Sendedatum: 26.02.1998 21:45 Uhr

Geld statt Gesundheit - Wie Kassenärzte ihr Einkommen sichern

von Bericht: Bernd Seguin

Anmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

In Deutschland gibt es mehr als genug Ärzte, so viele, daß so einige inzwischen um ihr Einkommen bangen müssen. Wie gut, daß es da Kassenärztliche Vereinigungen gibt, das ist die Selbstverwaltung der niedergelassenen Mediziner. Sie tun etwas für ihre Mitglieder, sie schaffen zum Beispiel lästige Konkurrenz vom Hals - die Krankenhaus-Ambulanzen. Auf diese Weise bleiben die niedergelassenen Ärzte finanziell gesund, aber wie es den chronisch Kranken damit geht, das interessiert offensichtlich nicht weiter.

VIDEO: Geld statt Gesundheit: Wie Kassenärzte ihr Einkommen sichern (7 Min)

Geld oder Gesundheit, die Entscheidung ist gefallen - zugunsten der Ärzte. Das fand Bernd Seguin heraus.

KOMMENTAR:

Drei Frauen, ein Schicksal: Rheuma - eine der qualvollsten Krankheiten der Welt. Seit Jahren werden Rheumapatienten in den Ambulanzen der Krankenhäuser gut und qualifiziert behandelt. Doch damit soll jetzt Schluß sein. Den niedergelassenen Ärzten sind die Krankenhaus-Ambulanzen ein Dorn im Auge. Ihre Interessenvertretung, die Kassenärztliche Vereinigung, will die Rheuma-Patienten für ihre Mitglieder sichern. Das Fatale: Nur die Kassenärztliche Vereinigung darf in Deutschland entscheiden, wer Patienten ambulant behandeln darf.

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ECKHARD SCHUPETA:

(Vorstand DAK)

"Wir stehen da einem Monopolisten gegenüber, und das müssen wir einfach hinnehmen. Ich sehe politisch überhaupt keine Kraft, die in der Lage oder willens wäre, das zu ändern. Das ist motiviert durch Einkommensinteressen, ganz eindeutig, und diese Interessen wahrzunehmen, das ist legitim, aber sie dienen nicht dem Patienten."

KOMMENTAR:

Fakt ist: Die Fachambulanzen bieten Rheumatikern die optimale Versorgung, doch ob sie von den Patienten wirklich genutzt werden darf, das entscheidet mit der Kassenärztlichen Vereinigung die Interessenvertretung der Konkurrenz.

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PROF. ERNST-MARTIN LEMMEL:

(Präsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie)

"Der Verteilungskampf, der im Augenblick läuft im niedergelassenen Bereich, bei zu vielen Ärzten im niedergelassenen Bereich, ist natürlich nichts, was mit Ethik zu tun hat, sondern natürlich was mit Monetik zu tun hat. Und daß hier leider dann auch die Bereiche mit betroffen sind, die in der Tat eine Unterversorung darstellen oder haben, das ist ein sehr bedauerlicher Nebeneffekt."

KOMMENTAR:

Christel Kalesse ist seit ihrem 15. Lebensjahr an Rheuma erkrankt. Wie schlecht es um die Versorgung von Rheumatikern ohnehin schon bestellt ist, hat sie leidvoll erfahren müssen. Ohne die Hilfe in den Ambulanzen jedoch wird sich das Leben der Rheumakranken dramatisch verschlechtern.

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CHRISTEL KALESSE:

(Deutsche Rheumaliga)

"Das ist eine Katastrophe für uns Rheumakranke. Das kann man sich gar nicht vorstellen, was das für Auswirkungen für uns hat, denn schließlich müssen wir uns dann Ärzte suchen in der Umgebung - das sind Allgemeinärzte, das sind Internisten, es gibt ja nur ganz wenige Rheumatologen. Also man rennt schon von Pontius bis Pilatus, um irgendwelche Ergebnisse zu bekommen, und ist dauernd auf Achse, was man ja eigentlich gar nicht kann, was einem ja sehr schwerfällt."

KOMMENTAR:

Die Suche nach einem qualifizierten Arzt ist für Rheumakranke mühsam, denn nur wenige niedergelassene Mediziner haben sich in Rheumatologie ausbilden lassen.

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PROF. MARKOLF HANEFELD:

(Uni-Klinik Dresden)

"Sie wissen, daß an den deutschen Hochschulen die Rheumatologie ebenfalls unterrepräsentiert ist. Achtzig Prozent der deutschen Ärzte verlassen nach wie vor die deutsche Hochschule ohne ausreichende Kenntnis in Rheumatologie."

KOMMENTAR:

In den Ambulanzen der Krankenhäuser und Fachkliniken aber finden Patienten die komplette medizinische und therapeutische Versorgung unter einem Dach - ohne beschwerliche Arztsuche und unzumutbar lange Wege. Ärzte, Krankengymnasten und Physiotherapeuten arbeiten in einem Team. Und die ohnehin vorhandenen teuren Geräte und Einrichtungen für die stationäre Behandlung können so auch für die ambulante Versorgung genutzt werden.

