Stand: 07.11.2013 10:26 Uhr

"Geraubte Leben": erste Fernsehdokumentation über das KZ Neuengamme

Sendetermin: Sonnabend, 9. November, 13.30 Uhr im NDR Fernsehen

Die Bilder von der Befreiung der Konzentrationslager am Ende des Zweiten Weltkrieges riefen weltweit Entsetzen hervor. Das größte Konzentrationslager Nordwestdeutschlands lag in Hamburg-Neuengamme - die Nationalsozialisten inhaftierten im Hauptlager und in den mehr als 85 Außenlagern mehr als 100.000 Menschen aus ganz Europa. Beinahe die Hälfte starben. Der 45-minütige Film "Geraubte Leben - Europa im KZ Neuengamme" des NDR Landesfunkhauses Hamburg ist die erste Fernseh-Dokumentation, die sich dem KZ Neuengamme widmet. Das NDR Fernsehen zeigt sie anlässlich des Jahrestages der Reichspogromnacht am Sonnabend, 9. November, um 13.30 Uhr. Dr. Detlef Garbe, Direktor der KZ-Gedenkstätte Neuengamme: "Eine längst überfällige Auseinandersetzung mit der Geschichte des größten norddeutschen Konzentrationslagers."

In "Geraubte Leben - Europa im KZ Neuengamme" von Maiken Nielsen und Jan Liebold berichten Zeitzeugen aus Frankreich, Tschechien, Israel und Russland über die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Inhaftierten und über den Verlust von Familienmitgliedern. Sie erzählen von Freundschaften im KZ und dem allgegenwärtigen Tod.

Ein heute 97-Jähriger, der in Hamburg geboren wurde und aufwuchs, erzählt, wie er eines der Neuengammer Außenlager als britischer Militärarzt befreite. Eine ehemalige SS-Aufseherin schildert in einem Tondokument ihre Eindrücke von der Arbeit in einem KZ. Einer der 20 Hauptzeugen in den Curiohaus-Prozessen erklärt, wie er gegen die SS-Wachleute und Hauptangeklagten aussagte - und bei ihrem Anblick immer noch Angst empfand. Bislang nie gesendete Filmsequenzen, die jahrzehntelang unter Verschluss lagen, komplettieren die Dokumentation.

"Eine Lücke schließen"
Gespräch mit Autorin Maiken Nielsen

Wie entstand die Idee zur Dokumentation "Geraubte Leben - Europa im KZ Neuengamme"?
Jedes andere Konzentrationslager ist in Form einer Fernseh-Dokumentation aufgearbeitet worden, nur Neuengamme nicht. Das NDR Landesfunkhaus Hamburg wollte diese Lücke schließen. Schließlich lag das KZ vor den Toren Hamburgs, viele Hamburger Betriebe haben dort produzieren lassen und viele Hamburgerinnen und Hamburger haben als Aufseher im KZ gearbeitet.

Wie und wo sind Sie an die Zeitzeugen herangekommen?
Zunächst einmal über die KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Die Mitarbeiter dort haben Kontakt zu Hunderten von ehemaligen Zwangsarbeitern und Häftlingen in aller Welt. Die wiederum sind vernetzt mit Gruppen ehemaliger KZ-Häftlinge in ihren Heimatländern. Ich habe mich da durchgetastet und bin etwas gereist. Nur etwa 10 Prozent der Häftlinge in dem KZ kamen aus Deutschland, die meisten wurden aus Frankreich, Russland und Osteuropa nach Neuengamme deportiert. Deshalb war es mir wichtig, Zeitzeugen aus diesen Ländern zu befragen. Außerdem wollte ich unbedingt jemanden finden, der bei den Curiohaus-Prozessen 1946 dabei war, als die SS-Wachmannschaften von einem britischen Militärgericht verurteilt wurden. Ich wollte wissen, wie es für einen ehemaligen KZ-Häftling war, den Tätern im Gericht gegenüberzustehen. Es hieß aber immer, dass keiner der Zeugen mehr leben würde. Durch einen sehr glücklichen Umstand habe ich kurz vor Ende der Dreharbeiten dann doch jemanden gefunden: Eine französische Bekannte, die mit Opfern des Nationalsozialismus in Frankreich in Kontakt steht, riet mir, in einem Pariser Altenheim anzurufen. Dort habe ich den Amerikaner Phillip Jackson getroffen, der eine unglaubliche Lebensgeschichte hat!

Wie waren die Reaktionen der Zeitzeugen - waren alle bereit, über "damals" zu reden?
Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Jeder hat seine Erlebnisse anders verarbeitet. Mitunter kam es mir so vor, als berichteten die Menschen über Dinge, die nicht ihnen selbst widerfahren waren, so unbewegt und distanziert erzählten sie. Ein Franzose, Raymond Gourlin, der jahrzehntelang nicht über seine Erlebnisse sprechen konnte, weil ihm niemand geglaubt hat, ist während des Interviews regelrecht zusammengebrochen. Hans Engel, ein 97-jähriger Brite, der ursprünglich aus Hamburg stammt und rechtzeitig emigrieren konnte, ist als Befreier eines Neuengammer Außenlagers zurückgekehrt. Er spricht erst seit fünf Jahren über das, was er dort gesehen hat.

Woher stammen die Bilder im Film?
Die Bilder sind tatsächlich eine kleine Sensation. NDR Autor Jan Liebold, der als Rechercheur mitgearbeitet hat, hat bislang ungesendete Filmsequenzen gefunden, die Zwangsarbeiter im Außenlager Bremen-Farge zeigen. Ansonsten hatten wir nur Fotos, was uns vor große Probleme gestellt hat. Man kann ja ein Feature nicht mit Fotos bebildern. Wir haben uns dann entschlossen, einige Fotos in 3D animieren zu lassen, um das Leblose, Statische herauszunehmen.

Welche Reaktionen hat es zu ihren Recherchen und Dreharbeiten gegeben? Z.B. auch von den Verantwortlichen der KZ-Gedenkstätte Neuengamme?
Durchweg alle haben gesagt: Endlich! Es war in der Tat höchste Zeit. Die ehemaligen KZ-Häftlinge, mit denen wir gesprochen haben, sind als Teenager deportiert worden. Heute sind sie in ihren Achtzigern.

Den Film finden Sie zur Ansicht im Vorführraum des NDR Presseportals (NDR.de/presse)

Fotos: ARD-Foto.de

7. November 2013/IB

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