Ryszard Kukliński, ehem. CIA-Agent.

Oberst Ryszard Kukliński - der Spion, der durch die Ostsee kam    

Stand: 27.03.2022 06:00 Uhr

Vor mehr als 40 Jahren, als Polen noch zum Sowjetblock gehörte, hat ein polnischer Offizier dazu beigetragen, eine russische Invasion in seinem Land zu verhindern. Sie machte ihn zum wohl wichtigsten Spion des Kalten Krieges.

von Patrik Baab und Przemysław Fill

Am 24. Februar 2022 hat Russland die Ukraine überfallen - ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. NATO-Staaten liefern nun Waffen an die Regierung in Kiew. Die Menschen in der Ukraine werden zum Opfer eines Machtspiels zwischen Russland und den Vereinigten Staaten, wie im Kalten Krieg. Damals, vor mehr als 40 Jahren, als Polen noch zum Sowjetblock gehörte, hat ein polnischer Offizier unter Einsatz seines Lebens entscheidend dazu beigetragen, eine russische Invasion in seinem Land zu verhindern. Seine wagemutige Mission begann mit einem Segeltörn auf der Ostsee. Sie machte ihn zum wohl wichtigsten Spion des Kalten Krieges und, wie er bis heute in Polen genannt wird, zum "ersten polnischen Offizier in der NATO".  Seine Yacht - die "Legia" - liegt heute in Gdynia und gehört dem Marine-Yachtclub.

Waghalsige Tour: Kukliński fährt von Danzig Richtung Westen

Am 2. August 1972 bricht er auf zu einer waghalsigen Tour. Mit der "Legia" fährt Ryszard Kukliński von Danzig aus Richtung Westen. Der Segler ist etwas Besonderes: Die "Legia" ist die Yacht des polnischen Generalstabes. Sie ist inzwischen mehr als 50 Jahre alt, ein Zweimaster, ganz aus Mahagoni-Holz. Die anderen Offiziere an Bord glauben, sie starten zu einem ganz normalen Segeltörn. Doch Oberst Ryszard Kukliński plant ein gefährliches Doppelspiel: Der Generalstabsoffizier läuft über zur CIA (Central Intelligence Agency, Auslandsgeheimdienst der Vereinigten Staaten) und wird zum wichtigsten Agenten der Amerikaner hinter dem Eisernen Vorhang.

Die "Legia" auf der Ostsee.
Das Segelschiff "Legia" auf der Ostsee.

Kapitän zur See Jerzy Rusak, einst Ausbilder der polnischen Marine und heute Ehrenvorsitzender des Marine-Yachtclubs Gdynia, erinnert sich: "Ryszard hat bei mir sein Kapitänsdiplom abgelegt. So wurden wir Freunde. Wir haben oft zusammen Wodka getrunken. Aber Ryszard hat sich nie anmerken lassen, dass sich bei ihm etwas verändert hat." Doch da steht sein Entschluss längst fest: Kukliński will zum Feind überlaufen. Seine Mission beginnt in Kiel. Am 25. August 1972 macht die "Legia" an der Kiellinie fest. Ryszard Kukliński verlässt die Yacht unter einem Vorwand: Vor der Heimfahrt wolle er noch Geschenke kaufen für seine Frau. Bei einem geheimen Treffen mit zwei CIA-Offizieren im Hotel Astor erhält er den Decknamen "Jack Strong".

Kiel war ein wichtiger Standort für Kukliński

Dariusz Jabłoński war einer der besten Freunde von Ryszard Kukliński. Heute ist er einer der führenden polnischen Regisseure, vielfach ausgezeichnet, auch für seine Dokumentation "War Games" über den Oberst. Wie wichtig Kiel war - das hat ihm mehr als 30 Jahre später Kukliński selbst erzählt. "In Kiel fand das letzte und entscheidende Treffen mit den CIA-Agenten statt. Dann fuhr die 'Legia' zurück. Dieses letzte Treffen war sehr wichtig, denn da wurde für die Amerikaner klar, dass mit Kukliński sehr wahrscheinlich nichts schiefgeht", erinnert sich Jabłoński.

Der Segeltörn nach Westen hatte den Oberst zuvor durch den Nord-Ostsee-Kanal geführt. Unbemerkt von seinen Kameraden an Bord schreibt er unterwegs heimlich einen Brief an die US-Botschaft in Bonn: "Sehr geehrter Herr, ich entschuldige mich für mein Englisch. Ich bin ein Mitglied der Streitkräfte eines kommunistischen Landes. Ich möchte mich im Geheimen mit einem Offizier der US-Armee in Amsterdam oder Ostende treffen. Dieser Offizier muss Russisch oder Polnisch sprechen."

