Schockwellen

Nachrichten aus der Pandemie

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, 15. Februar 2023, 00:00 bis 01:30 Uhr

"Schockwellen. Nachrichten aus der Pandemie" montiert Nachrichten, Reportagen, Talkshows, Live-Schaltungen, Videoblogs. Sie bilden zusammen die Grundlage für einen vielstimmigen Chor, der die Geschichte der Pandemie anstimmt, sie verdichtet und ihr seit Januar 2020 mit einem Fokus auf Deutschland folgt. Eine Chronik der Verheerung ist ebenso zu sehen wie eine Chronik der Zerrissenheit und der Auflehnung: gegen das Virus, gegen das Schicksal, gegen die Wirklichkeit.

Die Welt schaut in Echtzeit zu

Zu sehen ist eine Pandemie, die erst nach und nach ihren ganzen Schrecken verbreitet und bis in die letzten Winkel der Gesellschaft vordringt, während die Welt ihr dabei in Echtzeit zuschaut und die Augen auf die Liveticker gerichtet sind, von den ersten Nachrichten aus China bis zu den Scheiterhaufen in Indien. Alle sind Getriebene, Regierende wie Regierte, Zuschauer*innen wie Protagonist*innen. Entscheidungen müssen im Augenblick gefasst werden, vor Publikum, ohne Netz und doppeltem Boden. Wellen und Wellenbrecher, Masken und Maskenverweigerer. Neue Begriffe erobern den Alltag, Abstand wird zur Norm, der Alltag bekommt ein neues Gesicht: in der Politik, an den Arbeitsplätzen, in den Schulen und Theatern. Menschen verharren in ihren Wohnungen und verzweifeln. Risse in der Gesellschaft werden sichtbar und zu tiefen Wunden.

Dezember 2020: Der Impfstoff ist da. © NDR/rbb/ZDF
Dezember 2020: Der Impfstoff ist da.

Mit der Pandemie breitet sich auch das Wissen über sie aus. Erkenntnisse der Forschung zirkulieren in den Netzen, Wissenschaftler werden zu Politikberateden, Epidemiologen sagen die Kurven der nächsten Welle voraus, Impfstoffe werden in Rekordzeit entwickelt. Mit dem Wissen wächst aber auch der Zweifel an den Virolog*innen und Politiker*innen. Und hinter dem Zweifel lauert der Verdacht. Je länger das Ereignis Pandemie anhält, desto mehr wird es zu einem zähen und nicht enden wollenden Zustand. Einem Zustand mit der Kraft, die politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Systeme zu sprengen. Es ist eine Herausforderung, deren geheime Botschaft lautet: nach der Krise ist vor der Krise.

COVID-19 ist die erste Pandemie, die live von der Welt verfolgt wird. Der Film erzählt sie chronologisch, auf Augenhöhe mit der Entwicklung, ausschließlich über Archivmaterial, ohne Kommentar: direkt, unvermittelt, ungefiltert. Dabei collagiert er die Ereignisse zu einem Porträt der Gegenwart. Zu sehen ist eine Gesellschaft in Zeiten der Krise, erfasst von den Schockwellen der Pandemie.

Europa wird bald eines Besseren belehrt

Anlässlich der Neujahrsansprache am Silvesterabend 2019 ruft die seinerzeitige Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren Landsleuten zu: "Die 2020er-Jahre können gute Jahre werden". Am 6. Januar berichten die Nachrichten zum ersten Mal über eine seltsame Lungenkrankheit in China. Wahrscheinlich eine Zoonose, ein Virus, das von einem Tier auf einen Menschen übertragen worden sei. Ab Mitte Januar ändern sich die Nachrichten. Es gibt den ersten Coronafall in den USA, die Hauptstadt Wuhan der zentralchinesischen Provinz Hubei wird zuerst abgeriegelt, dann unter Quarantäne gestellt. Bilder tauchen auf, die an ein Land im Kriegszustand erinnern: Polizist*innen patrouillieren in menschenleeren Straßen, Bürger*innen werden in Wohnungen eingeschlossen, es herrscht ein Ausgangsverbot in Wuhan und anderen Provinzen Chinas. Undenkbar in Europa, sagen die Expert*innen. Und werden bald eines Besseren belehrt.

Im Fernsehen berichtet der damalige Gesundheitsminister Deutschlands, Jens Spahn, Ende Januar, man nehme die Sache ernst, behalte aber kühlen Kopf. Außerdem müsse man die Krankheit einordnen, Risiko lauere an jeder Ecke. Der Virologe Christia Drosten ist mittlerweile nachdenklich: Eine Pandemie sei möglich, sagt er in einer Talkshow, und ein Impfstoff in weiter Ferne. Sieht man die Bilder heute, scheinen sie wie aus einem anderen Zeitalter. Das Rätselraten der Expert*innen, die Zweifel der Politiker*innen, die Unfassbarkeit des Ereignisses. Es scheint zu groß und zu viel infrage zu stellen, zu sehr die Normalität zu bedrohen und das Ende einer Zeit zu markieren. Niemand will wahrhaben, was bald wahr werden wird.

Autor/in
Volker Heise
Regie
Volker Heise
Redaktion
Rolf Bergmann
Eric Friedler
Produktionsleiter/in
Frederik Keunecke
Redaktion
Timo Großpietsch
NDR Logo
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