Schematische Zeichnung einer menschlichen Nervenzelle © fotolia Foto: psdesign1

Polyneuropathie: Symptome, Diagnose und Behandlung

Stand: 22.08.2022 11:33 Uhr

Typische Symptome der Nervenkrankheit Polyneuropathie sind Kribbeln, Brennen und Taubheit, die anfangs an beiden Füßen und Beinen auftreten. Als Auslöser kommen mehr als 600 mögliche Ursachen infrage.

Ihren Ursprung haben die Gefühlsstörungen in den langen Nerven, die Muskeln, Haut und Organe mit dem Gehirn verbinden. Schäden an den Nerven führen dazu, dass die Weiterleitung von Informationen zwischen Gehirn, Rückenmark und dem Rest des Körpers gestört ist. Mit der Zeit werden die Beschwerden, die meist in den Zehen beginnen, stärker und können sich bis zur Körpermitte ausbreiten.

Ursachen der Polyneuropathie

Die Polyneuropathie gehört zu den häufigsten neurologischen Krankheiten. Als Auslöser kommen mehr als 600 mögliche Ursachen infrage:

  • Am häufigsten tritt eine Polyneuropathie als Spätfolge der Zuckerkrankheit Diabetes oder eines langjährigen Alkoholmissbrauchs auf.
  • Auch Medikamente, Infektionen, Vitaminmangel, Autoimmunkrankheiten und genetische Faktoren können die Hüllen oder das Innere der Nerven beschädigen und dadurch eine Polyneuropathie auslösen.

Trotz aller diagnostischen Fortschritte bleibt die Ursache in jedem fünften Fall unklar ("idiopathische Neuropathie"). Ärzte können dann nur die Symptome behandeln. Unabhängig von der Ursache gilt: Je früher eine Polyneuropathie erkannt und behandelt wird, umso besser.

 

Symptome unterscheiden sich je nach Nervenstörung

Je nachdem, welche Nerven betroffen sind, können bei der Polyneuropathie unterschiedliche Beschwerden im Vordergrund stehen. Einige Beschwerden entstehen durch den Ausfall der Nerven, andere durch ein krankhaftes Überreagieren der Nerven.

Untersuchungen zur Diagnose der Polyneuropathie

Beim Verdacht auf Polyneuropathie versuchen Neurologen mit einer Reihe von Tests, die Ursache und das Ausmaß der Erkrankung herauszufinden:

  • Zur Messung der Nervenleitgeschwindigkeit wird Strom durch die Nervenbahnen geschickt. Werden die Impulse deutlich verzögert weitergeleitet, ist das ein Hinweis auf eine Polyneuropathie.

  • Mit einer Stimmgabel prüft der Neurologe das Vibrationsempfinden. Der Erkrankte muss angeben, ab wann er die Schwingungen der angeschlagenen Gabel nicht mehr spürt.

  • Bei der standardisierten Quantitativen Sensorischen Testung werden durch sieben verschiedene Gefühlstests an der Haut 13 Werte ermittelt. Sie helfen zu erkennen, welche Nervenfasern genau geschädigt sind und wie stark die Schädigung fortgeschritten ist. Dazu gehören Tests auf Druck, Vibration und Temperaturempfinden.

  • Um das Temperaturempfinden exakt zu messen, kommen bei der sogenannten Thermode computergesteuerte Temperaturreize zum Einsatz. Gesunde nehmen Wärme ab 38 Grad Celsius wahr, Erkrankte mit einer Polyneuropathie erst bei deutlich höheren Temperaturen.

  • Die Untersuchung einer Gewebeprobe kann helfen, die Ursache einer Polyneuropathie zu finden. Dazu wird eine sogenannte Nerv-Muskel-Biopsie aus dem Schienbein entnommen und feingeweblich untersucht. Hierbei wird festgestellt, ob der Schaden an der Hüllsubstanz des Nerven (Myelin) oder am Nerven selbst entstanden ist. Bei bestimmten Ursachen finden sich zum Beispiel Entzündungszellen oder Amyloid-Ablagerungen. So können Anzeichen für eine Gefäßentzündung, eine Autoimmunerkrankung oder eine Erbkrankheit als Auslöser für die Polyneuropathie entdeckt werden.

  • Bei einer Untergruppe der Neuropathien sind insbesondere die dünnen, kleinen Nervenfasern der Haut betroffen. Sie werden unter dem Namen Small-Fiber-Neuropathien zusammengefasst. Die Nervenleitgeschwindigkeit, die die Funktion von dickeren Nerven misst, ist dann oft unauffällig. Für die richtige Diagnose ist die Quantitative Sensorische Testung mit Messung des Temperaturempfindens entscheidend. Darüber hinaus kann eine Gewebeprobe aus der Haut (Hautbiopsie) unter dem Mikroskop untersucht werden. Das Ergebnis zeigt, wie dicht das zarte, sensible Nervengeflecht noch ist.

