Nationalstolz
Heute debattierten unsere Volksvertreter im Bundestag nicht nur über das Fehlverhalten von Jürgen Trittin. Nein, von der CDU/CSU wurde die wohl unsinnigste Debatte der Saison noch einmal aufgewärmt: das deutsche Nationalgefühl, der Stolz auf unser Land. Das geschah wohl weniger, um die quälende Diskussion tatsächlich noch um einen intelligenten Beitrag zu bereichern, als vielmehr, um sich doch endlich mal wieder als Volkspartei darzustellen. Wir möchten nun den bereits hinlänglich ausgetragenen Wettbewerb "Wer ist der Stolzeste im Land" wirklich nicht noch weiter fortführen, nur eine Frage wollen wir stellen: Wie kam diese Debatte eigentlich bei denen an, die es tatsächlich interessieren, die es betreffen könnte - bei Traditionalisten, bei Jugendlich und auch bei jungen Rechten?
Was ist deutscher als ein Schützenverein? Vorgestern waren sie alle in Berlin, zum Jubiläum. Sie sind stolz auf Deutschland.
Schützen:
"Damit kann man sich identifizieren. Und solange wie ich mich mit etwas identifizieren kann, kann ich auf stolz drauf sein. Ansonsten würde ich mich nicht damit identifizieren, und dann wäre ich auch nicht stolz drauf.",
"Ich bin auf mein Volk stolz, insgesamt.",
"Ich bin froh, dass ich ein Bayer bin, mehr sag i net."
Hamburg, die 12. Klasse eines Gymnasiums. Gemeinschaftskundeunterricht. Thema heute: die Nationalstolz-Debatte der Politiker.
Schülerinnen und Schüler dazu:
"Es gibt wichtigere Dinge, die in Deutschland hier im politischen Sinne zu regeln sind."
"Ich finde die Debatte eigentlich überflüssig. Ich finde, jeder sollte das für sich selbst entscheiden, das sollte nicht jetzt im Bundestag diskutiert werden."
"Ich glaube den Politikern, so wie sie es in dieser Art und Weise formulieren, glaube ich ihnen das nicht wirklich, weil es einfach so ist: Die Aussage ist undifferenziert. Sie deutet an: Ich bin stolz, Deutscher zu sein, aber was bedeutet für sie Stolz, was bedeutet denn für sie, Deutscher zu sein? Wer ist eigentlich alles Deutscher?"
Wer ist Deutscher? Abstammung etwa spielt hier kaum eine Rolle. Viele Schüler sind stolz auf die Leistungen der Gesellschaft.
Schülerinnen:
"Also ich hab` einen deutschen Pass, bin auch in Deutschland geboren, und meine Mutter kommt aber aus dem Irak, mein Vater ist Deutscher. Aber ich bin halt hier geboren und fühle mich auch als Deutsche. Ich bin in gewisser Weise schon ein Patriot. Ich bin begeistert darüber, wenn die Deutschen zum Beispiel im Sport gewinnen, wenn ein Deutscher Wissenschaftler oder Mediziner Medikamente entwickelt, dann bin ich halt sehr stolz darauf."
"Ich denke schon, dass Stolz eine Sache der eigenen Leistung ist, und ich habe nichts geleistet für Deutschland, ich bin noch viel zu jung, als dass ich jetzt sagen könnte, ich habe irgendwas verändert oder irgendwas aufgebaut. Demnach kann ich nicht von Stolz reden, denke ich. Ich kann sagen, ich habe Glück, ein Deutscher zu sein."
Schüler: "Ich freue mich, hier zu leben, ich bin stolz auf das Land, natürlich nicht, was wir in der Vergangenheit geleistet haben, da nicht."
Niemand hier findet die Nazi-Vergangenheit gut, die Schüler sind vielmehr am heutigen Deutschland interessiert, Gegenwart statt Vergangenheit.
