Hans Schmidt-Isserstedt und seine frühe Liebe zur Musik

Hans Schmidt-Isserstedt,  Dirigent, geboren am 05.05.1900 in Berlin, gestorben am  28.05.1973 © NDR
Hans Schmidt-Isserstedt, wurde am 5. Mai 1900 in Berlin geboren.

Für die Musiker im Kaffeegarten der großen Brauerei im Osten Berlins war der kleine Junge, der vor ihnen stand, schon ein vertrauter Anblick. Denn immer wieder tauchte der Knirps vor dem Podium auf und sah und hörte der Kapelle aufmerksam zu. Der Kleine, der später ein berühmter Dirigent werden sollte, hieß Paul Hans Ernst Schmidt und war am 5. Mai 1900 in Berlin als Sohn des Brauereidirektors Paul Schmidt und dessen Ehefrau Therese, geborene Isserstedt, zur Welt gekommen. 1928 beschloss die Familie Schmidt, "da es so viele Schmidts in Berlin gibt", den Mädchennamen der Mutter an den väterlichen Namen anzuhängen und zukünftig "Schmidt-Isserstedt" zu heißen. So wurde aus Hans Schmidt "Hans Schmidt-Isserstedt". 

Die Musikbühne im Kaffeegarten

Hans Schmidt-Isserstedt, von 1945 bis 31.07.1971 Chefdirigent beim NDR Sinfonieorchester © NDR
Im Juni 1945 erhielt Schmidt-Isserstedt die Anfrage, ob er nicht ein Sinfonieorchester für das Radio in Hamburg aufbauen wolle.

Die Familie des Vaters war nachweislich seit 1746 in Berlin ansässig, was Schmidt-Isserstedt später witzeln ließ, eigentlich stehe er schon lange unter Denkmalschutz, weil ja die meisten Berliner aus Breslau oder anderen Provinzstädten kämen. Der kleine Hans wohnte zunächst mit den Eltern in der Brauerei, wo es, so Schmidt-Isserstedt später, "immer so gut nach etwas saurem Bier roch". Das Brauereigelände war für ihn der schönste Abenteuerspielplatz, auf dem er wild herumtoben konnte, wobei ihn eine leichte Behinderung am Bein, die von einer Polio-Erkrankung in frühester Kindheit geblieben war, kaum bremste.

Es gab immer etwas zu sehen, im Brauhaus, in den Ställen, bei den vielen Pferden und in der Betriebsschlosserei und -schmiede. Aus der Schlosserei stammten auch die Pfeilspitzen für den Bogen, den ihm die Fuhrparkknechte gebastelt hatten und mit dem Hans auf Spatzen und - noch lieber – auf Glühbirnen schoss. Die Hauptattraktion für ihn war jedoch die Musikbühne im Kaffeegarten, wo er einen entscheidenden Anstoß für seinen späteren Berufsweg erhielt: "In dem Kaffeegarten konzertierte ein Geiger mit einer Samtjacke und einer schönen braunen Locke. Da stand ich, etwa sieben Jahre alt, vor seiner Kapelle und bewunderte diesen Mann wie einen Zauberer. Auch ich wollte Geiger werden, auch ich wollte eine Samtjacke haben."  

Kleine Melodien auf einer selbstgebauten Geige

Hans Schmidt-Isserstedt, von 1945 bis 31.07.1971 Chefdirigent beim NDR Sinfonieorchester © NDR
Von 1945 bis 1971 war Schmidt-Isserstedt Chefdirigent des NDR Sinfonieorchesters - eine Lebensaufgabe.

Dass er Geiger werden wolle, erzählte er nun jedem, gleich ob der das hören wollte oder nicht. Verständnis und Unterstützung fand der Junge zunächst bei den Stallknechten. Der Fuhrparkchef baute ihm aus einer Zigarrenkiste eine kleine Geige, für den Bogen wurden den Pferden Schwanzhaare ausgezupft. Auf diesem "Instrument" fingerte der Kleine sich schon bald kleine Melodien zusammen und war überzeugt, dass er es auch noch zu einer Samtjacke bringen würde. Jetzt sahen auch die Eltern, dass es ihrem Sohn mit den musikalischen Plänen ernst war, und schenkten ihm zum nächsten Geburtstag eine kindgerechte Dreiviertel-Violine. Für Schmidt-Isserstedt blieb das nach eigenen Worten das schönste Geschenk, das er in seinem ganzen Leben bekommen hat.  

