Sendedatum: 18.09.1997 23:00 Uhr

Teure Gruppenreise nach Brüssel - Wie deutsche Beamte Abschiebeländer für Afrikaner suchen

von Bericht: Gita Ekberg und Gesine Enwaldt

Anmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Ob Schröder, Voscherau, Stoiber oder Kanther, ob Opposition oder Regierung - in Wahlkampfzeiten nimmt die verbale Kraftmeierei zu, da geht auch schon mal die Korrektheit und offensichtlich auch die Wahrnehmung unserer angespannten Realität verloren. Klar, kriminelle Ausländer abschieben, und zwar schnell, solche Forderungen unserer eigentlich ratlosen Politikergarde schaffen nationales Grundgefühl und Mehrheiten. Aber oftmals ist es fast unmöglich, hier straffällig gewordene Ausländer wieder loszuwerden.

VIDEO: Wie deutsche Beamte Abschiebeländer für Afrikaner suchen (7 Min)

Gita Ekberg und Gesine Enwaldt haben eine ganz besondere Reise gemacht, sie haben einen absurden Abschiebe-Trip mit verurteilten Schwarzafrikanern begleitet - nur eine von vielen teuren Fahrten.

KOMMENTAR:

Ein Wagen mit vier Hamburger Beamten, vorne zwei und hinten zwei. Ihr Begehr: Einlaß in die Hamburger Untersuchungshaftanstalt. Es ist 8.30 Uhr, und zwei Häftlinge aus Schwarzafrika warten schon auf den Mitarbeiter der Ausländerbehörde, Jörg Ungewiß, gut gelaunt und quasi der Veranstalter von Dienstreisen der besonderen Art, wie dieser, die uns bis nach Brüssel in die Botschaft Gambias führen wird. Schnell ist der Wagen voll, vorne die zwei von der Ausländerbehörde, in der Mitte die Polizei für die Sicherheit, hinten die beiden Afrikaner. Die Dienstreise beginnt. Erster Halt: Raststätte Ostetal, hier wird die endgültige Reisegruppe zusammengestellt. Die Stimmung ist gut. Ein zweiter Bus ist da, ein dritter Afrikaner, und vier weitere Beamte sind dazugekommen, alle in wichtiger Mission:

0-Ton

JÖRG UNGEWISS:

(Ausländerbehörde Hamburg)

"Was wir hier machen, ist eine sogenannte Botschaftsvorführung, die letztendlich, wie das ganz normal ist bei Konsulats- und Botschaftsvorführungen, der Identitätsfeststellung dienen soll."

KOMMENTAR:

Die Identität gilt es festzustellen bei diesen dreien, die rechtskräftig verurteilt sind, unter anderem wegen Drogendelikten. Denn erst, wenn man weiß, woher sie kommen, kann man sie auch dorthin wieder abschrieben. Jörg Ungewiss will heute beweisen, daß die drei aus Gambia kommen.

0-Ton

JOHNSON: (Übersetzung)

"Ich sehe keinen Grund, warum meine Identität dort festgestellt werden soll. Ich habe schon gesagt, daß ich nicht aus Gambia komme."

INTERVIEWERIN:

"Woher kommen Sie?"

JOHNSON: (Übersetzung)

"Ich bin aus Sierra Leone."

KOMMENTAR:

Heute Sierra Leone, gestern Nigeria, morgen Ghana. Verwirrspiele oder Gedächtnisschwund unter afrikanischen Straftätern sind beliebt, wenn es um das Heimatland geht. Sie wollen nicht sagen, woher sie wirklich kommen, damit sie nicht nach Hause müssen. Es gibt eine Chance, die Nationalität zu beweisen: Ungewiss und seine afrikanische Gruppe müssen einen afrikanischen Botschafter finden, der sagt: Das ist unser Mann. Der nächste Botschafter aus Gambia sitzt in Brüssel, weit weg. Anlaß genug, schon mal über die vorläufige Reisekostenabrechnung nachzudenken: Reine Fahrkosten Brüssel hin und zurück sind 1.500 km mal zwei Busse, sind 3.000 Mark.

Gruppenreisen - man kennt das - werden oft unterbrochen, einer muß immer. Pinkelpause bei der Autobahnpolizei, und die Beamten begleiten die drei aufs Klo. Die anderen langweilen sich draußen. Der richtige Zeitpunkt, die Personalkosten dieser Dienstreise einmal auszurechnen:

Ein Beamter für drei Tage kostet 1.690 Mark, das ganze mal acht, weil es acht Beamte sind, macht 13.520 Mark. Verwirrung nun bei der Frage, wie oft eigentlich solche Reisen stattfinden.

0-Ton

KLAUS INTER:

(LKA 224.5 Hamburg)

"Ja, siebenmal waren wir jetzt in diesem Jahr .... unterwegs, 65 Begleitungen. In diesem Jahr waren es 65 Botschaftsvorführungen, und hinzu kommen dann die Abschiebungen nach Berlin, das ist so etwa zweimal die Woche."