Eisenach. Auch sie sind jung, doch sonst verbindet sie wenig mit den Hamburger Gymnasiasten: rechte Jugendliche. Ihr Glaubensbekenntnis: Sie sind stolz, Deutsche zu sein.
Panorama: "Warum sind Sie stolz, ein Deutscher zu sein?"
Jugendlicher: "Weil ich nun mal stolz bin, hier geboren zu sein." Panorama: "Und einfach nur das oder auf bestimmte konkrete Sachen auch in Deutschland?"
Jugendlicher: "Eigentlich nicht, halt nur, weil ich hier geboren bin, weil mir die Landschaft gut gefällt und so weiter." Panorama: "Worauf sind Sie besonders stolz?"
Jugendlicher: "Dass ich hier bin und nicht irgendwo anders, im Ausland oder was weiß ich."
"Ich bin sehr stolz auf Deutschland. Also meine Meinung - naja, wie soll ich¿s erklären - Scheiße."
"Man kann auf Deutschland stolz sein ganz einfach durch Leute wie Lessing, Luther und wie sie nun alle heißen."
Wie immer diese guten Deutschen auch heißen, was immer das Vaterland ist - viel genauer wissen die Rechten, was sie mit den Politikern vorhaben, die keine stolzen Deutschen sein wollen.
Jugendlicher: "Solche Leute gehören meiner Meinung nach sofort eingesperrt. Ich denke, dass es schon dem deutschen Volk schadet, wenn man dem deutschen Volk förmlich in die Köpfe reinimprägniert, dass man nicht stolz sein muss auf sein Land, auf seine Herkunft. Also ich denke schon, dass man sie auf Grund von Eidesbruch oder Hochverrates anklagen sollte."
Panorama: "Auch den Bundespräsidenten?"
Jugendlicher: "Natürlich. Eigentlich also unserer Meinung nach alle, die im Reichstag sitzen, alle etablierten Politiker."
Wer nicht stolz ist, Deutscher zu sein, soll hinter Gitter. Ein Deutschland, in dem solche Leute frei herumlaufen, lehnen die Rechten ab.
Jugendlicher: "Wir lehnen den derzeitigen Staat eigentlich komplett ab, und wir können auf diesen Staat nicht stolz sein, weil mir auch gar nichts einfallen würde, was diese Regierung oder die vorhergehende Regierung unter Herrn Kohl geleistet hat. Wenn wir stolz auf diesen Staat sein sollten und wenn sich der Spruch: ¿Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein` nur auf den Staat beschränken würde, dann müssten wir uns wirklich alle schämen, Deutsche zu sein."
Nazis schämen sich für das heutige Deutschland. Damals in der DDR etwa sei alles viel besser gewesen.
Jugendliche:
"Die DDR ist für uns, also DDR ist das bessere Deutschland für uns als jetzt die Bundesrepublik Deutschland es darstellt. Es war auf jeden Fall auch das deutschere Deutschland, und ich denke ...."
"Damals hieß das ja nicht Ostpost oder sowjetische Besatzungszonenpost, das hieß bei uns ja noch Deutsche Bahn, Reichsbahn, Nationale Volksarmee. Also in der DDR war noch ein gewisser Nationalstolz vorhanden."
Diffuser Stolz auf das Vergangene, blinder Hass auf die deutsche Gegenwart.
Das Problem mit dem Stolz. Im Schützenverein ist die Sache auch nicht viel einfacher, es sei denn, man ist Schützenkönigin: "Ich bin stolz darauf, dass ich Bundeskönigin bin, das schafft nicht jeder."
"Worauf soll ich da stolz sein? Das ist eine Frage, da kann ich keine Antwort drauf geben."
"Die ganze Debatte, verstehe ich nicht warum", sagt ein anderer. - Da ist er nicht allein. Vielleicht gibt es im Umgang mit diesem Thema bei vielen schon mehr Gelassenheit und Selbstverständlichkeit, als viele unserer Volksvertreter annehmen. Vielleicht brauchen wir die immer wiederkehrende Selbstvergewisserung gar nicht mehr.
