Stand: 27.10.2008 11:15 Uhr

"Alltag einer Supermacht - Eine Reise durch Amerika"

Sendetermin: Mittwoch, 29. Oktober, 23.30 Uhr, Das Erste

Entwicklungshelfer Stan Brock belädt Lkws und Flugzeuge mit seinen mobilen Behandlungsräumen, mit Zahnarztstühlen, medizinischem Gerät und Tausenden von Brillen für die Bedürftigen. Früher landete er mit seinen freiwilligen Helfern im Amazonasdelta, heute steuert er stattdessen Kentucky und Tennessee an. Dort stehen die Patienten schon Stunden Schlange, bevor die mobile Armenklinik aufgebaut ist: Schmallippige Männer mit verrotteten Zähnen, Mütter mit weinenden Kindern; Nichtversicherte, Unterversicherte, arbeitende Arme. 47 Millionen Amerikaner können sich keine Krankenversicherung leisten, ein Sechstel der Bevölkerung. "Zum Amazonas können wir ohnehin nicht mehr fliegen", sagt Entwicklungshelfer Brock, "dafür ist der Treibstoff zu teuer und der Dollar zu schwach."

Amerika ganz unten? Wie immer der nächste Präsident am Ende des Wahljahres heißen wird, er wird eine Supermacht in Selbstzweifeln finden. Die Wahlkampfthemen waren Krisenthemen: die Angst vor der Rezession, der Klimawandel, das marode Schul- und Gesundheitssystem, die Kriege ohne Sieg.

ARD-Korrespondent Klaus Scherer ist für seine Reportage quer durch die USA gereist - von der kalifornischen Pazifikküste bis nach New York. Er begleitete Zugschaffner in den Rocky Mountains und Farmer im Mittelwesten auf ihren Treckern, er besuchte Stahlkocher und einen Ölmilliardär, der nun auf Windkraft schwört. Er traf Menschen, die den Selbstmordsprung von der Golden Gate Brücke überlebten, und
70-Jährige, die in der Grundschule lesen und schreiben lernen. Er sprach mit Offizieren, die der Armee desillusioniert den Rücken kehrten, und mit dem Hausmeister der Freiheitsstatue, der noch immer nicht gutheißen will, dass sie seit den Anschlägen vom 11. September für Besucher gesperrt ist. Und er begleitet Patienten von Stan Brock, dem Entwicklungshelfer, nach Hause zu ihren Wohnwagen in den ärmsten Gegenden Amerikas. "Ein jeder spiegelte auf seine Weise die Selbstzweifel der Supermacht wieder, aber auch den Willen und die Zuversicht, neu anzufangen", so Scherer. "Als lebte in ihnen immer noch der Geist der Pioniere, die noch im Scheitern nie nach einer Regierung rufen würden."

"Es sollte ein politischer Reisefilm werden, der sowohl durch dieses Riesenland führt als auch durch die Streitthemen"
Gespräch mit Klaus Scherer

Was haben Sie auf Ihrer Reise vorgefunden?

Ein Land, das in zwei Lager gespalten ist. Als wir mit Farmern in Iowa unterwegs waren, sagten die klar, Obama wolle den Reichen Geld wegnehmen, um es den Armen zu geben. Das sei nicht amerikanisch. Andererseits drehten wir tatsächlich Szenen wie in einem Entwicklungsland, etwa in einer mobilen Notklinik. Immer mehr Amerikaner beklagen laut, wie sehr das Land seine Kranken im Stich lässt. Der Streit darüber ist ideologisch überladen, als gehe es um Sozialismus. Schon deshalb scheinen die Lager unversöhnlich.

Was hat Sie am meisten überrascht?

Wie sehr das Land bei allen Unterschieden vom Patriotismus zusammen gehalten wird. Vom Hymnen-Appell der Erstklässler bis zur Fahne am Bauerntrecker. Wir haben als Soundtrack für die Reportage die Hymne variieren lassen. Die hält nun auf gleiche Weise den Film zusammen. Die Parallele wurde mir erst klar, als der Film schon entstand.

Sie beschreiben den Film als Experiment. Warum?

Es sollte ein politischer Reisefilm werden, der sowohl durch dieses Riesenland führt als auch durch die Streitthemen. Zudem sollte er immer mal nach dem deutsch-amerikanische Verhältnis fragen. Alles jenseits von Washington und alltagsnah. Das ist eine Menge. Aber ich halte den Ansatz auch im Nachhinein noch für richtig - und für geglückt.

Wer wird nach Ihrem Eindruck denn nun die Wahl gewinnen?

Die erfahrenen US-Kollegen melden, dass mit diesem Abstand so kurz vor der Wahl noch jeder gewonnen hat. Zugleich ist diese Abstimmung historisch so beispiellos, dass sich keiner darauf verlässt. Die Demokraten haben Angst, dass sie wieder auf den letzten Metern verlieren. Und die Republikaner, dass es dieses mal tatsächlich nicht reichen könnte. Und viele hassen einander deswegen.

Phoenix zeigt die Reportage am Dienstag, 4. November, um 20.15 Uhr.

27. Oktober 2008 / IB

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