Gutachten: Hamburgs Steuergeschenk an Warburg war eine verbotene Beihilfe

Stand: 21.10.2020 18:00 Uhr

Mit dem Verzicht auf Rückforderungen von Cum-Ex-Millionen der Privatbank M.M. Warburg könnten die Hamburger Behörden gegen EU-Recht verstoßen haben.

von Oliver Hollenstein, Oliver Schröm

Mit dem Verzicht auf Rückforderungen von Cum-Ex-Millionen der Privatbank M.M. Warburg könnten die Hamburger Behörden gegen EU-Recht verstoßen haben. Die "Nicht-Unterbindung der steuerrechtlichen Verjährung" sei eine nach EU-Recht verbotene Beihilfe, resümiert der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem Gutachten im Auftrag des Linken-Abgeordneten Fabio de Masi. Der Warburg-Bank sei durch die Unterlassung der Rückforderung ein finanzieller Vorteil gegenüber anderen Privatbanken entstanden, heißt es in dem 13-seitigen Papier, das der ZEIT und Panorama vorliegt. Mit der Maßnahme hätte die Finanzverwaltung unzulässig in den Markt eingegriffen und den Wettbewerb verzerrt.

VIDEO: Cum-Ex-Skandal: Bankier suchte Hilfe bei Scholz (30 Min)

Im März dieses Jahres entschied das Landgericht Bonn, Warburg müsse die Cum-Ex-Millionen komplett zurückzahlen, inklusive der verjährten 47 Millionen Euro. Warburg hat Revision eingelegt. Wenig später, einen Tag vor Beginn der rot-grünen Koalitionsverhandlungen in Hamburg, wurde bekannt, dass auch die Hamburger Finanzverwaltung das Geld nun vollständig zurückfordert. Die Bank wehrt sich dagegen. Ihr wichtigstes Argument: Die Forderungen seien teilweise verjährt.

"Das wäre peinlich für Olaf Scholz"

Ob tatsächlich eine verbotene Beihilfe vorliegt, entscheidet die EU-Kommission. Eine Anfrage des EU-Abgeordneten Martin Schirdewan (Linkspartei) bearbeitet die Kommission noch. Wenn die EU die Verjährung als Beihilfe einstufen würde, müsste die Bank die 47 Millionen Euro unabhängig von der Verjährung in Deutschland zurückzahlen, heißt es in dem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes könne die Kommission Deutschland zur Geltendmachung des Anspruchs zwingen, selbst wenn die Gerichte in Deutschland entscheiden, dass weder das Bonner Gericht noch das Finanzamt die bereits verjährten Millionen einfordern dürfen. "Die zuständigen deutschen Behörden wären bei entsprechender Aufforderung der Kommission, trotz nationaler Verjährung, zur Rückforderung der 47 Millionen Euro samt Zinsen gegen die Warburg Bank verpflichtet."

Der Linken-Bundestagsabgeordnete Fabio de Masi, der das Gutachten in Auftrag gegeben hatte, sieht darin einen weiteren Beleg für das Versagen der Hamburger Behörden in dem Fall. "In der Hamburger Finanzverwaltung und im Hamburger Rathaus hat man sich um EU-Recht offenbar nicht geschert." Er erwarte, dass Brüssel notfalls eingreife, um das verjährte Geld wiederzuholen. "Das wäre peinlich für Olaf Scholz."

Opposition will Parlamentarischen Untersuchungsausschuss

Warum Finanzbehörde und  Steuerverwaltung bereit waren, Steueransprüche in Millionenhöhe mit Blick auf sogenannte Cum-Ex-Geschäfte verjähren zu lassen, während in anderen Bundesländern entsprechende Steueransprüche durchgesetzt wurden, soll im kommenden Jahr ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss in Hamburg klären. Einen entsprechenden Antrag wollen CDU und Linke in der kommenden Woche gemeinsam verabschieden.

