Stand: 26.01.2023 10:30 Uhr

Landesrundfunkrat Hamburg: Situation im NDR Landesfunkhaus Hamburg

Vorgeschichte und Problemanzeige

Im August und September 2022 wurden von verschiedenen Medien Vorwürfe gegen die Direktorin des Landesfunkhauses Hamburg, Sabine Rossbach, veröffentlicht. Vorgeworfen wurden ihr eine Einflussnahme auf den Beratervertrag ihres Ehemannes mit dem NDR Landesfunkhaus Niedersachsen, eine Bevorzugung von Kunden der PR-Agentur, die ihrer Tochter leitet, im Programm des "NDR Hamburg Journals" sowie eine Einflussnahme zugunsten ihrer jüngeren Tochter bei deren Bewerbung auf eine Stelle bei NDR Kultur. Des Weiteren wurde im Fortgang der Berichterstattung unter Berufung auf Mitarbeitende der Führungsstil der Landesfunkhausdirektorin kritisiert. Schließlich erklärten 70 Mitarbeitende in einem Brief an den Intendanten, dass sie nicht mehr mit Sabine Rossbach zusammenarbeiten wollten; auch konstatierten sie ein "Klima des Schreckens" im Landesfunkhaus Hamburg.

Sabine Rossbach wies die Vorwürfe größtenteils zurück. In der Folge ließ sie ihr Amt jedoch zunächst ruhen. Nach Gesprächen mit ihr erklärte Intendant Joachim Knuth, dass sie nicht dauerhaft zurückkehren werde. Er stellte zudem einen Bericht der Antikorruptionsbeauftragten in Aussicht sowie eine interne journalistische Aufarbeitung, die prüfen sollte, ob durch das Handeln von Frau Rossbach journalistische Standards verletzt oder die Berichterstattung beeinflusst wurde. Die Verantwortung für diese Aufklärung lag bei der stellvertretenden Intendantin Andrea Lütke sowie bei der kommissarischen Leiterin des Landesfunkhauses, Ilka Steinhausen.

Der Landesrundfunkrat Hamburg befasste sich auf einer außerordentlichen Sitzung am 14. September mit den Vorwürfen. Er hörte und befragte Sabine Rossbach selbst zu den Vorwürfen und ließ sich von Joachim Knuth und von Ilka Steinhausen die weitere Vorgehensweise bei der Aufarbeitung erläutern. Er beschloss ferner, sich beide Berichte anzusehen und zu prüfen und dann über die weitere Vorgehensweise zu entscheiden. Außerdem beschloss er, zeitnah das Gespräch mit Vertretungen der Mitarbeitenden zu suchen und hörte bereits eine Woche später im Rahmen einer regulären Sitzung Berichte aus dem Personalrat, dem Redaktionsausschuss sowie dem Freienrat an.

Die angekündigten Berichte wurden Ende Oktober 2022 vorgelegt. Der Landesrundfunkrat befasste sich auf seiner Sitzung am 2. November mit den Ergebnissen und befragte auch die Autorinnen und Autoren (Cora Sternsdorff sowie Eckart Reimann und Siv Stippekohl), zudem befragte er auch den für die Compliance-Richtlinien zuständigen Justiziar des NDR, Dr. Michael Kühn.

Der Bericht der Antikorruptionsbeauftragten konnte bei Frau Rossbach kein vorwerfbares Fehlverhalten im Hinblick auf das Bewerbungsverfahren der jüngeren Tochter feststellen. Auch hinsichtlich des Umgangs mit den Kunden und Themen der PR-Agentur stellte der Bericht fest, dass die geäußerten Vorwürfe sich nicht nachweisen ließen. Damit sei keiner der geprüften Korruptionsstraftatbestände verwirklicht. Allerdings moniert der Bericht, dass Frau Rossbach den bestehenden Interessenkonflikt schriftlich hätte transparent machen müssen.

Der interne Prüfbericht von Frau Stippekohl und Herrn Reimann kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass nicht belegbar sei, dass Frau Rossbach die Themen dieser PR-Agentur systematisch bevorzugt habe oder Redaktionsmitglieder gegen ihren Willen dazu gebracht habe, diese Themen im Programm zu platzieren. Auch hier wird jedoch kritisch angemerkt, dass Frau Rossbach die Beziehung zu der PR-Agentur hätte transparent machen müssen, und zwar auch und wiederkehrend gegenüber den Mitarbeitenden.

Einen Großteil des Prüfberichts nimmt die Kritik von Mitarbeitenden an Führungsstil und Arbeitsklima im Landesfunkhaus ein. Im Ergebnis wird festgestellt, dass der Führungs- und Kommunikationsstil von Sabine Rossbach zu einem erheblichen Vertrauensverlust geführt und die redaktionelle Atmosphäre belastet habe. Diese sei geprägt gewesen durch einen autoritären Führungsstil, einen oft rauen Umgangston und das weitgehende Fehlen einer offenen Diskussionskultur. Die journalistische Arbeit sei durch mangelndes Vertrauen und mangelnden gegenseitigen Respekt beeinträchtigt und eingeschränkt worden.

