Sendedatum: 20.01.2000 21:00 Uhr

Schweigekartell des CDU-Bundevorstandes

von Bericht: Mathis Feldhoff und Nicola von Hollander

Anmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Kein fröhliches Gesicht - nur zu verständlich.

Die CDU steht - wie das ganze Land - unter Schockstarre. Ein Vierteljahrhundert Parteivorsitz, 16 Jahre Kohl-Regierung, in der so einige sich wie Mitglieder einer Art Staatsmafia aufführten. 16 Jahre lang ein autoritäres, sich selbst isolierendes Regiment mit nur wenigen Vertrauten. Wer aufmuckte, wurde geschasst. Wie konnte das geschehen? Wie konnte die CDU-geführte Regierung den fließenden Übergang zu einem Kohl-Regime schaffen, zu einem Oggersheimer Absolutismus, in dem kaum noch jemand wagte, kritische, unbequeme Fragen - speziell über die Finanzen - zu stellen? Bequemlichkeit, einfach wegschauen, wenn von den unendlich sprudelnden Geldquellen des großen Vorsitzenden die Rede war? Oder einfach Angst vor Sanktionen in der Crew der Kopfnicker, vielleicht auch eine Mischung aus beidem?

VIDEO: Schweigekartell des CDU-Bundesvorstandes (6 Min)

KOMMENTAR:

Ein Ehrenwort zählt bei ihm mehr als Ehrlichkeit - schwarze Konten und unbekannte Spender zeigen, wie achtlos Helmut Kohl mit seiner Partei umgeht. Wer nicht funktionierte, wurde an den Rand gedrängt, wer weiterkommen wollte, schwieg. Mitglieder des CDU-Bundesvorstandes stellen noch heute lieber keine Fragen.

0-Ton

INTERVIEWER:

"Sie waren doch auch dabei, bei den Sitzungen, wo Herr Kohl eine Erklärung abgegeben hat, und keiner hat gefragt - warum eigentlich nicht?"

HERMANN-JOSEF ARENTZ:

(CDU-Bundesvorstand)

"Und ich werde jetzt auch keine Erklärung abgeben."

0-Ton

JÖRG SCHÖNBOHM:

(CDU-Bundesvorstand)

"Es gibt eine ganze Menge Fragen, das ist richtig, aber wir können nicht auf einmal jetzt die ganze Vergangenheit aufarbeiten in einigen wenigen Sätzen."

KOMMENTAR:

Dabei wäre das dringend nötig.

12. Juni 1995.

Der SPIEGEL berichtet ausführlich über die Geldbeschaffung der CDU. Das Hamburger Magazin schreibt schon vor über vier Jahren über den undurchsichtigen Finanzberater mit Namen Horst Weyrauch. Dieser habe verdeckte Gelddepots für die Partei angelegt. Systematisch bunkert der enge Berater Helmut Kohls hohe Summen auf Nebenkonten, heißt es dort. Fragen hatte niemand in der CDU. Statt dessen billige Ausreden.

0-Ton

ANGELA MERKEL:

(CDU-Generalsekretärin, 6.12.99)

"Der SPIEGEL hatte eben auch nur eine Mischung aus Vermutungen und Dingen, die er nicht beweisen konnte, sonst hätte er die Kontonummer veröffentlicht, er hätte die Beträge veröffentlicht, und dann wäre es weitergegangen."

KOMMENTAR:

Angela Merkel hätte nur genauer lesen müssen, dann wäre auch ihr die Kontonummer 52955/06 bei der Frankfurter Hauck Bank aufgefallen. Also stellt PANORAMA zwei Monate nach dem Auftritt in den TAGESTHEMEN die gleiche Frage. Warum hat sie damals nicht nachgefragt?

0-Ton

ANGELA MERKEL:

"Tja, die Frage haben sich ja inzwischen jetzt viele gestellt. Ich muß die Frage allerdings auch an andere Parteien stellen. Schauen Sie, warum ist zum Beispiel darüber nicht mal im Parlament debattiert worden, warum haben die Sozialdemokraten keine Anfragen gestellt?"

KOMMENTAR:

Anstelle von Selbstkritik der Hilferuf nach dem politischen Gegner. Der Offenbarungseid eines Schweigekartells.

Auch er hat nicht nachgefragt.

0-Ton

OLE VON BEUST:

(CDU-Bundesvorstand)

"Man ist hinterher immer klüger. Wissen Sie, es war ein solches Grundvertrauen da zu Helmut Kohl, daß man solche Dinge auch nicht geglaubt hat."

KOMMENTAR:

16 Jahre Minister unter Kohl und keine Fragen?

0-Ton

NORBERT BLÜM:

(Stellv. CDU-Vorsitzender)

"Habe ich keine Entschuldigungen, die Frage ist zu Recht gestellt. Erklären kann ich schon - ich hatte immer andere Sachen im Kopf - ich hatte immer sozialpolitische Fragen im Kopf. Aber es ist keine Entschuldigung. Es ist - Sie stellen die Frage zu Recht, und die muß ich mir auch gefallen lassen."

