Die Nordreportage: Unsichtbare Helden
Donnerstag, 15. Mai 2025, 18:15 bis
18:45 Uhr
Viele Menschen in Hamburg verlassen abends Büros, Supermärkte, Praxen, fahren mit Bus und Bahn nach Hause, gehen abends feiern und machen sich selten Gedanken darüber, wer hinterher aufräumt, scheuert, bohnert, putzt. Natürlich erwarten alle, saubere Sitze, ein aufgeräumtes Büro, ein reinliches Theater, ein geputztes OP vorzufinden. Doch die Menschen, die in aller Frühe oder nachts hinter den Kulissen arbeiten, denen zu verdanken ist, dass sich nirgendwo Müllberge häufen, bleiben meist unsichtbar.
Im Kreißsaal in Barmbek
"Die Nordreportage" stellt Agartha vor, die in der Asklepios Klinik Barmbek, kaum dass eine Winzigkeit von Mensch das Licht der Welt erblickt hat, den Kreißsaal putzt und scheuert. Chefarzt Dr. Holger Maul ist voll des Lobes. "Wir sind eine große Crew, die eine Geburt betreut: Bei einem Kaiserschnitt stehen ein Arzt und Assistenzarzt, eine Anästhesistin, Hebammen, OP-Schwestern im Kreißsaal. Niemand könnte weiterarbeiten, alles stünde still, wenn Agartha nicht zuverlässig alles sehr schnell und effizient desinfiziert, abwischt, scheuert, putzt. Sie ist ein wichtiges Mitglied unseres Teams."
Auf der Theater-Bühne
Auch im Deutschen SchauSpielHaus hat Marianne gerade viel mit Blut zu tun, wenn auch nur mit Theaterblut. Sobald der Applaus verhallt ist, muss sie nach der Aufführung der griechischen Tragödie Ströme roter Farbe von den weißen Holzplanken der Bühne scheuern und die Sitzreihen durchgehen, damit dort nicht Taschentücher, Programmhefte oder Kaugummis herumliegen. Marianne und auch ihr Kollege Theodor waren schon als Kind eifrige Theaterbesucher. Sie sind der Regisseurin nicht gram. "Nein, ich wünsche mir keine unblutigen Inszenierungen. Ich richte mich nach den Regieeinfällen, und dann bringen wir eben alles wieder in Ordnung. Ich finde die Mischung hier toll. Kultur und die Arbeit im Team."
Auf dem Fischmarkt
Wer nach dem Theater noch feiern oder morgens auf den Fischmarkt geht, zuckelt mit Tüten voller Fische, Bananen und Blumen nach Hause. Wenn dann die Marktleute zusammenpacken, hinterlassen sie Berge von Müll: Kisten, Pappen, Obst- und Gemüsereste. Dann übernehmen 13 Männer der Stadtreinigung das Kommando, fegen alles zusammen, werfen Fischabfälle, Tüten, zerknautschte Kaffeebecher oder zerbrochene Flaschen in den Müllwagen, wo alles knirschend zermalmt wird. Ein neues Teammitglied ist Vladimir aus der Ukraine. Dort war er Lehrer. Jetzt freut er sich, dass er einen Job bei der Stadtreinigung bekommen hat. "Ich muss noch besser Deutsch lernen, aber ich bin froh und dankbar, dass ich in diesem Team eine Chance bekommen habe." Seine Kollegen sind Hamburger, viele von ihnen Einwanderer der zweiten und dritten Generation. Sie unterstützen Vladimir, denn sie alle wissen, dass der Anfang nicht leicht ist.
Im Manstrip-Club auf der Reeperbahn
Carmen lebt auf St. Pauli und ist stolz, zur Olivia-Jones-Familie zu gehören. Nicht nur der Türsteher, auch die knackigen Jungs, die in Olivias Manstrip-Club tanzen, schwärmen von Carmen. Die Besucherinnen kreischen wild, tanzen und packen gern auch mal zu - auf Sauberkeit legen alle Wert. Und dafür sorgt Carmen unbeirrt mit Feudel und Mopp nach wilden Wochenenden.
