Stand: 21.04.2011 09:41 Uhr

NDR "Menschen und Schlagzeilen": Opferanwältin erhebt Vorwürfe gegen die Justiz im Fall Martin N.

Nach Bekanntwerden der strafrechtlichen Vergangenheit des mutmaßlichen Kindermörders Martin N. wird Kritik am Vorgehen der Hamburger Staatsanwaltschaft laut. Der Arbeitgeber des Pädagogen hätte wesentlich früher über Ermittlungen gegen Martin N. informiert werden müssen, sagte die Opferanwältin Gisela Frederking gegenüber "Menschen und Schlagzeilen" im NDR Fernsehen.

Schon 2005 war gegen Martin N. wegen Verstoßes gegen die sexuelle Selbstbestimmung ermittelt worden. Er soll zuvor zwei Jungen am Bauch gestreichelt haben. Gegen eine Geldzahlung war dieses Verfahren eingestellt worden. Der Arbeitgeber von Martin N. war darüber nicht informiert worden: "Hier hätte die Staatsanwaltschaft doch etwas genauer hingucken müssen und auch dem betroffenen Arbeitgeber Mitteilung machen müssen", so Frederking zu "Menschen und Schlagzeilen". Es hätte sich für die Ermittlungsbehörden "aufdrängen müssen, dass jemand, der in der Kinder- und Jugendarbeit tätig ist als Sozialpädagoge, dass der bei derartigen Vorwürfen nicht geeignet ist, eine solche Tätigkeit auszuüben".

Der Sprecher der Hamburger Staatsanwaltschaft, Wilhelm Möllers, weist die Vorwürfe zurück: "Da das Verfahren eingestellt worden ist, hat es kein Urteil gegeben, und insofern waren wir nicht verpflichtet, den Arbeitgeber zu informieren", sagte Möllers gegenüber "Menschen und Schlagzeilen". Zudem sei die "Frage der Strafbarkeit" im "Grenzbereich" gewesen: "Wir hätten uns dann möglicherweise dem Verdacht aussetzen müssen, dass wir falsche Verdächtigungen erheben."

Nach Recherchen von "Menschen und Schlagzeilen" widerspricht dies allerdings der gängigen Praxis in Strafprozessen. In der sogenannten Anforderung über Mitteilungen in Strafsachen heißt es unter Nummer 35 "Mitteilungen zum Schutz von Minderjährigen": "Werden in einem Strafverfahren (...) Tatsachen bekannt, deren Kenntnis (...) zur Abwehr einer erheblichen Gefährdung von Minderjährigen erforderlich ist, sind diese der zuständigen öffentlichen Stelle mitzuteilen".

2006 hatte es erneut ein Verfahren gegen Martin N. gegeben. Wegen versuchter Erpressung war er zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Auch über diesen Prozess hatte die Hamburger Staatsanwaltschaft den Arbeitgeber von Martin N. nicht informiert. Erst nach einem erneuten Ermittlungsverfahren wegen des Besitzes kinderpornografischer Bilder, das Ende 2007 wegen Verjährung eingestellt worden war, informierte die Staatsanwaltschaft den Arbeitgeber von Martin N., der ihn daraufhin fristlos entließ.

Es vergingen seit dem ersten Verfahren gegen Martin N. also knapp drei Jahre, in denen dieser als Jugendbetreuer tätig sein konnte. Auf die Frage, ob sich die Staatsanwaltschaft für diese Tatsache in einer Mitverantwortung sieht, sagte Möllers gegenüber "Menschen und Schlagzeilen": "Nein, sieht sie nicht."

Zitate aus der Meldung frei bei Nennung "Menschen und Schlagzeilen"

Informationen zur Sendung: www.ndr.de/menschenundschlagzeilen

21. April 2011 / JS

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