkerung agiert. Es geht um ein ganzes mörderisches Volk, das die Juden vernichten will. Damit haben wir es zu tun."

Diese Ideologie hat offenbar Einfluss auf die Kriegführung im Gazastreifen. Auf die Frage, ob die israelische Regierung Nord-Gaza evakuieren wolle, bekommen wir keine Antwort.  Der Verdacht: in Gaza kommt es zu Kriegsverbrechen, auch mit deutschen Waffen.

O-Töne
Jürgen Hardt, CDU-Bundestagsabgeordneter:
"Ich setze darauf, das die israelischen Streitkräfte natürlich bei der Führung dieses Krieges gegen die Hamas das Kriegsvölkerrecht achten.

Panorama: "Viele Experten, auch in Israel sagen: Ja, Kriegsverbrechen werden verübt. Es gibt genug Belege dafür."

Jürgen Hardt: "Ich mache mir diesen Vorwurf nicht zu eigen. Ich setze darauf, dass das stimmt, was die israelische Regierung sagt, dass sie das Kriegsvölkerrecht achtet."

 In der sogenannten demokratischen Mitte hat sich ein Konsens etabliert. Israel führe einen Verteidigungskrieg. Das rechtfertige den israelischen Feldzug bis heute.

O-Ton Prof. Kai Hafez, Kommunikations- und Politikwissenschaftler: "In Deutschland macht man es sich politisch sehr einfach, indem man Israel schützt und eine Art Persilscheins für jegliche Art militärischen Handelns erteilt. Man stellt sich ähnlich wie die Amerikaner damit eindeutig auf die israelische Seite und glaubt damit moralisch aus dem Schneider zu sein auch auf Grund der historischen Belastung, die wir hier in Deutschland haben. Einen Partner wie Israel zu kritisieren mag weh tun, aber es mag auch erforderlich sein."

In der arabischen Welt ist die deutsche Nahostpolitik inzwischen ein großes Thema.

O-Ton Ayman Zaineldine, Diplomat a.D. Ägypten: "Die Kluft zwischen der Positionierung Deutschlands und dem, was die Menschen sehen in Gaza, das hat Abneigung und auch und Verwunderung ausgelöst. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Deutschland fortan den Staaten der Dritten Welt noch Lehren erteilen kann über das Völkerrecht und die Achtung der Menschenrechte. Wie kann Deutschland darüber noch etwas Glaubwürdiges sagen, nachdem es so einseitig Israel unterstützt hat, während des vergangenen Jahres!?"

O-Ton Prof. Kai Hafez, Kommunikations- und Politikwissenschaftler: "Wie die deutsche Politik und auch weite Teile der Öffentlichkeit dem arabischen Leiden und Sterben zusehen, das wird nicht verstanden, es wird kritisiert, es wird als heuchlerisch und doppelmoralisch empfunden."

Deutschland deckt weiter die israelische Regierung, liefert weiter Waffen und unterstützt so faktisch die Entvölkerungspolitik in Gaza. Für viele in der Welt setzt Deutschland damit seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel.

O-Töne
Panorama:
"Wir fordern das Völkerrecht ein, die Beachtung des Völkerrechts. Bei Israel machen wir ein Auge zu, schauen wir nicht so genau hin. Das wird als Messen mit zweierlei Maß ausgelegt in weiten Teilen der Welt. Was ist unsere Antwort darauf?"

Jürgen Hardt, CDU-Bundestagsabgeordneter: "Es ist unsere Aufgabe, deutlich zu machen, dass es dieses Messen mit zweierlei Maß nicht gibt. Dass wir uns diese Vorwürfe nicht zu eigen machen, die dort erhoben werden. Und dass es deswegen keine zwei Maßstäbe gibt."

Aus dem Auswärtigen Amt ist zu hören: das Leid in Gaza sei kaum in Worte zu fassen. Deutschland leiste humanitäre Hilfe und lehne eine Vertreibung der Palästinenser ab. Die Beziehungen zu Jordanien seien so gut, dass man sich auch mal die Meinung sagen könne.  

O-Ton Ayman Zaineldine, Diplomat a.D. Ägypten: "In der Geschichte, in Ägypten oder Deutschland, haben Menschen ihre Augen verschlossen vor Verbrechen, die um sie herum passiert sind. Und dann kam irgendwann das Bewusstsein zurück: wie konnten solche Verbrechen begangen werden und wie konnten wir dazu schweigen und nach Rechtfertigungen suchen?"

Bericht: Stefan Buchen
Kamera: Walid Izz ad-Din, Torsten Lapp, Michael Shubitz
Schnitt: Aaron Beitz, Ben Jakobs

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | 28.11.2024 | 21:45 Uhr

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