Im Fernsehstudio
Während Carmen feudelt, ist bei ARD aktuell beim NDR in Lokstedt schon lange Schicht. Die Sprecher*innen der tagesschau verlesen in aller Frühe die neuesten Nachrichten. Einmal vor vielen Jahren wusste der Putzmann nicht so recht, was das Rotlicht bedeutete. Als Susanne Daubner die Zuschauer*innen mit einem "Guten Morgen" begrüßte, rief er ihr fröhlich auch ein "Guten Morgen" entgegen und staubte in aller Seelenruhe weiter den Studiotisch ab. Sie trug es mit Fassung. Heutzutage wird das tageschau-Studio automatisch verschlossen, wenn gesendet wird.
Bohnern im Hauptbahnhof
Jeden Morgen ab 4:00 Uhr ist nicht nur das tagesschau-Studio, sondern auch der Hauptbahnhof lebendig. Eine ganze Brigade scheuert Treppen, Gänge, Handläufe, Bahnsteige. Einer von ihnen ist Kwapu Frimpong, der seit 20 Jahren seine Bohnermaschine durch den Bahnhof steuert. "Ich mache das für meine Tochter. Sie träumt davon, Ärztin zu werden, und für mich ist der Bahnhof eine Art Zuhause", sagt er. Ayvas Sakir schrubbt die Treppen, die zum Bahnsteig führen. Zu Hause gibt er nicht den Patriarchen. "Wenn ich nachher nach Hause komme, überlasse ich das Putzen nicht meiner Frau. Wir teilen uns die Arbeit. Ich weiß ja, wie es geht und kann fegen und wischen." Wie lebt er mit der Unsichtbarkeit, der mangelnden Anerkennung. Sakir lächelt: "Die meisten sind nett. Viele sagen auch, ‚danke, dass Sie das hier machen`. Aber natürlich sehen auch manche auf mich herab und beschimpfen mich. Ich höre dann einfach nicht hin". Ein Philosoph mit Besen.
Hausmann im Nobelhotel
Auch im Hotel Fontenay führt keine Hausdame das Regiment, sondern ein Hausmann. Thorsten Garbade ist dafür zuständig, dass Gäste im Nobelhotel kein Stäubchen stört. Seine Mannschaft ist eine Art Vereinte Nationen: Die Mitarbeitenden kommen aus Afghanistan und Brasilien, der Ukraine und Rumänien. Sie beziehen Betten, wischen Tische ab, bohnern Flure. Der "Hausmann" überprüft dann jede Ecke, das Bad, die Spiegel, die Betten. Thorsten Garbade war schon in Luxushotels wie Louis C. Jacob, Vier Jahreszeiten, Mandarin Oriental in London tätig.
Zweitjob in Büros
Wenn alles blinkt, die neuen Gäste in der Nobelherberge einchecken, beginnt unweit des Hotels für Elvira und Veronika die zweite Schicht. Tagsüber arbeiten sie in einer Bäckerei. Abends verdienen sie sich in Büros am Alsterufer noch etwas dazu. Ihr Chef ist froh, dass sie zuverlässig und pünktlich auf der Matte stehen. Er stöhnt: Fürs Putzen muss man keinen Uniabschluss haben. Trotzdem ist es verdammt schwer, Menschen zu finden, die bereit sind, diese Arbeit zu machen, zu putzen und zu scheuern."
Wenn abends nach der Vorstellung die Narbe von Harry Potter weggeputzt wird, würde Schauspieler Dario Denegri gern noch weiter zaubern können. "Ich bin mein eigener Haus-Elf", lacht er. "Bei mir putzt keiner. Das mache ich selbst." Auch im Theater werden Maske, Foyer und der Theatersaal nicht von Haus-Elfen geputzt, sondern ab 6:00 Uhr morgens von Uta Maule, Klempner Bojang Nyaga aus Gambia und Kwaku Yeboah, Medizinstudierender aus Ghana. Dr. Kwaku nennen ihn alle hier.
"Die Nordreportage" zeigt, wer die Stadt am Laufen hält, wie viele Menschen hinter den Kulissen arbeiten, wem zu verdanken ist, dass sich in Hamburg keine Müllberge häufen.
Eine Hommage an die Frauen und Männer, ohne die nichts liefe, weil alle im Dreck ersticken würden. Ein Blick aus der Perspektive derer, die meist unsichtbar bleiben.
- Produktionsleiter/in
- Thorsten Köpp
- Redaktion
- Arne Siebert
- Dirk Külper
- Autor/in
- Rita Knobel-Ulrich
