Außenansicht eines verfallenen Hauses © NDR
Außenansicht eines verfallenen Hauses © NDR
Außenansicht eines verfallenen Hauses © NDR
AUDIO: #96 Lost Places - "verlorene" Orte an der Seenplatte (31 Min)

Podcast Dorf Stadt Kreis: Lost Places in der Mecklenburgischen Seenplatte

Stand: 13.10.2022 10:09 Uhr

Was haben ein leerstehender Schlachthof und ein ehemaliges Ferienlager gemeinsam? Sie sind Lost Places der Mecklenburgischen Seenplatte. Stadtführer Robert Behrendt bietet in Neustrelitz Führungen zu diesen "verlorenen" Orten an.

von Thomas Köhler

Meistens sind es nur ein, zwei oder drei Personen, die Stadtführer Robert Behrendt zu den Lost Places der Mecklenburgischen Seenplatte begleitet. Oft kommen sie aus anderen Bundesländern, vereinzelt auch aus den USA oder anderen Staaten. Dann haben sie meist ihre familiären Wurzeln in der Region Mecklenburg-Strelitz.

Viele Lost Places an der Mecklenburgischen Seenplatte noch unentdeckt

"Unsere Region hat besonders viele Lost Places zu bieten“, erklärt Behrendt. Das begründet er vor allem damit, dass seit den 1930er-Jahren an vielen Ecken Aufrüstung betrieben wurde, sich nach 1945 hier die Sowjetarmee ansiedelte und diese Orte mittlerweile verwaist sind.

Rund 30 dieser Lost Places hat Behrendt in seinem Programm. Wie viele es geben könnte, vermag er nicht einzuschätzen. "Die Dunkelziffer ist vermutlich um ein Vielfaches größer. Es wäre wirklich interessant, das mal mit Hilfe einer Studie herauszufinden.“ Dabei verweist er zuerst auf die vielen Wüstungen, die es in der Region gibt. Ehemals bewohnte Orte, die im Laufe der Jahrhunderte geschleift oder durch Kriege zerstört wurden oder die Einwohner einfach ausstarben.

Ehemaliger Schlachthof in Neustrelitz bald mit neuer Nutzung

Aus seinem Programm wird Robert Behrendt demnächst wohl den alten Schlachthof in Neustrelitz streichen müssen. Denn nach den vielen Jahren des Leerstands zeichnet sich eine Perspektive ab. Zwei Unternehmer aus Neustrelitz sind dabei, ihn zu kaufen. Sie wollen daraus einen Gewerbepark machen. Hier sollen sich Logistiker, Büros und Handwerker ansiedeln können. "Ende Oktober soll es los gehen“, berichtet Behrendt. Ein Hausmeister und ein mannshoher Zaun haben 27 Jahre lang dafür gesorgt, dass das Grundstück einen auf den ersten Blick einladenden Eindruck hinterlässt.

Agrarökonomie der 1990er Jahre eine Fehlentwicklung

1993 wurde der Schlachthof von dem Unternehmen "Moksel“ aus Süddeutschland gebaut und in Betrieb genommen. Zwei Jahre lang wurden hier Schweine geschlachtet. Dann war Schluss. Zum einen, weil die Agrarökonomie der 1990er Jahre mit immer größeren Produktionseinheiten laut Landwirtschaftsminister Till Backhaus eine Fehlentwicklung war, zum anderen geriet Moksel 1994 in wirtschaftliche Schieflage. Wohl auch weil das Unternehmen jahrelang am bundesdeutschen Fiskus vorbei gewirtschaftet hatte, wie der SPIEGEL im Jahr 1991 in einer mehrseitigen Reportage berichtete.

Dabei soll es sehr enge Verknüpfungen mit dem Ko-Ko-Unternehmen um Leiter und Stasi-Offizier Alexander Schalck-Golodkowski gegeben haben. 2010 scheiterte auch der Plan, in Neustrelitz Hähnchen zu schlachten. Das Interesse der "Friki“ GmbH verlief im Sande. Nun scheint die Millionen D-Mark teure Investruine erstmals eine Perspektive zu bekommen.