Ursachen wie Diabetes oder Alkoholmissbrauch behandeln

Bei der Behandlung der Polyneuropathie geht es darum, die wahrscheinliche Ursache zu bekämpfen. Gelingt dies, stehen die Heilungschancen gut:

  • Hat ein Diabetes schleichend über viele Jahre die Nerven angegriffen, muss der Patient seine Blutzuckerwerte in den Griff bekommen, um die Nervenschädigung zu stoppen. Allerdings führt eine zu rasche Senkung der Blutzuckerwerte zu weiteren Nervenschäden. Als optimal gilt eine sanfte Senkung des HbA1c-Wertes um weniger als zwei Prozentpunkte über einen Zeitraum von drei Monaten. Bei Altersdiabetes empfehlen Ärzte eine Umstellung des Lebensstils mit Gewichtsreduktion und viel Bewegung. Zusätzlich können Medikamente Schmerzen und Gefühlsstörungen lindern.
  • Sind Alkohol oder Medikamente die Ursache, hilft Abstinenz beziehungsweise ein Wechsel der Präparate. Bei alkoholbedingter Polyneuropathie kann Vitamin B1 zusätzlich die Regeneration der peripheren Nerven fördern.

Weitere Therapien bei Polyneuropathie

Bei anderen Formen der Polyneuropathie ist die Behandlung schwieriger. Zum Beispiel wird die entzündliche Polyneuropathie mangels eindeutiger Ursache mit Kortison und Schmerzmitteln behandelt, um die Symptome zu lindern. Mögliche Therapien:

  • In vielen Fällen haben sich zur Schmerzbekämpfung Antidepressiva, Medikamente gegen Krampfanfälle (Antikonvulsiva) und physikalische Therapie bewährt.
  • Auch Naturheilverfahren können helfen - allerdings nur in der Anfangsphase der Erkrankung, wenn das Kribbeln beginnt.
  • Capsaicin ist für die Schärfe der Chilischoten verantwortlich und hat sich in Form von Capsaicin-Pflastern auf der Haut in Studien als erfolgversprechendes Mittel gegen Polyneuropathie erwiesen. Es betäubt nicht nur den schmerzenden Bereich und steigert die Durchblutung, sondern scheint sogar die Neubildung kleiner Nervenfasern anzuregen. Allerdings funktioniert das nicht bei allen Betroffenen.
  • Bei der Elektrotherapie werden die Nerven durch Impulse aus einem speziellen Schrittmacher so stimuliert, dass Erkrankte statt Schmerzen ein leichtes Kribbeln spüren.
  • Bei Schmerzen und Empfindungsstörungen in den Füßen haben sich Akupunktur und Fußreflexzonenmassage mit scharfen Salben (Capsaicin) bewährt.
  • Viel Bewegung, zum Beispiel Aquagymnastik und Gehtraining, und Physiotherapie unterstützen die medikamentöse Behandlung und helfen, eine Polyneuropathie in Schach zu halten.

Die Therapien müssen dauerhaft durchgeführt werden. Eine Pause beeinträchtigt schnell den Behandlungserfolg. Viele der ambulanten Leistungen müssen Erkrankte selbst bezahlen.

Gegen die fortschreitende Gangunsicherheit wirkt Gleichgewichtstraining in der Physiotherapie. So können gefährliche Stürze verhindert werden und das Fortschreiten der Gangstörung wird eingedämmt.

Akupunktur bei Polyneuropathie

Dass Akupunktur Nerven schützen kann, zeigt eine Studie an Krebskranken nach einer Chemotherapie: Obwohl einige Krebsmedikamente bei fast allen Betroffenen zu einer Polyneuropathie als Nebenwirkung führen, gelang es Ärzten in der Studie, bei zwei Dritteln der Probanden mit Akupunktur die Schädigung der Nerven zu verhindern.

Wie die gezielten Reize der Akupunktur die Nerven beleben, ist noch ungeklärt. Mit einer Wärmeleitkamera lässt sich zeigen, dass die behandelten Regionen während einer Akupunktur besser durchblutet sind.

Bei einer Polyneuropathie kann eine Akupunktur allerdings nur wirksam sein, wenn die Nerven noch in einem Maße intakt sind, dass der Betroffene die Nadeln spürt.

Tipps zur unterstützenden Selbstbehandlung

  • Yoga: Die Übungen helfen, die Nervenschäden durch Körperbeherrschung auszugleichen.
  • Positives Denken: Eine optimistische Sichtweise kann die Widerstandsfähigkeit stärken.
  • Hobby: Erkrankte sollten sich ein gesundes Hobby suchen, das Spaß macht und sie mit viel Bewegung in Schwung hält, zum Beispiel Ausdauersport.
  • Barfußlaufen, Gang-/Standübungen und Fußtraining regen die Nerven und die Durchblutung im Fuß an.

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Visite | 23.08.2022 | 20:15 Uhr

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