Das erste große Musikerlebnis in der Oper

Dass die Eltern die Pläne ihres Sohnes unterstützten, lag aber auch daran, dass sie selbst sehr musikalisch waren. Wie er später erzählte, spielten der Vater wie die Mutter Klavier, die Mutter sogar noch besser als ihr Mann, denn sie konnte frei vom Blatt spielen und sang auch sehr schön. Die Eltern nahmen Hans schon früh in Konzerte und als Neunjährigen zum ersten Mal in die Königliche Oper in Berlin mit, wo sie Abonnenten waren und wo es an diesem Abend Wagners Lohengrin gab, dirigiert von Karl Muck. Für den Jungen wurde das zum ersten großen Musikerlebnis. Zudem veranstalteten die Schmidts öfter Hauskonzerte, bei denen ihr Sohn begeistert zuhörte und betrübt war, dass er noch nicht mitmachen konnte. 

Die Schönheit von Mozarts Klarinettenkonzert

Hans Schmidt-Isserstedt, seit 1945 bis 31.07.1971 Chefdirigent beim NDR Sinfonieorchester. Hier im Großen Sendesaal des Hamburger Funkhauses © NDR Foto: Hans-Ernst Müller
Hans Schmidt-Isserstedt und "sein" NDR Sinfonieorchester, hier bei einer Probe im damaligen Großen Sendesaal des Hamburger Funkhauses.

Die Eltern sorgten dafür, dass Hans Geigenunterricht von guten Lehrern erhielt, und wachten darüber, dass er zu Hause regelmäßig übte. Durch seinen Fleiß und den sanften Druck der Eltern machte der Junge solche Fortschritte, dass der Vater und die Mutter schon bald zusammen mit ihm musizieren und ihn am Klavier begleiten konnten. Ein wenig später durfte er endlich bei den Hauskonzerten mitspielen. Bei einer solchen Gelegenheit lernte er erstmals ein Werk des Komponisten kennen, der ihn sein ganzes Leben nicht mehr loslassen sollte: "Da war nun ein Stück, was mir damals einen besonderen Eindruck machte. Das war der langsame Satz aus dem Klarinettenkonzert von Mozart. Dieses Stück hat in der langen Zeit bis heute nichts von seiner so wunderbaren Schönheit und seinem Rührenden eingebüßt, und jedes Mal, wenn ich es höre, denke ich an das erste Mal zurück, als ich es selbst an der zweiten Geige mitmachen durfte." 

Der Rowdy, der geigen konnte

Mit seinen Künsten beeindruckte der Junge auch seine Lehrer am Humanistischen Königstädtischen Gymnasium in Berlin, das er ab 1909 besuchte. Dort wurde er wegen seines nicht sonderlich ausgeprägten Lerneifers und eines "sehr lebhaften" Verhaltens zwar öfter getadelt, wegen seiner musikalischen Fähigkeiten aber bewundert. So hörte der Vater eines Abends bei einem Schulkonzert, bei dem Hans auftrat, wie ein hinter ihm sitzender Lehrer zu seiner Begleiterin sagte: "Der Schmidt ist ja ein schrecklicher Rowdy, aber geigen kann er einen." Noch auf dem Nachhauseweg wusch der Vater dem Sohn den Kopf. Allzu böse wurde er aber nicht, denn Schmidt-Isserstedt meinte dazu später, er habe sicherlich eine starke Neigung zum Taugenichts gehabt, letztlich aber sei es dem Vater wohl lieber gewesen, dass er einen Rowdy hatte, der geigen konnte, als einen artigen Jungen, der nicht geigen konnte.

Einen Schrecken versetzte Hans seinen Eltern allerdings, als er ihnen als Vierzehnjähriger ankündigte, er habe nun so gute Fortschritte auf der Violine gemacht, dass er den Schulbesuch abbrechen und mit einer "richtigen" Musikerausbildung beginnen wolle. Die Eltern waren davon wenig erbaut, und nach längeren Diskussionen gab der Sohn nach, zumal die Eltern versprachen, ihm nach dem Abitur das Musikstudium zu finanzieren. Am 11. November 1918 war es so weit: Hans Schmidt bestand die Abiturprüfung, und der Weg zum Geigenvirtuosen konnte beginnen. 

Aus: Hubert Rübsaat (2009): Hans Schmidt-Isserstedt. Ellert & Richter Verlag. Hamburg. S. 12

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