Der Landesrundfunkrat Hamburg hat auf seiner Sitzung am 2. November die beiden Berichte zur Kenntnis genommen. Er hat ferner die begonnene Aufarbeitung begrüßt und beschlossen, diese weiterhin kritisch und konstruktiv zu begleiten.

Empfehlungen

Zu der beschlossenen Begleitung der Aufarbeitung gehört, dass der Landesrundfunkrat Hamburg sich die Empfehlungen der Berichte zu eigen macht und sie auf der Basis eigener Wahrnehmungen ergänzt.

1. Nachschärfung der Compliance-Regeln

Die Ziffer 3.9. der Dienstanweisung Regelung zum Schutz vor Korruption im NDR sieht vor, dass im Fall von Interessenkonflikten die betroffenen Mitarbeitenden diese Konflikte ihren Dienstvorgesetzten schriftlich anzuzeigen haben. Diese Anzeigepflicht gilt schon dann, wenn Zweifel darüber bestehen, ob ein Interessenkonflikt (objektiv) vorliegen könnte.

Wir empfehlen, eine Ergänzung der entsprechenden Regelung zu prüfen: Ziel sollte es sein, dass Interessenkonflikte von Dienstvorgesetzten mit Bezug zur Berichterstattung auch den Mitarbeitenden in der jeweiligen Redaktion bekannt gemacht werden. Dabei sind Transparenz und Persönlichkeitsschutz gegeneinander abzuwägen.

2. Transparenz bei Stellenbesetzungen

Ein von Mitarbeitenden immer wieder genanntes Problem ist die mangelhafte Transparenz bei der Besetzung von Stellen. Es wurde öfter der Verdacht geäußert, dass eher nach Loyalität als nach Qualifikation besetzt wurde. Dieser Verdacht schadet am Ende allen Beteiligten.

Wir empfehlen, Stellenbesetzungen möglichst transparent zu gestalten. In der Regel sollten Stellen wenigstens intern ausgeschrieben werden, dies gilt insbesondere für Leitungsstellen. Alle Personen, die sich bewerben, müssen die Chance auf ein faires Bewerbungsverfahren haben. Ein Ausschreibungsverzicht soll in bestimmten Fällen ermöglicht werden können, etwa bei der Verlängerung eines Vertrages. Auch ein solcher Verzicht sollte jedoch einem nachvollziehbaren Verfahren folgen.

3. Überprüfung und Veränderung von Arbeitsstrukturen

a) Entkoppelung LFH-Direktion/Redaktionsleitung

Ein wesentlicher Grund für die Entstehung autoritärer und unzureichend kontrollierter Leitungsstrukturen war nach Auffassung des Landesrundfunkrates die direkte Übernahme einzelner Programmbereichsleitungen durch die Landesfunkhausdirektorin, zunächst beim Hörfunk, später bei  Fernsehen. Sie schien zunächst eine gute Möglichkeit von Effizienzsteigerung und Ressourceneinsparung zu sein. Aus heutiger Sicht ist sie ein Fehler, da auf diese Weise eine Kontrollebene weggefallen ist.

Wir begrüßen, dass in der neuen Struktur des Hamburg-Hauses künftig wieder eine Trennung zwischen Landesfunkhausdirektion und Programmbereichsleitung vorgesehen ist. Wir begrüßen zugleich die geplante Zusammenführung aller Bereiche des Landesfunkhauses an einem gemeinsamen Ort.

b) Stellung der LFH-Direktoren gegenüber dem Intendanten/Kontrolle

Es ist auffällig, dass die Mängel in Führungsstil und Diskussionskultur ausgerechnet in zwei Landesfunkhäusern aufgetreten sind. Dies weist darauf hin, dass die staatsvertraglich festgeschriebene Eigenverantwortung der Landesfunkhäuser in Programm- und Personalfragen und die vergleichsweise starke Position der Landesfunkhausdirektoren/-direktorinnen die Herausbildung geschlossener Systeme begünstigen kann.

Wir empfehlen, die Kontroll- und Vorgesetztenfunktion für die Landesfunkhausdirektorinnen und -direktoren genauer zu beschreiben und zu kommunizieren.

4. Verbesserung der Situation freier Mitarbeitender

In dem journalistischen Prüfbericht und in unseren Gesprächen mit dem Freienrat zeigte sich, dass sich freie Mitarbeitende gerade in Konfliktsituationen als besonders ungeschützt erleben. Nicht wenige sind darüber hinaus unzufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen. Insgesamt ist das Nebeneinander von Mitarbeitenden mit und ohne Festanstellung eine besondere Herausforderung, die zu Konflikten führen kann. Wir empfehlen dem NDR, die Situation der freien Mitarbeitenden genau anzuschauen und im regelmäßigen Dialog mit ihnen Verbesserungen anzustreben.

