Was darf Satire?

Politische Satire ist seit jeher fester Bestandteil des öffentlich-rechtlichen Programmangebots. Doch wie verhält es sich mit Comedy, die vor allem beim jüngeren Publikum beliebt ist? Die Grenzen sind fließend. Beide bedienen sich ähnlicher Stilmittel, von Provokation und Überspitzung über Polemik bis zum Tabubruch. Aber wo ist die Grenze? So war beispielsweise die "Stauffenberg"-Parodie in der ARD-Late-Night-Show "Schmidt & Pocher" Anlass für eine Debatte darüber, was zum öffentlich-rechtlichen Programmauftrag passt.

Jesko Friedrich, Autor, Regisseur und Darsteller in der NDR Satire-Sendung Extra 3 mit dem Versuch einer Definition und Abgrenzung

Was darf Satire?
Darf Satire scherzhaft mit Drittem Reich und Holocaust umgehen?
Darf Satire Jürgen Klinsmann in einer Fotomontage als Jesus am Kreuz zeigen?
Darf Satire sich mit Comedy vermischen?

Kurt Tucholsky © akg-images
Kurt Tucholsky, Schriftsteller und Mitherausgeber der Zeitschrift "Weltbühne" um 1931.

Fragen wie diese sind schwer zu beantworten, und die meisten Beispiele, die ich anführen werde, sind Grenzfälle, zu denen es gegensätzliche Meinungen gibt. Tucholsky beantwortet im Jahre 1919 die Frage "Was darf die Satire?" noch mit "Alles". Würde er 90 Jahre später angesichts des Holocaust und beispielsweise Oliver Pochers Umgang damit immer noch dieselbe Antwort geben? Klären wir zunächst, was Satire eigentlich ist. Später werden wir dann versuchen, die oben genannten Fragen zu beantworten. Ich werde mich dabei auf aktuelle deutsche Fernsehsatire konzentrieren und insbesondere Beispiele aus meinem Arbeitsalltag beim Satiremagazin extra 3 anführen. Satire, wie ich sie zum Beispiel bei extra 3 mache, will - nach Möglichkeit unterhaltsam - informieren, aber vor allem eine klare und kritische Meinung äußern und deutlich Stellung zu aktuellen Ereignissen beziehen. Darüber hinaus will sie ihrem Publikum ein Bewusstsein all dessen vermitteln, was im Lande nicht funktioniert oder falsch läuft. Im besten Falle lacht der Zuschauer, lernt etwas dabei und setzt diese Erkenntnis dazu ein, aktiv an der Beseitigung von Missständen mitzuwirken. Wie will Satire diese Ziele erreichen?

Missstände beseitigen

Im Jahr 1795 schreibt Schiller: "In der Satyre wird die Wirklichkeit als Mangel dem Ideal als der höchsten Realität gegenübergestellt." Noch kämpferischer formuliert Tucholsky: "Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: Er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an." Also: Satire ist in erster Linie gegen etwas gerichtet, und zwar gegen eine als fehlerhaft und schlecht empfundene Wirklichkeit in Form von Personen, Institutionen und Geisteshaltungen. Diese werden kritisch mit einem Ideal verglichen, dem sie nicht entsprechen. Der ironische Humor, mit dem dies oft geschieht, ist dabei nur ein Vehikel, das ohne den kritischen Anspruch der Satire zu reiner Komik bzw. Comedy wird.

Dieter Hildebrandt, Scheibenwischer © Sven Simon Foto: Sven Simon
Nahm Meldungen, die er verlas, noch ernst: Dieter Hildebrandt.

Dementsprechend sollte die zentrale Frage an jeden satirischen Beitrag, egal in welchem Medium, sein: "Wer ist der Feind?" Oder, wem das zu martialisch klingt: "Wer ist verantwortlich für einen (veränderbaren) schlechten Zustand?" Eine kurze Bemerkung zum Ideal, dem die Satire verpflichtet ist: Dieses Ideal kann sich natürlich überall im demokratischen Spektrum befinden, und so ungerne man gut gemachte Satire des politischen Gegners sieht, so wenig dürfte man von vornherein sagen: "Das darf Satire nicht". Was Satire nicht darf, ist, kein Ideal haben. Hinsichtlich dieses Problems vergleicht Isabella Amico di Meane (in ihrer Dissertation "Fernsehsatire. Möglichkeiten und Grenzen eines Genres im deutsch-italienischen Vergleich", Berlin/Turin 2009, S. 19) Harald Schmidt mit Dieter Hildebrandt: "Während Hildebrandt die Meldungen, die er in seinen Sendungen verlas, ernst nahm und zu ihnen Stellung bezog, bedient sich Schmidt zwar noch der Technik des Zitierens von Zeitungsmeldungen, nimmt sie aber keineswegs ernst: Für ihn sind sie nichts anderes als Zeichen jenes medialen Nonsens, in dem er sich auch befindet und mit dem er manchmal ironisch-sarkastisch, öfter zynisch spielt." Nihilismus statt Idealismus - das ist lässig, macht die Welt aber nicht besser, doch genau das ist ja das Anliegen der Satire.

Voraussetzungen oder Wann ist ein "Feind" (Gegenstand) satiretauglich?

