Stand: 30.01.2015 13:26 Uhr

Krisengeschüttelt - Der NDR in den 1970er-Jahren

Das Radio befand sich in den 70er-Jahren in einer Umbruchphase. Zwar hatte es bereits erste Bewährungsproben in den Jahren zuvor bestanden, musste aber nun um seine neue Rolle gegenüber dem mächtigen und populären Medium Fernsehen ringen.

Wolfgang Jäger, ab 1972 bis zum Eintritt in den Ruhestand 1982, Programmdirektor HF. Aufnahme: 1971 © NDR
Wolfgang Jäger, von 1972 bis 1982 Programmdirektor Hörfunk.

Der leidenschaftliche Radiomann Wolfgang Jäger, seit 1969 stellvertretender und seit 1972 amtierender Hörfunkprogrammdirektor, diskutierte mit Redakteuren, Ausschüssen und Gremien, wie das Angebot an die Hörergewohnheiten und -erwartungen angepasst werden könnte. Dahinter stand die grundlegende Frage: Soll das Radio an seiner Bildungs- und Kulturfunktion festhalten oder soll es sich den Erwartungen des Publikums anpassen und zum "Begleitmedium" werden?

Ergebnis waren gleich mehrere Programmstrukturreformen. Dabei ging es darum, die drei NDR Hörfunkprogramme eigenständig zu profilieren.

Das erste Programm, je zur Hälfte von NDR und WDR produziert, bot eher Traditionelles für allgemeine Ansprüche: Informationen, Bildung und Unterhaltung für alle sowie Musik aller Stilrichtungen, allerdings vorrangig für ältere Hörer. Hier wurden insbesondere die aktuellen Beiträge modernisiert, vor allem durch die Einführung von Sendungen wie etwa der aktuellen Reihe "Kontakte", an der die Redaktionen Wirtschaft, Sozialpolitik und Frauenfunk beteiligt waren.

Musik für junge Leute und Abschied vom "Kästchen"-Angebot

Die entscheidenden Veränderungen vollzogen sich im zweiten Programm, das vorwiegend Unterhaltung und aktuelle Information bot. Darüber hinaus enthielt es die regionalen Angebote der Landesfunkhäuser in Hannover und Hamburg sowie des Landesstudios Kiel und des Studios Oldenburg.

Die Hörerzahlen stiegen, als das Programm stärker an den Interessen und dem Musikgeschmack jüngerer Hörer ausgerichtet wurde. Das bekannteste Beispiel ist der "Fünf Uhr-Club", wo sich wochentags internationale Hits mit Berichten, Reportagen und Diskussionen mit Studiogästen ablösten. Auch die Kurzhörspiel-Reihe "Papa, Charly hat gesagt", die am 9. Januar 1972 startete und deren amüsant-ernsthafte Rededuelle zwischen Vater und Sohn schnell sehr populär wurden, trug zum Anstieg der Hörerzahlen bei.

Weitere Informationen
Monika Jetter, NDR 2 Moderatorin, der Fünf Uhr-Club, 1969 © NDR Annemarie Aldag

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Mit der zweiten Entscheidung wurde konsequent auf die sogenannte "Magazinierung" von NDR 2 gesetzt. Es gab größere Programmflächen mit Musik und eingestreuten Informationen, die dazu einluden, das Programm "nebenbei" durchzuhören. Die bisherige Anordnung von Programmangeboten in sogenannten "Kästchen" – also mit einer kleinteiligen Zeitstruktur und der Aufforderung, gezielt einzelne Sendungen einzuschalten – fanden bei vielen Hörern keinen Anklang mehr.

Streit um die Kultur

Eine Ausnahme von der Magazinierung bildete das dritte Hörfunkprogramm des NDR. Bis 1973 dauerte die Kooperation mit dem Sender Freies Berlin (SFB). Sie hatte das "Dritte" zur abendlichen Sendezeit zu einem Hort der Hochkultur, der literarischen und künstlerischen Höchstleistungen gemacht.

Doch der SFB kündigte den Vertrag, nicht zuletzt deshalb, weil ihm das Programmangebot dieses "Dritten" politisch zu engagiert war. Der NDR führte das Kulturprogramm allein fort, tagsüber mit Angeboten für unterschiedliche Zielgruppen, abends als hochwertiges Kulturprogramm mit klassischer Musik und Jazz sowie mit Wortsendungen für "anspruchsvolle Hörer", wie es damals hieß.

Downloads

Hörfunk: Das Dritte im NDR 3

Für Hörer, die Besonderes suchen (Helmut Ernst, Hörzu Januar 1976) Download (62 KB)

Gesellschaftspolitik und Experimente

Hier war nicht Durchhörbarkeit das Ziel, sondern gezieltes Einschalten. Dabei waren die kulturellen Sendungen oft eng mit gesellschaftlichen Fragen verknüpft. Beispielsweise reflektierten die neuen Medienmagazine "Von Bildschirm und Leinwand" bzw. "Medienreport" die Bedeutung der Medien in der Gesellschaft.

Die Literatur-Redaktionen der Hauptabteilung Wort in Hannover wurden zu einem Treffpunkt der literarischen Szene, wobei es jedoch nicht nur harmonisch und einvernehmlich zuging. So unterzeichneten zum Beispiel 114 Autoren – unter ihnen der Schriftsteller Siegfried Lenz - eine Protestnote, als der NDR 1972 Etatkürzungen beschloss.

Kontrovers ging es auch im Hörspiel zu, dessen Redaktion in Hamburg angesiedelt war. Hier setzte der neue Hörspielchef Heinz Hostnig auf experimentelle stereophone Arbeiten und suchte die Diskussion mit den Hörern in Reihen wie"Hörspieldemonstration – Hörspieldiskussion". Vor allem aber ermunterte Hostnig Autoren wie Peter O. Chotjewitz und Elfriede Jelinek zu experimentellen Versuchen eines sogenannten "Neuen Hörspiels".