5. Überprüfung von Beschwerdestrukturen

In der Prüfung der Vorwürfe wurde deutlich, dass es beim NDR schon in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Möglichkeiten gab, Missstände anzuzeigen, sich über sie zu beschweren oder Konfliktlösungen anzustreben: Den Personalrat, den Redaktionsausschuss, die Freienbeauftragte, die Konfliktbeauftragten, den externen Anwalt, die Antikorruptionsbeauftragte. Aus dem journalistischen Prüfbericht wird jedoch deutlich, dass diese Ansprechstellen möglicherweise immer noch zu hochschwellig waren oder dass sie als wirkungslos empfunden wurden. Daraus entstand bei einigen eine Resignation, die dazu führte, dass diese Stellen gar nicht mehr angesprochen wurden. Als Problem wurde auch benannt, dass alle Wege am Ende eben doch wieder zur Landesfunkhausspitze führten.

In diesem Zusammenhang wurde verschiedentlich auch die Rolle des Landesrundfunkrates angefragt, der doch auch ansprechbar sein sollte für solche Probleme.

Wir bekräftigen im Anschluss an die Empfehlungen des journalistischen Prüfberichts, dass sich die Beschwerdestellen bei einer Ballung von Beschwerden an Direktionen wenden sollten oder direkt an die Intendanz. Die staatsvertraglich festgelegte Teilautonomie der Landesfunkhäuser darf in diesem Fall nicht entgegenstehen. Wichtig ist, dass die Beschwerdewege ausreichend und regelmäßig bekannt gemacht werden.

Der Landesrundfunkrat selbst bietet sich auch an als Instanz für Beschwerden, will und kann die o.g. Beschwerdestellen aber nicht ersetzen. Er sieht sich daher auch weniger als Ansprechpartner für Einzelprobleme, sondern für systemische Mängel. Im Idealfall werden diese durch andere Gremien (Personalrat, Redaktionsausschuss, Freienrat) an ihn herangetragen.

6. Stärkere Trennung zwischen PR und Berichterstattung

Im Zuge der Aufarbeitung der Vorgänge im Landesfunkhaus Hamburg wurde deutlich, dass es berechtigte Kritik am Einfluss kommerzieller PR auf die journalistische Berichterstattung gab.

Wir empfehlen im Anschluss an den journalistischen Prüfbericht, dass der Umgang mit PR in den Redaktionen offen und kritisch diskutiert wird und dass es klare Regeln und redaktionelle Abläufe für den Umgang mit PR gibt. Da diese Frage unmittelbar den Programmauftrag berührt, werden wir sie auch im Landesrundfunkrat thematisieren.

7. Überprüfung der Unternehmenskultur

Wir begrüßen den Prozess der kulturellen Erneuerung im Landesfunkhaus Hamburg und werden ihn als Landesrundfunkrat weiterhin eng begleiten.

Wir begrüßen außerdem die Ankündigung des Intendanten, die Unternehmenskultur des gesamten NDR von einem externen Team untersuchen zu lassen, um anschließend einen Kulturwandel in die Wege zu leiten.

8. Verbesserung der Gremienarbeit

Bislang ist die Arbeit des Landesrundfunkrates sehr stark geprägt worden durch Vorlagen der Landesfunkhausleitung. Das ist im Prinzip auch sinnvoll, weil diese operativ zuständig ist für die meisten Punkte, die der Landesrundfunkrat diskutiert und beschließt. Dennoch hat dadurch eine Verengung der Perspektive stattgefunden, die dazu beigetragen hat, dass die in den Berichten aufgezeigten Mängel nicht rechtzeitig erkannt wurden.

Wir werden daher künftig regelmäßig auch die Perspektiven der Mitarbeitenden (vermittelt durch ihre Vertretungen) erfragen, sowohl des Personalrates als auch des Redaktionsausschusses und des Freienrates. Außerdem empfehlen wir, dass die Gremienarbeit statt wie bisher vom Büro der Landesfunkhausdirektion künftig direkt vom Gremienbüro geleistet wird. Grund ist nicht Kritik an der bisherigen Arbeit (die stets hervorragend geleistet wurde), sondern allein die saubere Trennung zwischen Hausspitze und Gremium.

Wir empfehlen, den Gremien einen Zugang zum NDR-Intranet zu ermöglichen.

Ausblick

Manche der Empfehlungen werden bereits umgesetzt, andere müssen noch weiter diskutiert werden. Der NDR Landesrundfunkrat Hamburg will den Blick nach vorne richten und sieht die Krise im NDR Landesfunkhaus auch als Chance, die zum Teil jahrealten Probleme anzugehen.

Als Gremium werden wir, gemeinsam mit dem Rundfunkrat und dem Verwaltungsrat, die angestoßenen Prozesse weiter begleiten und mitgestalten sowie die Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen überprüfen.

Wir sind uns bewusst, dass das Landesfunkhaus nur eine Baustelle unter viele im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist. Auch sehen wir, dass in manchen Punkten schlicht äußere Zwänge die Umsetzung von Empfehlungen einschränken. Dennoch wollen wir in unserem Verantwortungsbereich tun, was wir können, um positive und zukunftsfeste Veränderungen im NDR umzusetzen und die Zukunft des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks zu sichern.

Hamburg im Januar 2023

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V.i.S.d.P.:
Thomas Kärst
Vorsitzender des Landesrundfunkrates Hamburg
Gremienbüro
Rothenbaumchaussee 132
20149 Hamburg