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Zerstörte Heimat: Die Ukraine, Russland und ich

Montag, 16. Mai 2022, 22:00 bis 22:45 Uhr

Früher hat Pavel auf Hochzeiten fotografiert. In seiner Heimatstadt Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, ganz im Nordosten des Landes. Bilder von glücklichen Paaren. Jetzt macht er Bilder von Ruinen, von zerstörten Wohnungen und von Menschen, die ihre Liebsten verloren haben. Auch um Kriegsverbrechen zu dokumentieren. "Ich hätte früher nie gedacht, dass ich zu so etwas fähig wäre", sagt Pavel. Trotz allem möchte er bleiben. Ein Leben woanders kann er sich nicht vorstellen.

Bürgerinnen und Bürger kämpfen für Charkiw als Teil der Ukraine

Die Autor*innen Lennart Banholzer und Alexandra Bidian haben in den vergangenen Wochen verschiedene Menschen aus Charkiw getroffen und auf ihrem schwierigen Weg durch den Krieg begleitet. Sie sind geblieben, geflohen oder leben seit Jahren in Deutschland. Sie alle sprechen Russisch und kämpfen gleichzeitig dafür, dass ihre Stadt Teil der Ukraine bleibt. Charkiw liegt nah an der russischen Grenze. Früher gab es hier einen regen Austausch zwischen den beiden Ländern.

Dolmetscherin Anna - geflohen vor den russischen Bomben

Zwischenstation Ungarn, Anna hat ihre Heimatstadt Charkiw verlassen. Sie hielt den Druck des Krieges nicht mehr aus. © NDR/Alexandra Bidian
Zwischenstation Ungarn, Anna hat ihre Heimatstadt Charkiw verlassen. Sie hielt den Druck des Krieges nicht mehr aus.

"Ich fühle mich wie eine Schnecke, die ihr Schneckenhaus verloren hat", sagt Anna. Sie hatte sich dort ihr Leben aufgebaut. Sie ging oft in Cafés, in denen man sie schon kannte, arbeitete als Dolmetscherin, hatte eine schöne Wohnung. Nun ist sie geflohen, weil sie nicht mehr konnte. Rund um die Uhr die russischen Bomben und die Angst - so anders als alles, was vorher war. Zu gehen war schwer, ihr Freund musste bleiben.

Hamburger Studentin Kateryna organisiert Ukraine-Demos

Kateryna ist Studierende in Hamburg. Früher war sie aufgeregt, wenn sie vor vielen Menschen sprechen musste. Mittlerweile ist es für sie Alltag geworden. Sie ist eine der Organisator*innen der wöchentlichen Demonstrationen für die Ukraine in Hamburg, will die Aufmerksamkeit auf die Situation der Menschen vor Ort lenken, fordert von Deutschland mehr Waffenlieferungen.

Sie selbst wurde in Charkiw geboren. Ihr Vater und ihre Großeltern sind noch da. Wenn Kateryna mit ihnen telefoniert, hört sie im Hintergrund die Detonationen.

Tennislehrer hat Hilfsorganisation gegründet

Max möchte etwas für sein Land tun und hat eine Hilfsorganisation gegründet. Seine Mutter lebt in Charkiw. © NDR/Alexandra Bidian
Max möchte etwas für sein Land tun und hat eine Hilfsorganisation gegründet. Seine Mutter lebt in Charkiw.

Max schläft seit Wochen kaum noch. Ständig klingelt sein Handy. Das Haus an der polnisch-ukrainischen Grenze, in dem er jetzt mit anderen Freiwilligen und Geflüchteten lebt, steht voller Kisten mit Hilfsgütern. Vor dem Krieg war er Tennislehrer in Deutschland.

Jetzt hat er die Hilfsorganisation IMES mitgegründet und alles aufgegeben, um sein Land zu unterstützen. Und das nicht zum ersten Mal. 2014 war er in Charkiw bei der Revolution, dem Euromaidan dabei. Damals war er noch Studierender und verteidigte als Demonstrierender ukrainische Regierungsgebäude gegen prorussische Angreifer.

Hintergründiger Blick in die ukrainische Geschichte

Lennart Banholzer und Alexandra Bidian über Menschen aus Charkiw und das, was der Krieg mit ihnen macht. Über eine jahrelange Entfremdung von Russland, das für sie nie ein Bruderstaat war. Ein hintergründiger Blick in die jüngere ukrainische Geschichte, die lange wenig Beachtung in Deutschland fand.

Weitere Informationen
Montage: im Hintergrund der Grenzübergang Medyka an der polnisch-ukrainischen Grenze. Im Vordergrund rechts zwei Männer und eine Frau, Protagonist:innen aus der Doku Eine Fahrt an den Rand des Krieges. Rechts unten ein fahrendes Auto. © NDR | Picture-Alliance Foto: Alex Grantl | Kay Nietfeld

Ukraine: Eine Fahrt an den Rand des Krieges

An der Grenze helfen? Oder doch in der Ukraine gegen Putins Armee kämpfen? Unterwegs mit Norddeutschen Richtung Krieg. mehr

Helfer packen Medikamente und anderen Hilfsgüter von einem LKW der Freiwilligen Feuerwehr. © dpa-Bildfunk Foto: Julian Stratenschulte

Flucht vor Ukraine-Krieg: Weniger Spenden, viele Probleme

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Autor/in
Alexandra Bidian
Lennart Banholzer
Produktionsleiter/in
Anja Reingold
Redaktion
Ben Bolz
Redaktionsleiter/in
Kathrin Becker