Kinderferienlager des VEB Minol in Diemitz

Außenansicht eines verfallenen Hauses © NDR
Ehemaliges Kinderferienlager des VEB Minol in Diemitz

Um die Zukunft des ehemaligen Kinderferienlagers des VEB Minol in Diemitz dagegen scheint es eher düster zu stehen. 1991 habe es ein Konzept für einen Ferienpark gegeben, bestätigt das zuständige Amt der Mecklenburgische Seenplatte. Das sei inzwischen hinfällig und seitdem habe man nichts weiter über eventuelle Vorhaben gehört.

Mitten im Wald, nur einen Steinwurf entfernt von einem Badesee, der schon zum Land Brandenburg gehört, gammelt ein Dutzend Baracken vor sich hin. Stürme haben auf so manches Dach Bäume krachen lassen. Wände sind mit Graffiti übersät. Freiflächen sind nahezu wieder zugewachsen. Tausende Mädchen und Jungen verbrachten hier "die schönsten Tage ihres Lebens“, wie sie in Blogs schwärmen. Manch einer pilgert heutzutage sogar an diesen "verlorenen" Ort und stellt seine Erinnerungen ins Internet.

Verlassene Kasernen in Rechlin

Während Spaziergänger die Diemitzer Baracken unmittelbar an einem Weg zwischen Wald und Pferdekoppel erblicken, sind die Rechliner Ruinen mitten in einem Wald an der Müritz versteckt. Erbaut wurden die Häuser zu Zeiten des Nationalsozialismus, als in Rechlin eine Lufterprobungsstelle mit Hochdruck betrieben wurde. Ziel war es "Wunderwaffen“ zu schaffen, die den deutschen Sieg sicherstellen sollten. 1945 wurde Rechlin bombardiert. Fehlgezündete Bomben werden noch heute im Erdboden des Ortes gefunden.

Von der Lufterprobungsstelle über die Sowjetarmee bis nach Dubai

Nach Hitlers Niederlage zog in Rechlin die Sowjetarmee ein. Der Ort wurde geteilt, ehe die Besatzer als Freunde 1993 wieder abzogen. Seitdem stehen auch die vermutlich als Speisesaal und Krankenhaus genutzten Gebäude mitten im Wald leer und verfallen. Riesige Löcher prangen in den Fassaden und Dächern. Aus den Balken des Daches wachsen Birken. "Hier holt sich die Natur zurück, was ihr gehört“, erklärt Behrendt schmunzelnd.

Daneben liegen stapelweise Wellasbestplatten. "Bei manchem Grundstück scheint die Entsorgung der Altlasten mehr zu kosten, als das Grundstück wert ist“, meint Behrendt. Das sei jedoch nicht der Grund, warum hier alles brach liege, erklärt Bürgermeister Wolf-Dieter Ringguth: "Reichsvermögen ist Bundesvermögen. Dieser Satz steht im Einigungsvertrag.“ Der Bund habe die Grundstücke ohne Rücksprache mit der Gemeinde verkauft.

Inzwischen seien diese weiter veräußert worden unter anderem nach Dubai. Ansprechpartner hat Ringguth dort nicht. Aber er möchte sich nicht ausmalen, was passieren würde, wenn hier mal Menschen zu Schaden kommen würden. Deshalb warnt Behrendt auch ausdrücklich: Lost Places seien keine Spielplätze! Schon gar nicht für Kinder.

Thema im Podcast Dorf Stadt Kreis

In der neuen Folge vom Podcast "Dorf Stadt Kreis“ begleiten wir den Stadtführer Robert Behrendt durch die "verlorenen" Orte der mecklenburgischen Seenplatte.

Weitere Informationen
NDR 1 Radio MV - Dorf Stadt Kreis: Annette Ewen und Mirja Freye © iStock Foto: golero
31 Min

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | 13.10.2022 | 09:55 Uhr