Stand: 27.10.2016 17:00 Uhr

Heimkinder: Landesbeauftragte Thobaben wirft Landesregierung zu zögerliche Aufarbeitung vor

von Andreas Schmidt

Die ehemalige Landespastorin Petra Thobaben wirft der Landesregierung vor, die Missstände in Kinderheimen während der 60er und 70er Jahre in Schleswig-Holstein nur zögerlich aufzuarbeiten. Das sagte Thobaben im Interview mit NDR 1 Welle Nord und Schleswig-Holstein Magazin. Die Landesregierung wirke ein wenig hilflos, wenn es um die Frage der Aufklärung ginge.

Thobaben war vor knapp zwei Jahren von Sozialministerin Alheit beauftragt worden, den Missbrauch in Kinder- und Jugendpsychiatrien aufzuarbeiten. Die Landesregierung habe sie in dieser Zeit zögerlich und abwartend erlebt, so Thobaben: "Salopp gesprochen ist es die Haltung 'Wasch mich, aber mach mir mein Fell nicht nass!‘ Auch ihre eigene Rolle hinterfragte sie in diesem Zusammenhang und kritisierte: "Man könnte auf die Idee kommen, zu sagen: Ich habe eine Alibi-Funktion." Nach den kürzlich erfolgten Enthüllungen zu Medikamentenstudien in Kinderheimen hätten sich wieder vermehrt Betroffene bei ihr gemeldet, so Thobaben. Sie fände es schade, dass das Sozialministerium diese neue Diskussion nicht zum Anlass für einen offensiveren Umgang mit dem Thema genommen habe.

Die Pharmazeutin Sylvia Wagner hatte vor zwei Wochen aufgedeckt, dass es im ehemaligen Landeskrankenhaus Schleswig mindestens zwei Medikamenten-Versuchsreihen an Heimkindern gegeben hat. NDR 1 Welle Nord und Schleswig-Holstein Magazin hatten darüber berichtet. Das Sozialministerium in Kiel hatte daraufhin unter anderem eine wissenschaftliche Aufarbeitung angekündigt.

Thobaben erklärte im NDR-Interview, sie habe eine solche breit wissenschaftliche Untersuchung bereits im Januar in ihrem Bericht empfohlen. Obwohl die Aktenlage schwierig sei, hätte durch das Sozialministerium aus ihrer Sicht eine Plausibilitätsstudie beauftragt werden müssen, um Klarheiten zu schaffen. Das Land müsse nun ein entsprechendes Forschungsprojekt auf die Beine stellen, so Thobaben. Sie plädiert außerdem für die Einrichtung einer Stiftung zur Aufarbeitung des Medikamentenmissbrauchs.

Das Sozialministerium erklärte auf Anfrage, dass man im Zeitplan sei und es große Fortschritte gegeben habe. Nach intensiven Verhandlungen mit Bund, Ländern und Kirchen sei eine Entschädigungsregelung gefunden worden. Auch die wissenschaftliche Aufarbeitung laufe an.


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