KOMMENTAR:

30. November 1999.

Helmut Kohl gibt im CDU-Präsidium die schwarzen Konten zu, verliest eine vorbereitete Erklärung. Auch bei dieser Sensation fragt kein CDU-Vorstandsmitglied nach - wieder einmal.

0-Ton

WOLFGANG SCHÄUBLE:

(CDU-Vorsitzender, 11.1.2000)

"Also - nein, Helmut Kohl ist nicht - eine solche Frage, wie in Ihrer ersten Frage inszeniert, ist nicht an ihn im Präsidium gestellt worden."

KOMMENTAR:

Rechtsbruch im Amt - dem CDU-Bundesvorstand fehlen die Worte. Zivilcourage - immer noch Fehlanzeige. Helmut Kohl darf gehen - ungefragt.

Auch sie hatte keine Frage, wollte nicht mehr wissen.

0-Ton

ANGELA MERKEL:

(CDU-Generalsekretärin)

"Nein, ich meine, diese Erklärung war ja ein sehr weitgehender Schritt, und es ist dann manchmal auch die Stunde, dass man einfach auch Respekt hat vor schwierigen Situationen, in denen ein anderer ist."

KOMMENTAR:

Wieso hat er im Vorstand nicht gefragt?

0-Ton

OLE VON BEUST:

(CDU-Bundesvorstand)

"Das Problem der CDU ist sicherlich gewesen, dass viele sich auch hinter dem Rücken Kohls versteckt haben, nach dem Motto: Der Alte wird’s schon richten, und die eigene Zivilcourage, kritisch die Meinung zu sagen, zu prüfen, nachzuhaken, dem untergeordnet wurde. Und das wird nicht mehr gehen, das ist die bittere Lehre."

KOMMENTAR:

8. Januar 2000.

Parteivorstandssitzung in Norderstedt. Kohl-Nachfolger Schäuble deutet in nebulösen Äußerungen an, dass auch er vom Waffenhändler Schreiber bekommen hat. Niemand versteht oder will verstehen. Das Kartell des Schweigens - keiner hat Fragen.

0-Ton

WOLFGANG SCHÄUBLE:

(CDU-Vorsitzender)

"Sie fanden das offenbar nicht so besonders interessant, deswegen war die Wahrnehmung nicht so. Es hat niemand dann weiter nachgefragt."

KOMMENTAR:

Wie sollten sie auch, verpackte Schäuble sein Geständnis doch in unverständliche Worthülsen. Neue Methode nach altem Vorbild. Bis heute ist Kritik in der CDU offensichtlich unerwünscht. Es gab nur eine, die in Norderstedt wagte zu fragen.

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RITA PAWELSKI:

(CDU-Bundesvorstand)

"Der Vorsitzende hat daraufhin - wie man so schön sagt - mich zusammengefaltet, solche Frage wäre unwürdig für ein Vorstandsmitglied. Und es gab dann ein allgemeines Gemurmel. Herr Schäuble hat weitergeredet, aber da ich sehr weit hinten sitze, konnte ich ihn akustisch nicht verstehen. Ich kann also nicht sagen, was er gesagt hat und was er geantwortet hat."

KOMMENTAR:

Hat er ihn verstanden, nachgefragt?

0-Ton

VOLKER RÜHE:

(Stellv. CDU-Vorsitzender)

"Es ist ein bisschen, glaube ich, ein Kommunikationsproblem gewesen, auch mit der Öffentlichkeit."

KOMMENTAR:

Und seine Nachfrage zu Schäubles Geständnis?

0-Ton

OLE VON BEUST:

(CDU-Bundesvorstand)

"Ich hab‘ die Erinnerung eher, daß er es allgemein angedeutet hatte. Und keiner von uns hat diese Andeutung zum Anlass genommen, Fragen zu stellen. Und ich glaube, das spricht eher dafür, dass er allgemein das Problem genannt hatte, ohne es zu spezifizieren. Und das war noch kein Anlass, Fragen zu stellen."

KOMMENTAR:

Vernebelungen, Worthülsen, Schweigen - und kein Ende in Sicht.

0-Ton

RITA PAWELSKI:

"Manchmal wünschte ich mir morgens nach dem Aufwachen, ich habe nur einen schlechten Traum gehabt, und dass das alles überhaupt nicht wahr ist."

Abmoderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Frau Pawelski kann sicher sein, dass sich das alle wünschen, auch diejenigen, die der CDU nicht nahestehen. Wolfgang Schäuble hat heute im Bundestag - nach einer Generalentschuldigung - versichert, man werde für die Zukunft "ausschließen, daß sich sowas wiederholt", so wörtlich.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 20.01.2000 | 21:00 Uhr

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