Sendedatum: 25.03.1999 21:00 Uhr

Kosovo 2 - Neue Verantwortung für die deutsche Politik

von Bericht: Michaela May

Moderation

PATRICIA SCHLESINGER:

Die NATO hat den Schritt also getan, den Schritt zum Weltpolizisten. Sie bombardiert Militärstellungen eines souveränen Staates - das allerdings nach langem Zögern und fast schon an der Schwelle zur Lächerlichkeit. Denn wer zu lange droht, ohne zu handeln, macht sich bekanntlich zur Witzfigur. Und es gibt schließlich einen Pazifismus, an dem Tausende zugrunde gehen können, weil man sich im Besitz der besseren Moral glaubt, sich dann einfach zurücklehnt und zusieht. Leicht hat sich die NATO diese Entscheidung also nicht gemacht. Weltpolizist also, zumindest in diesem Fall - unter der Ägide der Amerikaner und unter Beteiligung der Deutschen unter einer rot-grünen Regierung. Noch vor einem Jahr schien das fast undenkbar. Und jetzt? Wie gehen unsere Politiker, unsere Abgeordneten, mit dieser folgenreichen Veränderung und mit dieser Verantwortung um? Michaela May hat sich heute in Bonn umgehört.

VIDEO: Kosovo: Familien der Bundeswehrsoldaten und Geflüchtete (6 Min)

KOMMENTAR:

Bonn, der Bundestag am Nachmittag. Nach der Kosovo-Debatte von heute morgen scheint wieder Normalität eingekehrt. Nur noch wenige Abgeordnete sind im Plenum, die Arbeitsgruppen tagen. Parlamentsalltag? Nicht ganz. Am Computer checkt die grüne Verteidigungsfachfrau Angelika Beer die letzten Meldungen zum Kriegsgeschehen im Kosovo. Als Pazifistin keinen anderen Ausweg zu sehen als Krieg, das sei für sie das Schwerste gewesen. Und dann, als gestern die Meldung vom Angriff kam.

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ANGELIKA BEER:

(Bundestagsabgeordnete Die Grünen)

"Ich hab' vorm Fernseher gestanden und die Hände vor's Gesicht geschlagen, weil mir war zwar - gut, ich bin im Verteidigungsausschuß - mir war klar, wie es sein würde. Aber ich hatte doch irgendwie gehofft, daß Milosevic, selbst Milosevic, das nicht provozieren würde. Aber offensichtlich geht er über Leichen und das mit Begeisterung. Und ich war die erste Zeit vollkommen ratlos. Nur das hilft da nicht, die Verantwortung, und auch den Schmerz, sag' ich mal, den muß man dann aushalten."

KOMMENTAR:

In die Zustimmung zum NATO-Angriff mischt sich bei einigen Abgeordneten aber auch Resignation und Zweifel.

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CLAUDIA ROTH:

(Bundestagsabgeordnete Die Grünen)

"Ich empfinde den Tag, also die Nacht und den Tag heute, eine Zäsur der Geschichte in unserem Land, und ich hoffe nicht, daß das eine Art Normalisierung in Richtung 'Wir sind wieder wer' bringen wird."

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HELMUT HAUSSMANN:

(Bundestagsabgeordneter FDP)

"Als Europäer natürlich denke ich dran, daß Europa doch nicht im Frieden leben kann, solange es Verrückte gibt, und daß wir nicht in der Lage sind, ohne Amerikaner für Frieden einzutreten - das war eigentlich mein zweiter Gedanke."

KOMMENTAR:

Andere empfanden die Nachricht aber auch als durchweg positiv, als Erleichterung, so sagt es Christian Schwarz-Schilling. Er quittierte 1992 sein Ministeramt, als Protest gegen die passive Haltung der damaligen Regierung im Bosnien-Konflikt. Als er die Angriffsbilder heute sah, erinnert er sich an sehr Persönliches.

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CHRISTIAN SCHWARZ-SCHILLING:

(Bundestagsabgeordneter CDU)

"Ich hab' mich daran erinnert, wie amerikanische Bomber nach Berlin flogen und ich sie aus der Nähe von Berlin gesehen habe, und froh war, daß sie da waren, sagte: Hoffentlich werden sie den Krieg bald zu Ende führen, die Amerikaner, weil wir es sehr schwer hatten unter den Nationalsozialisten, meine Familie. Und von daher gesehen sehe ich es vielleicht überhaupt alles etwas anders, als das jemand hier normalerweise sieht, weil für mich Krieg erst dann da ist, der ganz furchtbar ist, wenn Brutalität siegt. Aber wenn wir etwas gegen Brutalität unternehmen - und das war auch damals der Fall - dann ist es eine gewisse Erleichterung, wohl wissend, daß dieses für den einzelnen und für die Familie auch ein schweres Schicksal sein kann. Aber so ist das Leben."

KOMMENTAR:

Geschlossen gegen einen NATO-Einsatz war und ist die PDS-Fraktion. Wolfgang Gehrcke ist ihr außenpolitischer Sprecher. Stets, sagt er, hätten die Kollegen anderer Fraktionen seine Bedenken abgewiegelt.

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WOLFGANG GEHRCKE:

(Bundestagsabgeordneter PDS)

"Ich hab' richtigen Kummer und bin eigentlich sehr traurig und ein stückweit auch verzweifelt, weil ich hoffe, daß man einen Weg daraus findet, und ich glaube, daß dieser Weg sehr schwer wird. Und mir ist es auch ein richtiger Kummer, daß unser Land in solch einen Krieg verwickelt ist."

KOMMENTAR:

Viele in ihrer Fraktion hätten heute schlecht geschlafen, so beschreibt die SPD-Abgeordnete Uta Zapf die Stimmung. Nur mit Bedenken habe sie zum Beispiel selbst im Oktober dem deutschen Einsatz zugestimmt.

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UTA ZAPF:

(Bundestagsabgeordnete SPD)

"Ich fühle einen sehr starken Druck. Ich sitze sozusagen da und warte darauf, gibt es jetzt einen Erfolg, rührt sich war? Und gleichzeitig bin ich bei jeder Information, die ich bekomme, ängstlich: Verschärft sich vielleicht ein Konflikt?"

KOMMENTAR:

So mischen sich heute bei den Bonner Parlamentariern die Gefühle. Gemeinsam ist ihnen vor allem die Hoffnung auf einen Erfolg, auf eine Lösung des Kosovo-Konflikts.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 25.03.1999 | 21:00 Uhr

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