Dabei soll es auch um die Rolle des damaligen Bürgermeisters und heutigen SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz gehen. Scholz traf sich 2016 innerhalb weniger Wochen zwei Mal mit Olearius - zu jener Zeit, als im Finanzamt über die Verjährung der 47 Millionen Euro entschieden wurde. Erst nachdem Panorama und "Die Zeit" die Treffen von Scholz mit dem Privatbankier Anfang September enthüllt hatten, räumte sie Scholz weniger später dem Bundestag gegenüber ein. An konkrete Inhalte der Gespräche mit Olearius konnte er sich jedoch nicht erinnern. Eine Einflussnahme auf die Entscheidung der Finanzverwaltung bestreitet Scholz jedenfalls.

Weitere Informationen
Eingang der Warburg-Bank in Hamburg © Screenshot

Cum-Ex-Skandal: Bankier suchte Hilfe bei Scholz

Die Privatbank Warburg hat in der Cum-Ex-Affäre offenbar versucht, Einfluss auf die Hamburger Regierung zu nehmen, um einer Steuerrückzahlung von rund 90 Millionen Euro zu entgehen. mehr

Anja Reschke moderiert Panorama.
30 Min

Cum-Ex-Skandal: Bankier suchte Hilfe bei Scholz

Die Privatbank Warburg hat in der Cum-Ex-Affäre offenbar versucht, Einfluss auf die Hamburger Regierung zu nehmen, um einer Steuerrückzahlung von rund 90 Millionen Euro zu entgehen. 30 Min

Die Schrift über dem Eingang der beschuldigten Warburg-Bank

Cum-Ex-Skandal: Folgt ein Untersuchungsausschuss?

Hamburgs Opposition fordert Aufklärung nach neuen Enthüllungen im Cum-Ex-Skandal: Die Warburg-Bank hatte offenbar versucht, Einfluss auf den Hamburger Senat zu nehmen. Kritik auch von mitregierenden Grünen. mehr

Der Schriftzug CUMEX ist zu sehen, im Hintergrund fallen Geldscheine zu Boden. © NDR

Im Irrgarten des Geldes

Die ersten Angeklagten im Cum-Ex-Skandal stehen vor Gericht. Im Prozess geht es nicht nur um die Aufklärung des größten Steuerraubs aller Zeiten. Es geht auch um die Frage, ob der Rechtsstaat der Komplexität von Finanzmärkten gewachsen ist. extern

Manager-Figürchen auf Euroschein, Symbolbild Business, Geschäftsleute, Vertragsabschluss

Bundesregierung überwacht Aktienhandel nicht auf verdächtige Geschäfte

Die Bundesregierung sagt, dass dem Staat aus steuergetriebenen Aktiengeschäften kein Schaden mehr entsteht. Doch die Finanzaufsicht prüft den Handel gar nicht systematisch mehr

Manager-Figürchen auf Euroschein, Symbolbild Business, Geschäftsleute, Vertragsabschluss

Jahrhundertcoup: Angriff auf Europas Steuerzahler

"Größter Steuerraub der Geschichte Europas": Ein Insider spricht erstmals über den organisierten Griff in die Steuerkassen, auch als Cum-Cum- und Cum-Ex-Geschäfte bekannt. mehr

Geld © vege - Fotolia

Milliarden aus der Staatskasse: Die Steuerräuber

Der Staat hat durch Tricks von Banken und Maklern mehr als 30 Milliarden Euro verloren. Recherchen von Panorama, ZEIT und ZEIT ONLINE belegen nun das Ausmaß des Skandals.   mehr

Die Warburg-Bank © Screenshot

Die zweifelhaften Deals der Warburg-Bank

Die Hamburger Privatbank Warburg präsentiert sich als Haus mit Tradition und Werten. Doch das Bild bekommt Risse. Hat die Bank mit dubiosen Geschäften die Steuerzahler geprellt? mehr

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 03.09.2020 | 21:45 Uhr

Panorama 60 Jahre: Ein Mann steht hinter einer Kamera, dazu der Schriftzug "Panorama" © NDR/ARD Foto: Screenshot

Das Panorama-Archiv

Alle Panorama-Beiträge seit 1961: Stöbern im Archiv nach Jahreszahlen oder mit der Suchfunktion. mehr

Kalender © Fotolia.com Foto: Barmaliejus

Panorama-Geschichte

Als erstes politisches Fernsehmagazin ging Panorama am 4. Juni 1961 auf Sendung. Die Geschichte von Panorama ist auch eine Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. mehr