KOMMENTAR:

Und weiter geht es heute mit dem einen oder anderen Zwischenstopp in Richtung Südwesten. Nach siebeneinhalb Stunden erreicht der Trupp Aachen, erste Station der dreitägigen Städtetour. Die drei Afrikaner werden im historisch bedeutsamen und denkmalgeschützten Untersuchungsgefängnis der berühmten Printenstadt untergebracht. In einem Hotel neuerer Bauart finden die acht Beamten ihr Bett. Warum nicht mal über die Hotelkosten nachdenken? Für acht Beamte und für zwei Nächte sind das 16 mal 119 gleich 1.824 Mark, für die drei Afrikaner im Knast werden sechsmal 173, also 1.038 Mark verlangt.

Der nächste Morgen. Die Reiseleiter, mittlerweile in Schlips und Kragen, aufgemotzt für den gambischen Botschafter. Nebenbei bemerkt: In der Nacht sind noch zwei deutsche Grenzschützer dazugekommen, nun ist man also zu zehnt. Es ist 8 Uhr, und die drei Afrikaner warten schon. Die zehnköpfige Gruppe holt rasch ihre Delinquenten ab, und schnell geht's weiter, nun endgültig Richtung Brüssel, die Morgensonne im Rücken.

In Belgien werden die Belgier für die Sicherheit des Transportes sorgen. Aber der Treffpunkt mit ihnen kurz vor der offenen Grenze wurde leider verpaßt. Die Reisegruppe muß nun auf dem Standstreifen auf die belgischen Kollegen warten, ärgerlich, aber schnell vergessen, denn jetzt zeigt sich, wie großzügig die deutsche Reiseleitung geplant hat: Drei belgische Gefangenenbusse wurden bestellt, für jeden Afrikaner einen, dazu die angemessene Polizeistärke.

Jetzt heißt es umsteigen. Die Stimmung ist immer noch gut, die Afrikaner bekommen Gelegenheit zum direkten Kleintransportervergleich. 17 schmucke Beamte unterstützen ihre deutschen Kollegen bei der abenteuerlichen Umsteigeaktion auf der Standspur.

Im sicheren Gewahrsam von 27 europäischen Beamten fahren die drei Afrikaner noch 140 km bis zum gambischen Botschafter. Übrigens - die Reisekosten haben sich noch ein bißchen erhöht, dazu gekommen sind noch die 17 belgischen Reisebegleiter, pauschal 3.105 Mark, die zwei Grenzschützer nicht zu vergessen für 958 Mark, zusammen mit dem Hotel sind das 6.325 Mark, macht alles insgesamt 22.845 Mark.

Verkehrschaos vor der gambischen Botschaft, dem Reiseziel. Passanten fragten uns, ob das hier ein Staatsbesuch sei. Dabei sieht man doch ganz deutlich, daß hier drei Kriminelle jetzt zwecks Identitätsprüfung dem Botschafter vorgeführt werden. Die Gruppe hat Glück wie selten auf diesen Reisen: Der Botschafter hält sich an den verabredeten Termin und ist wirklich zu sprechen. Drei Deutsche durften mit hinein, die anderen 24 warten draußen auf das Ergebnis, und das ist schöner, als die Reiseleitung zu träumen wagte: Der Botschafter hat alle drei als Gambianer anerkannt, auch ihn, der doch eigentlich aus Sierra Leone kommen wollte.

Also jetzt geht's zurück nach Hamburg mit der zweiten Übernachtung in Aachen. Doch vorher heißt es Abschied nehmen von den belgischen Kollegen, vielen Dank, merci und bis zum nächsten Mal - ohne diese 17 hätten wir das nie geschafft.

Abmoderation:

PATRICIA SCHLESINGER:

Offensichtlich wird so der europäische Gedanke auf groteske Weise Wirklichkeit. Deutsche und Belgier schieben gemeinsam Schwarzafrikaner ab, und wir alle zahlen dafür.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 18.09.1997 | 23:00 Uhr

Über Panorama

Kalender © Fotolia.com Foto: Barmaliejus

Panorama-Geschichte

Als erstes politisches Fernsehmagazin ging Panorama am 4. Juni 1961 auf Sendung. Die Geschichte von Panorama ist auch eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. mehr

Anja Reschke © Thomas & Thomas Foto: Thomas Lueders

60 Jahre Panorama

60 Jahre investigativ - unbequem - unabhängig: Panorama ist das älteste Politik-Magazin im deutschen Fernsehen. mehr

Panorama 60 Jahre: Ein Mann steht hinter einer Kamera, dazu der Schriftzug "Panorama" © NDR/ARD Foto: Screenshot

Panorama History Channel

Beiträge nach Themen sortiert und von der Redaktion kuratiert: Der direkte Einstieg in 60 Jahre politische Geschichte. mehr