Lösegeld für Geiseln - Deutsche Provinzpolitiker auf Schlagzeilen-Jagd
Anmoderation
PATRICIA SCHLESINGER:
Seit zwei Monaten sind die Geiseln nun in der Hand ihrer Entführer auf der Insel Jolo. Wie es ihnen gerade geht, wissen wir nicht, aber das ist vielleicht auch ganz gut so. Die philippinische Führung hat weitere Reporterbesuche untersagt, denn die Fernsehbilder, die Interviews mit den Geiseln haben die Arbeit der Regierungen, die Verhandlungen mit den Entführern nicht gerade erleichtert. Philippinische Unterhändler haben der Provinz, für deren Wohl die Entführer ja angeblich kämpfen, nun Entwicklungshilfe angeboten und die Zahlung von Lösegeld abgelehnt. Und das ist die Stunde der Provinzpolitiker in Deutschland, die mit einfach klingenden Lösungsvorschlägen wenigstens einmal nach ganz vorne rücken und mediale Aufmerksamkeit genießen wollen. Wo Diskretion und Diplomatie nötig wären, wird jetzt öffentlich spekuliert. Den Geiseln könnte das massiv schaden.
Annette Krüger-Spitta und Mathis Feldhoff über Gangster, Opfer und Provinzpolitiker.
KOMMENTAR:
Jolo, die ärmste Provinz der Philippinen. Vier Mark am Tag ist das Durchschnittseinkommen. Bettler gehören zum Straßenbild. Die Armut hat hier viele in die Reihen der Abu Sayyaf getrieben, eine Gruppe von gemeinen Banditen, die den Islam missbrauchen, um mit Entführungen Geschäfte zu machen. Die Opfer - meistens Menschen aus dem eigenen Land - aber seit neun Wochen halten philippinische Kidnapper auch Geiseln aus Europa, Südafrika und Malaysia fest. Die Deutschen Werner und Renate Wallert und ihr Sohn Marc sind als Geiselfamilie in aller Welt bekannt - durch die Medien. Die Journalisten bekamen Bilder, die Entführer Geld. Zehntausende Dollar haben die Kidnapper von Reportern bekommen, teils freiwillig, teils unter Druck. Gleichzeitig fragte sich jeder: Warum ist es so schwierig, die Geiseln zu befreien, wenn Kamerateams im Kamp aus und ein gehen.
0-Ton
LUDGER VOLMER:
(Staatsminister Auswärtiges Amt)
"Und diese Bilderflut produziert öffentliche Erwartungen. Sie suggeriert, der Staat könnte oder müßte dieses und jenes tun. Die Bürger, die die Bilder sehen, meinen, wenn sie Journalisten zu den Gefangenen vordringen können, warum kann das nicht der deutsche Botschafter, warum kann nicht der deutsche Außenminister dahin gehen und die einfach rausholen. Und damit werden völlig falsche Erwartungen geweckt."
KOMMENTAR:
Die Geiseln befreien, sie rausholen aus dem Dschungel. Das hat das philippinische Militär bereits versucht und damit das Leben der Gefangenen mehrfach gefährdet. In den ersten Wochen der Entführung wurde ständig geschossen. Das hat die deutsche Regierung kritisiert. Aber natürlich hat man auch in Berlin darüber nachgedacht, das Geiseldrama mit Gewalt zu beenden.
0-Ton
LUDGER VOLMER:
(Staatsminister Auswärtiges Amt)
"Eine militärische Intervention - das hört sich so riesig an, aber wenn man an frühere Fälle, etwa des Einsatzes der GSG 9 denkt, dann weiß man, in welchem Rahmen solche Operationen stattfinden könnten. So was wurde aber nach kurzem Durchspielen ausgeschlossen."
INTERVIEWER:
"Wieso eigentlich?"
LUDGER VOLMER:
"Unser Ziel ist ja, die Geiseln lebend, unversehrt dort frei zu bekommen. Und ein solcher Einsatz wäre insbesondere für die Geiseln lebensgefährlich."
KOMMENTAR:
Was bleibt, sind Verhandlungen, Feilschen um Lösegeld. Zehn Millionen haben die Entführer gefordert, allein für die weiblichen Geiseln. Das Leid beenden, Menschenleben retten. Für die westlichen Regierungen vielleicht ein denkbarer Weg, für die Philippinen eine Katastrophe. Sie lehnen Lösegeld kategorisch ab.
0-Ton
PHILIPPINO
(Übersetzung)
"Ich denke nicht, dass sie Geld bekommen sollten. Dafür kaufen sich die Entführer dann nur noch mehr Waffen und Munition."
KOMMENTAR:
Lösegeld ist also heikel. Und wenn man zahlt, dann möglichst wenig und möglichst geheim. Stattdessen in Deutschland eine breite öffentliche Diskussion ums Lösegeld. Bereitwillig signalisieren Provinzpolitiker in Deutschland den Entführern, man würde schon zahlen. Aus dem Vorgarten Tipps von Abgeordneten zur Geiselbefreiung.
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JOSEF HOLLERITH:
(CSU-Bundestagsabgeordneter)
"Für mich steht an erster Stelle das Leben der Menschen. Da müssen wir uns in dieser Situation auch neu Gedanken machen. Und da zählt für mich auch dazu, dass wir unter Umständen auch Geld geben. Wir haben das ja auch in jüngerer deutscher Geschichte auch gemacht, haben Menschen aus der Ex-DDR freigekauft, weil es eben um die Menschen ging. Hier geht es auch um Menschenleben."
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MAX STADLER:
(FDP-Bundestagsabgeordneter)
"Ich meine, wenn es darum geht, Geld zu zahlen und Leben zu retten, dass das Leben der Geiseln Vorrang hat."
KOMMENTAR:
Vielleicht gut gemeinte, aber naive Äußerungen. Beim Krisenstab in Berlin warnen die Zuständigen vor den Folgen.
0-Ton
LUDGER VOLMER:
(Staatsminister Auswärtiges Amt)
"Wenn wir denen zustimmen würden, wäre das der Auftakt für eine blühende Entführungsindustrie. Das wäre die Aufforderung, die nächste Touristengruppe zu entführen. Und wir würden damit die gesamte Region verunsichern."
KOMMENTAR:
Die Region ist schon gestraft genug. Junge Männer werden Banditen, weil sie keine Schulbildung haben, keine Arbeit. Erpresser im Namen Allahs, dessen Namen sie brüllen, nur für die Kamera. Öffentlich kann man Lösegeld nur ablehnen, auch wenn man im geheimen darüber nachdenken muss. Wer aber offiziell bezahlt, gibt den Entführern Recht und Hoffnung auf mehr Geld beim nächsten Mal.
0-Ton
LUDGER VOLMER:
"Welche Spielräume wir da haben, loten wir immer wieder aus. Aber bis jetzt gibt es keine so richtig durchschlagende Idee. Wenn das Problem nur diskret gelöst werden kann, dann werden wir es auch nicht öffentlich darstellen.
Abmoderation
PATRICIA SCHLESINGER:
So sollte es sein, diskret - auch in der bayerischen Provinz - zum Wohle der Geiseln.