Kommen wir zurück zum "Feind". Grundsätzlich gilt: Jeder hat das Recht auf satirische Kritik. Christen, Juden, Moslems, Behinderte und Behindernde, Frauen, Männer, Intersexuelle - sie alle taugen zum Feind, wenn sie ein entsprechendes Fehlverhalten an den Tag legen. Feind-Probleme, die in meinem Alltag bei extra 3 immer wieder auftreten, sind zum Beispiel:

a) angeblicher Feind hat bei genauerem Hinsehen Recht
b) es gibt mehrere Feinde
c) der Feind hat einen zu niedrigen Status

Punkt a) führt in der Praxis dazu, dass der Film nicht gemacht wird. An einem gewählten Feind festzuhalten, obwohl die Fakten ihn vollständig entlasten, wäre nicht Satire, sondern Propaganda. In diesem Zusammenhang muss auch gesagt werden, dass Satire eines mit Sicherheit nicht darf, und das ist: Fakten verfälschen. Ein zuspitzendes Fokussieren auf die Fehler des Feindes darf, ja muss sogar vorgenommen werden. Satire muss wehtun, sonst bleibt sie wirkungslos. So schreibt Tucholsky: "Die Satire muß übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird." Hingegen wäre es aber unredlich, zum Beispiel eine statistische Zahlenangabe (Atommüllfässer in der Asse, getötete Zivilisten im Irak oder Ähnliches) kurzerhand zu verdoppeln, um etwa das Fehlverhalten der Verantwortlichen noch deutlicher herauszustellen. Letztendlich wäre so ein Vorgehen auch kontraproduktiv, da der Satiriker selbst angreifbar würde. Hier ist auch ironische Verfremdung, mit der Satire gerne arbeitet, keine Entschuldigung: Die Fakten, die ironisch oder in anderer verfremdeter Form präsentiert werden, müssen trotzdem wahr sein.

Ein gutes Beispiel für Punkt b) ist der Nahostkonflikt: Das Leiden der palästinensischen Zivilbevölkerung und der Terror gegen Israel sind so untrennbar miteinander verbunden, dass die Fokussierung auf eine der beiden Parteien als satirisch verstandenen "Feind" oft als überzogen parteiisch erscheint. Beide Konfliktparteien als Feinde in einem Beitrag funktionieren nicht gut, da das Fehlverhalten der einen Partei dasjenige der anderen relativiert und begründet, ja sogar teilweise entschuldigt. Sagen wir so: Zwei Feinde sind theoretisch möglich und erlaubt, aber lass es lieber.

Punkt c) konstituiert für mich ein satirisches Tabu. Satire tritt nicht nach unten. Das arme Würstchen ist nicht der Feind. Als Beispiel für einen Grenzfall möchte ich einen extra-3-Beitrag anführen, in dem ich als Reporter von einer schlecht besuchten "Montagsdemo" gegen die Hartz-IV-Gesetze berichtete. Die von den Organisatoren konstruierte Parallele zu den Montagsdemonstrationen, die den Fall der DDR einleiteten, war schön größenwahnsinnig, die Parolen "Wir sind das Volk!" angesichts der geringen Teilnehmerzahl auf rührende Weise anmaßend, die O-Töne lustig ("Wir liegen mit dem Gesicht auf der Schnauze und es geht bergab."). Aber der Status der Demonstranten war schon eher niedrig (viele Arbeitslose, von Arbeitslosigkeit Bedrohte und ehrlich Besorgte), sodass sie nicht hundertprozentig als "Feind" funktionierten. Die absolute Grenze lag schließlich bei einer Szene, in der ein sehr herausgeforderter Mensch mit Sprachfehler zu Wort kam - ich schnitt sie heraus, da sie ihn eher bloßgestellt als entlarvt hätte.

Forcierte Verhöhnung Schwächerer

Stefan Raab 2008 © dpa-Report / Foto: Peter Steffen © dpa-Report Foto: Peter Steffen
Stefan Raab: Forcierte Verhöhnung Schwächerer.

Noch ärgerlicher ist in diesem Zusammenhang die zum ausschließlichen Zwecke der Belustigung veranstaltete, forcierte Verhöhnung Schwächerer, die sich als Satire ausgibt. Beispiel: Im Jahr 2004 kommentierte Stefan Raab das Foto einer jungen türkischen Mutter, die die Schultüte für ihr Kind trug, mit dem Satz: "Die Dealer tarnen sich immer besser." Vor Gericht wollte Raab dies als "zulässige Satire" verstanden wissen. Gegen diese Inanspruchnahme muss sich die Satire verwahren. Diese Äußerung ist keine Satire, schon gar keine zulässige. Die Frage lautet wie immer: Wer ist der Feind? Junge Mütter? Junge Türkinnen? Warum? Ähnlich verhält es sich mit dem Fall einer 16-jährigen Schülerin, über deren Namen Raab im Jahr 2001 zahlreiche Pornowitze riss. Die Folgen: 70.000 Euro Schmerzensgeld und eine Therapie für die junge Frau.

Ein weiteres Beispiel: Oliver Pocher, verkleidet als Stauffenberg, interviewt einen jungen Erwachsenen zum neuen Film mit Will Smith und äfft schließlich das schlechte "Ti-Äjtsch" seines Interviewpartners genüsslich nach. Ist das Satire? Wo ist der Feind? Wenn es keine satirische Kernaussage und kein moralisches Ideal gibt, mit dem das Gezeigte kontrastiert wird, dann ist das Ganze natürlich nur Comedy, wobei sich dann aber die Frage stellt, warum Pocher eine Wehrmachtsuniform aus der Nazizeit tragen muss, um Menschen mit Sprachfehler zu verhöhnen. Denn die Naziuniform (mit der "ARD-1" anstelle eines Hakenkreuzes auf der Mütze) wurde ja, wie ich es verstanden habe, damit gerechtfertigt, dass sie in satirischem Kontext zu verstehen sei.