Schleichweg aus der Sozialversicherung - CDU-Promi Hintze verweigert Sozialabgaben
Anmoderation
PATRICIA SCHLESINGER:
Lauterkeit, Redlichkeit, Ehrlichkeit, alles Begriffe, die wir immer weniger mit unseren Politikern - fast egal welcher Couleur - in Verbindung bringen. Schon gar nicht mit dem ehemaligen CDU-Generalsekretär Peter Hintze, der angestrengte, schwitzende und doch stets brave Erfüllungsgehilfe seines großen Kanzlers. Aber so ganz ernst wurde er in der CDU ohnehin nie genommen. Auch er wurde natürlich jetzt gefragt, was er von den schwarzen Kassen seines Chefs wußte, aber eigentlich geht man davon aus, daß er einfach ahnungslos war. Allerdings kann man annehmen und auch erwarten, dass er wenigstens gewisse Grundkenntnisse hat, wenn es um seine eigenen Belange geht. Für seinen diversen Dienstwagen hat er nicht ausreichend Steuern gezahlt, und Sozialbeiträge meint er auch nicht abführen zu müssen. Offensichtlich ist so einem CDU-Mann wirklich nichts zu peinlich.
Thomas Berbner und Michael Holthus haben sich mit diesem Mann, seinen Ausreden und seiner unglaublichen Ignoranz beschäftigt.
KOMMENTAR:
Seine Plakate wirken heute wie Enthüllungen in eigener Sache. "Sicher in die Welt von morgen" - für Peter Hintze kein Problem. Schließlich spart er ihr die Beiträge für die marode Rentenkasse. Das persönliche Programm des CDU-Generalsekretärs: "Lass dich nicht anzapfen". Hintze behielt die Beiträge für die Arbeitslosenversicherung gleich mit ein. Hintzes Kampagnen zielten auf die Ängste des kleinen Mannes. Lass dich nicht anzapfen - wer hätte gedacht, daß der Saubermann der Christenunion auch die Steuern für seinen Dienstwagen nicht ordnungsgemäß bezahlt hat.
Berlin vor zwei Tagen. Peter Hintze, das kleinste Licht im System Kohl hat seine persönliche Affäre. Und wie in diesen Tagen üblich, will er nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben. Beim Amtsantritt beschloß er: Als Generalsekretär zahle ich keine Sozialbeiträge.
0-Ton
PETER HINTZE:
(Ex-Generalsekretär CDU)
"Ich selber habe damals die Frage aufgeworfen und unserem Steuerberatungs-Wirtschaftsprüfungsbüro Weihrauch & Kapp gestellt. Sie sind der Frage nachgegangen und zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Sozialversicherungspflicht hier nicht besteht."
KOMMENTAR:
Hintzes persönliche Sparpolitik ist besonders peinlich für eine Partei, die die Solidarität in der Rentenversicherung immer demonstrativ vor sich hergetragen hat.
0-Ton
NORBERT BLÜM:
(Ex-Arbeitsminister)
"Wir bleiben unserem Rentenversicherungssystem treu, es gibt kein besseres."
KOMMENTAR:
Mit platten Parolen und PR-Aktionen versuchte die CDU in den neunziger Jahren, die Beitragszahler in Sicherheit zu wiegen. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Generalsekretär den Traum vieler Deutscher schon erfüllt: den Ausstieg aus der Sozialversicherung.
0-Ton
NORBERT BLÜM:
"Ich find' den Hintze gut."
KOMMENTAR:
Heute ist das anders. Lohmen, Mecklenburg-Vorpommern. Kreisgeschäftsführerversammlung der CDU.
0-Töne:
"Als Geschäftsführer eines Kreisverbandes führe ich meine Sozialleistungen ab. Ich finde es nicht in Ordnung, und wenn es so ist, wie es gesagt wurde, dann muß er sich zur Verantwortung ziehen lassen."
"Es ist jetzt schwer für uns, wenn eins nach dem andern jetzt aufgedeckt wird, und ich finde es schon beschämend für die CDU, das muß ich so sagen."
KOMMENTAR:
Kreiskrankenhaus Pinneberg 1985. Der Bundesbeauftragte für den Zivildienst Hintze auf einem Ortstermin.
0-Ton
PETER HINTZE:
"Seit wann machen Sie hier Zivildienst?"
ZIVILDIENSTLEISTENDER:
"Seit Anfang Februar."
PETER HINTZE:
"Und sind Sie hier aus der Gegend?"
ZIVILDIENSTLEISTENDER:
"Ja, zwanzig Kilometer ungefähr."
KOMMENTAR:
Damals wurde Peter Hintze Beamter. Als ihn seine steile Karriere dann auf den Posten des CDU-Generalsekretärs bringt, glaubt er sich sicher vor den lästigen monatlichen Abzügen. Begründung: als ehemaliger Beamter sei er dazu nicht verpflichtet.