CIA dachte, er sei ein Provokateur

Beim Stopp in Wilhelmshaven schleicht sich Ryszard Kukliński wieder unter einem Vorwand von Bord. Dann bringt er den Brief zur Post. Erst spät am Abend kehrt er zur "Legia" zurück. Doch sein Alibi ist glaubhaft: "Er kaufte Ersatzteile", so Kapitän zur See, Jerzy Rusak. "Er fuhr ja einen gebrauchten Opel Kapitän. Damit transportierte er in Warschau Baumaterial. Denn Kukliński hatte einige Zeit zuvor ein unrenoviertes Haus bekommen." Dann wird Kukliński bei Treffen in Den Haag, Rotterdam, Ostende und Hamburg von der CIA abgetastet. Dariusz Jabłoński: "Sie dachten zunächst, er sei entweder ein Provokateur oder ein Verrückter. Aber er zeigte ihnen seinen Militärausweis." So wird den Amerikanern allmählich klar: Dieser Mann ist vertrauenswürdig. Er handelt aus Überzeugung. Filip Frąckowiak, heute Direktor des General-Kukliński-Museums in Warschau, hat den Spion als junger Mann kennengelernt. So erfuhr er, wie vorsichtig die CIA-Leute waren: "Ob Ryszard Kukliński vertrauenswürdig war, das war für die Amerikaner zunächst unklar. Aber er konnte Informationen anbieten, die glaubwürdig waren. Denn sie stimmten mit den Angaben, die der US-Geheimdienst aus anderen Quellen zu dieser Zeit gewonnen hatte, überein."

Kukliński bereitet sich als CIA-Agent vor

Geheime Dokumente werden heimlich fotografiert.
Kuklińskis fotografiert in seiner Zeit ungefähr 40.000 Dokumente.

Zurück in Warschau bereitet Kukliński die Arbeit als Agent der CIA vor. Beim ersten Treffen mit einem Vertreter der US-Botschaft auf dem Friedhof Powstancow Warszawskich erhält er zwei winzige Kameras. Damit fotografiert er in den kommenden neun Jahren ungefähr 40.000 streng geheime Dokumente des Warschauer Paktes. "Als Verbindungsoffizier zwischen dem polnischen Generalstab und dem Oberbefehl des Warschauer Paktes", so Filip Frąckowiak, "hatte er Zugang zu streng geheimen Moskauer Dokumenten. Deshalb war er für die Amerikaner so wertvoll." Mit einem Kreidekreuz an einer bestimmten Mauer in Warschau signalisiert er den Amerikanern Zeit und Ort der Übergabe: an der Ampel aus dem vorbeifahrenden Auto, hinter einem losen Stein an einer Mauer, elektronisch, per verschlüsselter Funk-Übertragung.

Der Spion stand kurz vor der Enttarnung

Mehrfach steht Ryszard Kukliński kurz vor der Enttarnung. Einmal stürzte er im Hauptflur des Generalstabes in Warschau und schlug mit dem Kopf an einen Pfosten. Seine Aktenmappe fiel ihm aus der Hand. "Die Geheimdokumente flogen auf dem Boden herum," so Filip Frąckowiak. "Aber andere Offiziere haben ihm geholfen alles wieder einzusammeln. Sie schlugen keinen Alarm, und dass, obwohl Kukliński Dokumente auf dem Weg nach draußen mitnehmen wollte. Niemand hat ihn gestoppt."

Ryszard Kukliński wollte keinen Krieg

Für die Reise mit der "Legia" hat Kukliński gute Gründe. Als Junge erlebt er, wie sein Vater im Krieg von deutschen Truppen verschleppt wird. Er sieht ihn nie wieder. Deshalb meldet er sich zur polnischen Heimatarmee und schlägt nach dem Krieg die Offizierslaufbahn ein. Schnell macht er Karriere. 1968 arbeitet er mit an den Einmarschplänen in die Tschechoslowakische Sozialistische Republik (CSSR). Er erlebt das blutige Ende des Prager Frühlings als junger Generalstabsoffizier. Zwei Jahre später sieht er, wie das Militär Streiks in Danzig blutig niederschlägt. Auch das verarbeitet er nicht.

Oberst Kukliński wirkt mit an den Aufmarschplänen des Warschauer Paktes. Er erkennt: Im Kriegsfall nimmt Moskau einen atomaren Gegenschlag der NATO in Kauf. "Da wurde ihm klar," erinnert sich Dariusz Jabłoński, "wenn seine eigenen strategischen Pläne in die Tat umgesetzt würden, würde die ganze Welt darunter leiden, vor allem Polen und Deutschland. Das wollte er verhindern. Das zeigt seinen außergewöhnlichen Charakter: Er war ein Mann, der keinen Krieg und keinen bewaffneten Konflikt wollte."

Weitere Informationen
Die Lübecker Sternwarte mit einem Teleskop davor. © Bitte eintragen Foto: Bitte eintragen

Zeitreise: Kalter Krieg, Beginn der Raumfahrt und ein Lübecker Astronom

In den 1950er-Jahren beginnt der Kalte Krieg - damit auch der Wettlauf ins All. Ein Astronom aus Lübeck hat damals fleißig mitgemischt. mehr

Thomas Köhler, privat, Lars Borges, FDP, Kuhlmann © Will Media Foto: Thomas Köhler, privat, Lars Borges, FDP, Kuhlmann

Putins Angriff – Krieg ohne Ende?

Seit mehr als drei Wochen führt Russlands Präsident Wladimir Putin Krieg gegen die Ukraine. Unternimmt die Bundesregierung genug, um ihm Einhalt zu gebieten? mehr

Dieses Thema im Programm:

Ostseereport | 10.04.2022 | 18:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Meer und Küste

Die 70er-Jahre