Stand: 06.05.2011 16:28 Uhr

"Von Binnenland und Waterkant - mein bester Sender"

von Ernst Christ

Flensburg, 16. Mai 1951: Als im neuen NWDR-Studio ab 11.30 Uhr die erste Ausgabe der Sendung "Von Binnenland und Waterkant" über die Antenne geht, wird in vielen Küchen Schleswig-Holsteins gerade der Mittagstisch gedeckt. Sechs Jahre nach Kriegsende hat der, trotz Gemüse und Kleinvieh aus dem Schrebergarten, meist noch nicht viel zu bieten. Denn die Arbeitslosigkeit ist hoch und überall im Land prägen Notunterkünfte das Bild. Zwischen Nord- und Ostsee leben zeitweise fast doppelt so viele Menschen wie vor dem Krieg. Die Stadt Kiel ist immer noch zerstört.

Neben dem Studium stellte Max H. Rehbein erste Reportagen im "Radio Hamburg" vor, arbeitete von 1947 an als Berichterstatter und Korrespondent beim Nordwestdeutschen Rundfunk (NWDR) und wurde 1952 dort Chefreporter. © NDR
Radiopionier und Legende Max H. Rehbein (li.) bei einem Interview.

Aber es geht wieder aufwärts. Demnächst sollen in Flensburg Sportler für die Olympischen Spiele 1952 in Helsinki trainieren, wegen des nordischen Klimas so nahe an der dänischen Grenze. Der Landtag in Kiel hat das "Gesetz über die Beendigung der Entnazifizierung" in Kraft gesetzt, denn die Mehrheit der Schleswig-Holsteiner will die Vergangenheit hinter sich lassen. Hunderte von Belasteten atmen erleichtert auf. Und im April gab es im fernen Frankfurt sogar schon die erste Internationale Automobilausstellung.

Ein Übertragungswagen, der nichts überträgt... © NDR
Hörfunk-Ü-Wagen 1956 am Fischereihafen Husum.

Auch das Studio Flensburg ist stolz auf sein neues Auto, einen postgrauen VW-Käfer mit Brezelfenster, ausgerüstet mit einem etwas unhandlichen Mikrophon und einer "Bandmaschine" mit Kurbelantrieb auf der Rückbank. So sah der erste "Übertragungswagen" aus, mit dem die Reporterinnen und Reporter der neuen Regionalsendung "Von Binnenland und Waterkant" durch Schleswig-Holstein fuhren. Dieser Wagen konnte also noch nichts übertragen. Aber er machte es möglich, die schwere und unhandliche Aufnahmetechnik an fast jeden Ort im Lande zu transportieren, dort Tonaufnahmen zu machen und diese dann auf Tonband über die damals noch wenig komfortablen Landstraßen ins Flensburger Studio zu bringen.

Der Wagen war ständig unterwegs, denn von diesen Aufnahmen, den "Originaltönen", sollte die neue Sendung leben. Den Reportern der ersten Stunde waren, wie sie später erzählten, "die Osterlämmer auf dem Deich wichtiger als das Statement eines Ministers" und "das akustische Element" gehörte stets dazu. Man sollte also auch hören können, was geschah und wo sich der Reporter befand. Zunächst dreimal die Woche und wenig später dann an jedem Wochentag sollten Land und Leute in "Von Binnenland und Waterkant" mit den Ohren erlebbar werden. Das war damals ein modernes Konzept. Es trägt bis heute. Die erste eigene Radiosendung Schleswig-Holsteins war aus der Taufe gehoben. 

Welches Platt darfs denn sein?

"Binnenland", wie die Sendung im Redaktionsalltag genannt wird, macht auch heute noch hörbar, wie es sich lebt zwischen Nord- und Ostsee. "Binnenland"-Reporter sind da, wo Schleswig-Holsteiner täglich arbeiten. Sie sind dabei, wenn gefeiert wird. Sie kamen schon immer in jedes Dorf. Seit Dezember 2000 gehen sie dabei systematisch vor. Denn in "Binnenland" wird jede der 1.100 Gemeinden Schleswig-Holsteins vorgestellt, in alphabetischer Reihenfolge. Von A bis Z. Von Aasbüttel im Dezember 2000 bis Ziethen im September 2011. Zu jedem Ortsporträt gehören Hörproben der am Ort gesprochen Sprachen: Plattdeutsch, Friesisch, Dänisch und manchmal sogar Sønderjysk, der (dänische) südjütische Dialekt.

So entsteht in Binnenland ganz nebenbei ein akustischer Sprachatlas für Schleswig-Holstein - flächendeckend und einzigartig. Kein anderes Bundesland hat eine Radiosendung, die das leistet. Übrigens fanden auch 1951 schon plattdeutsche Dorfabende unter dem Dach der Sendung "Von Binnenland und Waterkant" statt. Die älteste erhaltene Aufnahme stammt vom November 1952 und ist in Sehestedt am Nord-Ostsee-Kanal entstanden.    

Überhaupt wird in "Binnenland" viel Platt gesprochen. Damals wie heute. Jedeneen de‘t mag, de kann‘t ook doon. Elkeen Maandag Avend gifft dat hüttodaags een Stünnstiet op Platt un all veerteihn Daag kümmt in Binnenland dat plattdütsch Hörspill. Dat hört dor ook mit to. Außerdem gibt es einmal die Woche im Norden des Landes eine weitere sprachliche Besonderheit Schleswig-Holsteins zu hören: "Frasch för en arken", det fresk senderä üüb a NDR 1 Welle Nord en weedensdai injem. Also die Sendereihe "Friesisch für alle" am Mittwochabend.

Das Landesfunkhaus am Maschsee in Hannover wurde am 20. Januar 1952 eingeweiht © NDR/Werner Hausschild

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