Wie gefährlich sind Tattoos für die Gesundheit?
Pigmente, Bindemittel, Lösungsmittel, Zusatzstoffe: Die grobe Formel für Tattoofarben klingt relativ harmlos. Doch sie können auch Stoffe enthalten, die gesundheitsschädigend oder gar krebserregend sind.
Juckend und "hubbelig" - so beschreibt Jennifer Vetter ihre ersten beiden schwarzen Tattoos, die sie sich mit Anfang 20 stechen ließ. "Manchmal treibt es mich in den Wahnsinn, weil es so juckt", sagt die heute 50-Jährige. Laut einer Umfrage unter 3.411 Befragten aus dem Jahr 2010 berichteten sechs Prozent über länger anhaltende gesundheitliche Probleme mit ihren Tätowierungen.
Eine der wenigen, die schwerpunktmäßig zu diesem Thema forscht, ist die Toxikologin Ines Schreiver. Sie leitet das Studienzentrum Dermatotoxikologie am Bundesinstitut für Risikobewertung. An Hautmodellen untersuchen sie und ihre Kolleginnen und Kollegen unter anderem, wie Zellen auf unterschiedliche Farbpigmente reagieren.
"Es gibt verschiedene Nebenwirkungen oder unerwünschte gesundheitliche Effekte, die auftreten können: Infektionen, Allergien, oder auch Fremdkörpergranulome (Gewebereaktion auf allergisch-infektiöse oder chronisch-entzündliche Prozesse/d. Red.) - die Zahlen schwanken je nach Studie zwischen einem bis sechs Prozent", sagt Schreiver. "Und dann gibt es noch weniger schwerwiegende Effekte, die häufiger auftreten können, wie ein gestörtes Hitze-, Kälte- und Schmerzempfinden."
Eingriff in den Körper - mit unklaren Folgen
Beim Stechen von Tattoos wird die Hautbarriere gestört, so können Erreger leichter in die Haut eindringen und Infektionen verursachen. Hygiene sei deshalb das A und O beim Tätowieren, so der Düsseldorfer Dermatologe Arne Gerber. Aber nicht alle Komplikationen ließen sich so vermeiden: "Die Nebenwirkung, die wir in der dermatologischen Praxis am häufigsten sehen, ist eine Unverträglichkeit vor allem gegenüber roten Tattoo-Pigmenten - Stichwort Allergie", so der Hautarzt.
Der Grund dafür ist vermutlich, dass rote, aber auch orangefarbene oder gelbe Tattoofarben eine bestimmte Gruppe an Pigmenten enthalten, die sogenannten Azopigmente. "Die können sich besonders leicht spalten, entweder durch Sonneneinstrahlung oder auch durch Laserlicht, zum Beispiel bei einer Laserentfernung", so Schreiver. Dabei können potenziell krebserregende Stoffe freigesetzt werden, sogenannte aromatische Amine.
Doch auch schwarze Tattoos können theoretisch allergische Reaktionen verursachen - so wie bei Jennifer Vetter. Außerdem können sie sogenannte polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe enthalten, kurz PAKs. Die Gruppe der PAKs umfasst mehr als 100 Substanzen, von denen acht als krebserregend eingestuft sind. Ob Tätowiermittel im Zusammenhang mit Tumorerkrankungen stehen, ist allerdings immer noch nicht wirklich erforscht.
Mehr als 4.000 Substanzen in der EU verboten
Welche Substanzen nicht in Tätowiermitteln enthalten sein dürfen, wird in der EU durch die Europäische Chemikalienagentur, kurz ECHA, in der sogenannten REACH-Verordnung festgelegt. Sie trat 2022 in überarbeiteter Form in Kraft trat. Neben krebserregenden Substanzen sind darin auch erbgutverändernde Stoffe aufgeführt und solche, die die Fortpflanzung beeinträchtigen können. Mehr als 4.000 Substanzen in Tattoo-Farben sind laut der Verordnung mittlerweile verboten - entweder ganz oder in bestimmten Konzentrationen.
"Anfang 2022 waren von einem Moment auf den anderen quasi keine Tattoofarben mehr erlaubt, wir wussten überhaupt nicht, wie es weitergeht", sagt Nicole Homfeldt. Sie leitet seit 2016 das Hamburger Tattoostudio "Farbkollektiv". Zwar launchten die Farbhersteller Ende 2022 neue Farben - doch die Debatte ist geblieben. "Es wäre schön, wenn es ein wissenschaftliches Bemühen dahinter gäbe, herauszufinden, was wirklich gesundheitsschädigend ist und was nicht, damit man da wirklich mal gesicherte Informationen hat."