0-Ton
PETER HINTZE:
"Darüber gab es zwischen des AOK und der CDU im Jahre 92 einen Schriftwechsel mit der Auffassung der AOK, die der Meinung war, das sein sozialversicherungspflichtig, während wir die Auffassung vertreten haben, es ist nicht versicherungspflichtig, das Beschäftigungsverhältnis."
KOMMENTAR:
Für Hintze die logische Folge: die Beiträge wurden einfach nicht bezahlt. Und das, obwohl für Hintzes Vorgänger Volker Rühe Beiträge entrichtet wurden. Volker Rühe ist als ehemaliger Lehrer ebenfalls Beamter. Peter Hintze, ein Sonderfall im Konrad-Adenauer-Haus.
0-Ton
ANGELA MERKEL:
(Generalsekretärin CDU)
"Ich persönlich zahle Sozialversicherungsbeiträge, und insofern ist das Problem geregelt. Auch Volker Rühe hat solche Sozialversicherungsbeiträge gezahlt. Es ist also ein ganz normaler Vorgang, genauso wie der Bundesgeschäftsführer, auch ein ehemaliger Beamter, heute seine Sozialversicherungsbeiträge zahlt."
KOMMENTAR:
Auch bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte hat man zu Peter Hintze eine klare Position.
0-Ton
LUTZ FREITAG:
(Vorstandsvorsitzender BfA)
"Er ist ja als Beamter ausgeschieden, und er war nicht mehr Beamter in diesem Zeitpunkt. Seine Tätigkeit ist eine Tätigkeit im Rahmen eines privatrechtlichen Vertrages gewesen, die ist völlig neu zu beurteilen. Und aus diesem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis resultiert die Sozialversicherungspflicht. Es gibt eine seltene Ausnahme für Beamte auf Lebenszeit, wenn sie in einer anderen Tätigkeit befreit werden, aber dazu bedarf es eines sehr komplizierten Verfahrens. Vor allem hätte dann die CDU an den Bund Geld zahlen müssen, weil der Bund die Gewährleistung der Versorgung weiter übernommen hätte. Dies wäre völlig absurd, auch politisch überhaupt nicht machbar gewesen, und mir ist auch nichts bekannt über ein solches Verfahren."
KOMMENTAR:
Doch Hintze legte nach: War er als Chef des Adenauer-Hauses überhaupt weisungsgebunden beschäftigt?
0-Ton
PETER HINTZE:
"Es geht ja in der Sozialversicherung um verschiedene Fragen, einmal die Frage: Ist es ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Das müßte man hier fragen, ob das vorliegt."
KOMMENTAR:
Peter Hintze, ein freier Unternehmer im Dienste der Union?
0-Ton
LUTZ FREITAG:
(Vorstandsvorsitzender BfA)
"Herr Hintze war kein Selbständiger, er war - oder hat sich vielleicht verstanden als Selbständiger, aber das ist der typische Fall einer Scheinselbständigkeit. Und eine solche Auffassung, die rechtlich falsch ist, schützt natürlich nicht davor, anschließend sozusagen zur Beitragspflicht herangezogen zu werden."
KOMMENTAR:
Was aber hat Hintze wirklich vor der Zahlung bewahrt? Wurde er als CDU-Generalsekretär einfach geschont? Der genaue Sachverhalt ist unklar. Die zuständige AOK Rheinland gibt keine Auskunft.
0-Ton
LUTZ FREITAG:
"Der Fall von Herrn Hintze ist für mich ein typischer Fall, der bei einer ordnungsgemäßen Abwicklung für den Fall der Weigerung der Beitragszahlung zur Zwangsvollstreckung geführt hätte, d. h. die Beiträge wären eingetrieben worden."
KOMMENTAR:
Vielleicht wäre dem heiteren Christenmenschen Peter Hintze die Diskussion um seine Rentenbeiträge erspart geblieben, hätte er nur mehr nach eigenen Maßstäben gelebt.
0-Ton
INTERVIEWER:
"Wie definiert Peter Hintze das Gewissen?"
PETER HINTZE:
"Gewissen ist eine innere Stimme, die mich zwischen Gut und Böse unterscheiden läßt, so eine innere moralische Instanz, die ganz persönlich ist und die mir halt sagt: Das darfst du tun, und das darfst du nicht tun, und wo ich in Not gerate, wenn ich dieser Stimme selber nicht folge."
Abmoderation
PATRICIA SCHLESINGER:
Ja, das hätte er wohl besser tun sollen. Die alten Griechen haben Politiker, die sich etwas zu schulden kommen ließen, für zehn Jahre ins Exil geschickt. Vielleicht würde es reichen, Herrn Hintze wieder ins Rheinland zu entlassen, zurück in seinen alten Beruf als Pastor. Da könnte er dann - natürlich nicht verbeamtet - Ehrlichkeit und Gerechtigkeit predigen. Hoffentlich hat er wenigstens Kirchensteuern gezahlt. Aufgrund der eindeutigen Aussagen des Vertreters der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte - Sie haben ihn eben im Beitrag gesehen - hat sich die CDU nun übrigens bereit erklärt, die fehlenden Sozialabgaben für ihren ehemaligen Generalsekretär zu begleichen.