Nächstes Beispiel: Die Stoffwechsel-Ambulanz der Uni-Klinik Dresden. Vor allem ältere Diabetiker werden hier seit Jahren umfassend betreut. Doch die Kassenärztliche Vereinigung hat jetzt eine höchst eigenwillige Diagnose gestellt. Die Uni-Ambulanz und ihre Ärzte seien für die Behandlung der Patienten überflüssig. In Dresden und Umgebung - so die Botschaft - gäbe es genügend niedergelassene Mediziner, um die Zuckerkranken zu behandeln. Merkwürdig nur, daß gerade die niedergelassenen Ärzte ihre Patienten ständig an die Uni-Ambulanz überweisen, weil sie nicht weiter wissen. Verkehrte Welt: Die Zuckerkranken sollen von denen behandelt werden, die es nicht gelernt haben.

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PROF. MARKOLF HANEFELD:

(Uni-Klinik Dresden)

"Diese Politik der Kassenärztlichen Vereinigung geht zu Lasten der Patienten, hat enorme Nachteile für diese, da diese Fachambulanzen und Hochschul-Polykliniken für viele Patienten eine letzte Instanz sind, wo komplizierte Fälle hin überwiesen werden, die anderweitig nicht so behandelt werden können, wie es notwendig wäre."

KOMMENTAR:

Das sehen nicht nur die betroffenen Ambulanzen so. Auch der Präsident der deutschen Ärzteschaft, der von Amts wegen für niedergelassene und Krankenhausärzte sprechen muß, ist nicht bereit, das Wohl der Patienten dem Geldinteresse zu opfern.

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DR. KARSTEN VILMAR:

(Präsident der Bundesärztekammer)

"Man muß eben darauf drängen, daß die Versorgung der Patienten sich dann nach den Notwendigkeiten der Medizin richtet und nicht nach rechtlichen Gegebenheiten. Hier muß sich das Recht den Versorgungsnotwendigkeiten anpassen, aber nicht etwa die Versorgung geltenden Rechtsbestimmungen. Das wäre ja geradezu absurd. Wir müssen erreichen, daß wir die teure Infrastruktur des Krankenhauses sowohl stationär als auch ambulant nutzen können."

KOMMENTAR:

Drittes Beispiel: Krebs, der Alptraum jedes Menschen. Gerade Krebskranke sind darauf angewiesen, daß sie von hochqualifizierten Ärzten behandelt werden, aber auch in ihrer belasteten Situation psycho-soziale Betreuung erfahren. Das geschieht zum Beispiel in der renommierten Krebs-Ambulanz des Krankenhauses Barmbek in Hamburg. Und gerade hier kommt die Kassenärztliche Vereinigung wieder mit dem Standard-Argument: es gäbe genug niedergelassene Ärzte.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung in Köln macht gar keinen Hehl daraus, daß sie vor allem die wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder im Blick hat. Knallharter Lobbyismus, verkündet von Hauptgeschäftsführer Dr. Rainer Hess.

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DR. RAINER HESS:

(Hauptgeschäftsführer der Kassenärztl. Bundesvereinigung)

"Es ist der gesetzliche Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung, die Rechte der Kassenärzte gegenüber den Krankenkassen wahrzunehmen, die ambulante Versorgung mit Kassenärzten primär sicherzustellen, allerdings dort auch andere Leistungserbringer zu akzeptieren, wo Versorgungslücken bestehen. Daß das mit Interessenvertretung verbunden ist, das ist unbestreitbar."

KOMMENTAR:

Auf Einsicht ist da nicht zu hoffen. Krebspatienten und andere chronisch Kranke müssen auf die Änderung der Gesetze hoffen, die den Kassenärztlichen Vereinigungen so viel Macht geben.

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RUTH MILSTER:

(Krebspatientin)

"Ich bin immer wieder erstaunt über diese Ignoranz der Kassenärztlichen Vereinigung, daß sie überhaupt nicht - jedes Gesetz hat die Möglichkeit der Interpretation, und daß sie überhaupt nicht den leisesten Versuch unternehmen da einmal für den Patienten was herauszuholen. Es wird eo ipso mit einem Rasiermesser ein Schnitt gemacht, ganz gleich ob da Patienten runterfallen, sich nicht mehr wiederfinden. Es ist also absolut unerträglich, muß ich sagen."

Abmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Unerträglich, sagt die Krebskranke. So ist es, denn davon sind über zwanzig Millionen Patienten betroffen. Die freie Arztwahl und damit auch die Möglichkeit, sich in einem Krankenhaus ambulant behandelt zu lassen, wird so unterlaufen. Für chronisch Kranke nicht nur eine Zumutung, sondern unter Umständen eine echte Gefährdung.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 26.02.1998 | 21:45 Uhr

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