Regulierungen laut Experten verbesserungswürdig
Die REACH-Verordnung habe viele Schwachpunkte und auch Widersprüche, sagt Wolfgang Bäumler von der Klinik und Poliklinik für Dermatologie des Universitätsklinikums Regensburg: "Wissenschaft ist ein laufender Prozess, der immer wieder Updates braucht. Aber diese Updates gibt es derzeit nicht. Es bräuchte eine Art Komitee für Tattoofarben, das immer wieder neue Entwicklungen auf beiden Seiten versucht aneinander anzupassen, wie es bei kosmetischen Stoffen auch schon der Fall ist."
Der Physiker forscht seit mehr als zwei Jahrzehnten zu Tattoos. Es sei zwar sinnvoll, bestimmte Substanzen zu verbieten. "Aber das allein hilft nicht, sondern ich denke schon, dass man den Firmen etwas an die Hand geben müsste. Deswegen wäre es sinnvoll, eine sogenannte Positivliste zu erarbeiten. Also eine Liste von Inhaltsstoffen, von denen man guten Gewissens sagen kann, die sind vom Risikoprofil her deutlich besser als manch andere."
Zumal die Verwendung der Stoffe in der Praxis zu wenig überprüft werde, meint Bäumler. "Viele Farben erfüllen die ECHA-Bedingungen nicht, und da fragt man sich schon: Mit was werden die Leute tätowiert?“ Nicht nur für Kundinnen und Kunden, sondern auch für Tätowiererinnen wie Homfeldt bringt das Unsicherheiten mit sich. "Du musst dich darauf verlassen, dass der Online-Shop, in dem du bestellst, vertrauenswürdig ist. Wir bestellen ausschließlich in deutschen Shops, die nur Farben verkaufen, die in Deutschland auch zugelassen sind. Gleichzeitig gibt es aber auch die Möglichkeit, über Amazon irgendwelche Starter-Sets aus dem Ausland zu bestellen, und ob die Qualität da gesichert ist, weiß man natürlich nicht."
Pigmente wandern in die Lymphknoten
Doch die Erforschung der Tattoofarben ist nicht einfach. Zum einen, weil sie aus Hunderten einzelner Substanzen bestehen können. Und zum anderen, da Tierversuche mit Tattoofarben in Deutschland in der Regel nicht zugelassen werden, weil Tätowierungen juristisch den Kosmetika gleichgestellt sind.
Fest steht: Beim Tätowieren kommen die Pigmente in direkten Kontakt mit Blut und Lymphflüssigkeit und gelangen so unter anderem in die Lymphknoten. "Unsere Daten zeigen tatsächlich, dass mehr Pigmente in den Lymphknoten als in der Haut sind. Und das schon in der Phase der Wundheilung, innerhalb der ersten sieben Tage", so Schreiver. Das könne zu einem vorübergehenden Lymphstau und damit zu einer Vergrößerung und manchmal auch Entzündung der Lymphknoten führen.
Große Tattoos - Risiko für Nierenprobleme
Eine ganz normale Reaktion des Körpers, so Bäumler, denn für die menschliche Haut sei Tattoofarbe ein Fremdkörpermaterial. "Idealerweise versucht der Körper, das nicht nur in die Lymphknoten zu schleppen, sondern möglichst auch wieder über die Leber oder über die Niere auszuscheiden", sagt er. "Es gibt Patienten, die nach einer großflächigen Tätowierung schon mal vorübergehend Probleme mit der Niere bekommen."
Datenlücke zu Tattoofarben schließen
Bisher sind Tattoofarben zu wenig erforscht, um langfristige Gesundheitsrisiken mit Sicherheit ausschließen zu können. Es sei wichtig, diese Datenlücke zu schließen, sagt Bäumler. "Wenn es Risiken für bestimmte Erkrankungen gibt, im schlimmsten Fall auch Tumorerkrankungen, kriegt man das nur über große Fallzahlen hin. Denn der Mensch ist gleichzeitig auch anderen Risiken ausgesetzt: Er trinkt Alkohol, er raucht. Man muss das zusätzliche mögliche Risiko, was eventuell durch Tattoos dazu kommt, vernünftig statistisch herausrechnen können." Mittlerweile sei eine Studie mit nationalen Kohorten in Deutschland in Frankreich auf den Weg gebracht worden.
Denn man müsse sich bewusst machen, so Bäumler: "Pigmente, wie sie in Tattoofarben zu finden sind, werden für rein technische Zwecke hergestellt - um irgendetwas bunt anzustreichen oder Kunststoff einzufärben zum Beispiel." Sie enthielten mindestens zehn bis 20 Prozent Verunreinigungen. "In der technischen Anwendung mag das egal sein, aber wenn man solche Pigmente in den Körper einbringt, können diese Verunreinigungen natürlich schon eine Rolle spielen."