Stand: 10.05.2018 15:15 Uhr

US-Ausstieg aus Atomdeal: Wenn der Wahnsinn regiert

von Stefan Buchen
US-Präsident Trump verkündet Ausstieg aus dem Atomdeal mit Iran. © Ting Shen/Xinhua/dpa Foto: Ting Shen
Moralische Verwahrlosung: US-Präsident Trump ist nur der Lautsprecher einer Politik, die auf Illusionen beruht.

Ein Hinfiebern auf den Krieg ist unübersehbar. Als wenn es davon nicht schon genug gäbe, scheinen die Vereinigten Staaten es gar nicht erwarten zu können, einen neuen, größeren Krieg im Mittleren Osten zu entfachen. Donald Trump hat den Ausstieg aus dem Atom-Abkommen mit dem Iran erklärt und die Wiederverhängung scharfer Wirtschaftssanktionen gegen den Erzfeind angeordnet. Als er mit seiner Erklärung fertig war, konnte man sehen, wie er an der Saaltür von seinem neuen Sicherheitsberater John Bolton empfangen wurde.

Bolton, nun einer der mächtigsten Männer der amerikanischen Administration, ist im Juli 2017 in Paris bei einem Treffen der exiliranischen "Volksmodschahedin" aufgetreten. Dort proklamierte er vor einigen tausend begeisterten Zuhörern das Ziel seiner Iran-Politik: "Regime Change." Wörtlich sagte Bolton: "Es gibt nur eine Lösung. Wir müssen das Regime austauschen. Wir werden noch vor 2019 gemeinsam in Teheran feiern." Als wäre der inzwischen zum Sicherheitsberater des Präsidenten aufgerückte Außenpolitiker beeindruckt von der schiitischen Zahlenmystik: Die Islamische Republik solle ihren 40. Geburtstag nicht mehr feiern, der in den Februar 2019 fiele. Die Zahl "40" hat im Schiitentum eine besondere Bedeutung.

Eine desaströse Politik der Illusionen

Um es kurz zu sagen: Was hier passiert, ist Wahnsinn. Amerika wird von moralisch Verwahrlosten regiert. Das Schlechteste der amerikanischen Gesellschaft hat sich durch die Institutionen nach oben gespült. In der Iran-Politik zeigt es sein hässliches Gesicht. Bolton, der neue Außenminister Pompeo und Verteidigungsminister Mattis ziehen die Fäden der Iran-Politik. Trump ist nur ihr Lautsprecher nach außen. Wie immer beruht die Politik von Wahnsinnigen auf Illusionen. Die Machthaber in Washington glauben, durch neue Sanktionen die Wirtschafts- und Währungskrise im Iran so verschärfen zu können, dass die Bevölkerung sich erhebt, das Regime in einem Aufstand stürzt und die Amerikaner als Befreier feiert.

Die über allem schwebende Drohung der Vereinigten Staaten: Wenn es sein muss, werden wir mit militärischen Mitteln noch ein wenig nachhelfen. Diese politische Logik hat Trumps ehemaliger Sicherheitsberater Michael Flynn, General im Ruhestand, in seinem Buch "Field of Fight" unverhohlen formuliert. Die Obama-Regierung habe es 2009 versäumt, die damalige Protestwelle im Iran militärisch und geheimdienstlich zu unterstützen. Hätten die Vereinigten Staaten nur robust genug zu Gunsten der Demonstranten eingegriffen, so Flynn, dann würden "die Mullahs" heute nicht mehr in Teheran regieren.

Das Illusionäre daran erklärt sich schon durch den Hinweis, dass die iranische Nation nicht aus ein paar tausend in Paris versammelten halluzinierenden "Jubelpersern" besteht, sondern aus beinahe 80 Millionen Menschen. Eine nicht unerhebliche Minderheit steht treu zum Regime. Die Mehrheit liebt die "Islamische Republik" keineswegs. Aber sie hofft genauso wenig darauf, dass Amerika mit Wirtschaftssanktionen und Krieg das Regime beseitigt.

Die überwältigende Mehrheit der Iraner ist überzeugt, dass Chaos die Folge wäre. Die iranische Bevölkerung ist nicht auf Regierungspropaganda angewiesen, um zu wissen, dass in den Ländern nebenan, in denen die USA "eingegriffen" haben, Chaos herrscht: in Afghanistan, im Irak, in Syrien und anderswo.

Moralisch im Recht

Hassan Rohani, Präsident des Iran. © dpa picture alliance
Der iranische Präsident Hassan Rohani will vorerst am Abkommen festhalten.

Angesichts der politischen Klasse, die jetzt in Washington regiert, fällt es "dem Mullah" Hassan Rohani nicht schwer, seine geistig-moralische Überlegenheit zu zeigen. In seiner Antwort auf Trumps Erklärung bekräftigte der iranische Präsident, sein Land halte sich an das Atom-Abkommen, sei dem Multilateralismus verpflichtet und setze auf die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit den übrigen Vertragsparteien. Die amerikanische Regierung habe, so Rohani, offenbar ihre Hausaufgaben in Geschichte nicht gemacht. Diese habe gezeigt, dass die Iraner eine amerikanische Politik "des Staatsstreichs und des Krieges" gegen ihr Land ablehnten.

Es ist sehr leicht für die Machthaber der Islamischen Republik in diesen Tagen, rhetorisch Recht zu behalten. Ob sie einem Angriff der geballten amerikanischen Militärmacht standhalten können, ist hingegen fraglich. Ausdrücklich wies Rohani darauf hin, dass "die Revolutionsgarden" in Syrien und im Jemen stehen, ein präzedenzlos klarer Hinweis darauf, dass Iran im Ernstfall gegen amerikanische Ziele und Ziele der US-Verbündeten Saudi-Arabien und Israel zurückschlüge.

Das Gespenst eines neuen, größeren und verheerenderen Krieges geht also durch den Mittleren Osten. Die Befürchtungen deutscher Unternehmen, wegen der US-Sanktionen nicht mehr im Iran investieren zu können, erscheinen angesichts dessen fast kleingeistig und provinziell.

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Feindbild Iran

Die aufdringlich lärmende Rolle der israelischen Regierung kann niemand ignorieren. Trump hat sich in seiner Ausstiegserklärung auf "die Beweise" berufen, die Premierminister Netanjahu über das iranische Atomprogramm präsentierte. Die Anti-Iran-Clique in Washington geht mit der Regierung in Jerusalem Hand in Hand. Der israelische Verteidigungsminister Avigdor Lieberman posaunte vor einigen Tagen, es gebe "drei Probleme: Iran, Iran und Iran." Damit plapperte er die Worte des amerikanischen Verteidigungsministers Jim Mattis nach, der sich vor zwei Jahren genauso ausdrückte.

Ist der Wahnsinn zu stoppen? Es wird sehr schwierig. Europa ist schwach. Berlin und Paris werden zwar nicht ermüden, die Vorteile des Atomabkommens hervorzuheben und die "Erschütterung" der Konventionen im Staatenverkehr ebenso zu bedauern wie "den Verlust an Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit" der amerikanischen Regierung. Aber wird das den Krieg verhindern?

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu bei einer Rede. © dpa picture alliance Foto: Guo Yu
Lärmende Rolle: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.

Größere Hoffnung möchte man da noch auf die israelische und die iranische Gesellschaft setzen. Beide würden unter dem neuen Krieg am meisten leiden. In Israel gibt es einerseits viel Angst vor dem Iran. Die hat gewiss gute Gründe. Die Angst wurde aber auch von wechselnden israelischen Regierungen 20 Jahre lang systematisch über jedes vernünftige Maß hinaus geschürt. Netanjahus Bühnenshow war der vorläufige Höhepunkt (oder Tiefpunkt, wenn man es theaterwissenschaftlich betrachten möchte). Andererseits misstrauen viele Israelis Netanjahu und Lieberman. Sie trauen ihnen die Untat zu, sie im Zusammenspiel mit Trumps Clique in einen unnötigen und gefährlichen Krieg hineinzuziehen. Werden sie dagegen aufbegehren? Das würde Eindruck machen.

Der Gegenseite keinen Vorwand für einen Krieg liefern

Ähnliches gilt für die iranische Zivilgesellschaft. Ihr müsste es gelingen, der Führung klar zu machen, dass die Mehrheit der Bevölkerung keine Provokationen, keine Nadelstiche will, die der Gegenseite einen Vorwand für den Krieg liefern. Diese Tatsache ist eigentlich allen Beteiligten bekannt. Man kann sie dieser Tage nur nicht oft genug wiederholen. Der biblische "Friedensfürst", der "sar-shalom", von dessen erlösendem Auftritt die Propheten sprechen, hat einen persischen und einen hebräischen Wortanteil. So verzweifelt ist die Lage, dass der Hinweis auf die lexikalische Zusammensetzung dieses alten Begriffes vielleicht nicht ganz überflüssig sein mag.

Dringender scheint die Überlegung, dass sich israelische und iranische Gesellschaft im Grunde sehr ähnlich sind. Darin liegt das Absurd-Tragische der Situation. Gleichzeitig keimt hier die Hoffnung. Beide Gemeinwesen haben eine lebendige Kultur entwickelt, die auf ähnlichen Werten beruht: der Wille zur Kunst, das Schöpferische, die Erkenntnis, dass "der Mensch nicht vom Brot allein lebt", sind in beiden weit verbreitet. Ebenso der Drang, stets die Tuchfühlung zum modernen Lauf der Zeit und zum wissenschaftlichen Fortschritt zu suchen. Ebenso die soziale Bedeutung der Erziehung und der Gedanke, "dass die Kinder eine gute Zukunft haben sollen."

Verblüffende kulturelle Ähnlichkeiten

Geradezu verblüffend sind die Ähnlichkeiten des jeweiligen Liedguts, sowohl in der Ästhetik als auch hinsichtlich der kulturellen Wertschätzung und der sozialen Rolle, die beide Gesellschaften dieser Kunstform beimessen. Auf Youtube geistert gerade das Video eines improvisierten israelischen Armeechors herum. Die Soldatinnen und Soldaten bieten darin, aus welchem genauen Grund auch immer, ein persisches Chanson dar, das "jeder" kennt. Das Ergebnis ist genauso rührend wie schief. Da sieht man: außer Jagdbomberangriffen über 2.500 Kilometer Entfernung inklusive Betankung in der Luft gibt es noch andere Dinge, die man üben könnte.

Ferdinand Lassalle hat in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts auf die kulturelle Nähe zwischen Deutschen und Franzosen hingewiesen. Er meinte, diese Gemeinsamkeiten, die in Literatur, Kunst und anderem zu Tage träten, widersprächen dem Gedanken, gegeneinander Krieg zu führen. Er warnte auch, dass es bei einem Krieg nicht bleiben würde, weil ein solcher unvermeidliche Rachefeldzüge hervorrufen müsse. Der Rest ist bekanntlich Geschichte und die Frage, warum Europa heute eigentlich so schwach ist, erübrigt sich daher.

Dieser Text erschien zuerst auf dem Portal "Qantara.de - Dialog mit der islamischen Welt".

 

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