Stand: 30.11.2018 19:29 Uhr

Darum wurde der "Polizeiruf 110" nachbearbeitet

Der "Polizeiruf 110 – Für Janina" hat nach seiner Ausstrahlung am 11. November 2018 für Diskussionen gesorgt. Im Film war im Zimmer der LKA-Beamtin Katrin König (Anneke Kim Sarnau) ein Aufkleber mit der Aufschrift "FCK AFD" zu sehen. Der sollte dort aber nicht sein und wurde deshalb in einer Nachbearbeitung entfernt. Dafür gab es zum Teil deutliche Kritik am NDR.

Thomas Schreiber, ARD Koordinator Unterhaltung © NDR Foto: Marcus Krüger
Thomas Schreiber: "Die Diskussion über die Nachbearbeitung verfälscht das Geschehen."

Thomas Schreiber, Leiter des Programmbereichs "Fiktion & Unterhaltung" erklärt: "Die Berichterstattung und die öffentliche Diskussion über die digitale Nachbearbeitung unseres Films 'Polizeiruf 110 - Für Janina', der zum Auftakt der Themenwoche Gerechtigkeit erstgesendet wurde, verfälscht das tatsächliche Geschehen."

Wie kam es zu der Entscheidung?

Für Thomas Schreiber waren ausschließlich redaktionelle Gründe ausschlaggebend:

· In fiktionalen Produktionen, anders als zum Beispiel in Doku-Dramen, arbeitet der NDR nicht mit realen Parteinamen. So wurden zum Beispiel im letzten "Polizeiruf 110 - In Flammen" Geschehnisse um eine erfundene rechtspopulistische Partei geschildert, wie auch im "Tatort - Dunkle Zeit" mit Wotan Wilke Möhring, der am 17. Dezember 2017 erstgesendet wurde.

· Der Aufkleber war nicht vom Regisseur, nicht von der Produzentin und nicht vom Sender abgenommen.

Der Film sei in mehreren Abnahmeschritten von Autor und Regisseur Eoin Moore (der die Rostocker Polizeiruf-Reihe mit Anneke Kim Sarnau und Charly Hübner maßgeblich mitentwickelt hat), Produzentin Iris Kiefer, Redakteurin Daniela Mussgiller und Fernsehfilmchef Christian Granderath abgenommen worden. Zahlreiche Journalistinnen und Journalisten hätten den Film vor der Erstsendung im digitalen Presseportal des Ersten gesichtet, am 8. November 2018 habe der NDR "Für Janina" in einem Rostocker Kino vor rund 400 Zuschauerinnen und Zuschauern gezeigt.

Der "Polizeiruf" als Stream

"Polizeiruf - Für Janina" in der ARD-Mediathek

Ein ungeklärter Mord wird neu aufgerollt. Der Täter wurde damals freigesprochen. Bukow und König ermitteln. Der Film in voller Länge. extern

Schreiber weiter: "Am Tag nach der Erstsendung erreichte den NDR eine Presseanfrage zu einem Aufkleber 'FCK AFD', der im Film zu sehen sei. Bis dahin war niemandem aus dem Kreativteam oder aus der Redaktion dieser Aufkleber aufgefallen, der Sticker war - anders als alle anderen Aufkleber, Plakate etc. im Szenenbild 'Büro der LKA-Beamtin Katrin König' - weder von Regisseur, Produzentin oder Redakteurin abgenommen worden."

Der Aufkleber war im Hintergrund des Szenenbildes an einer Pinnwand befestigt und an den beiden letzten Drehtagen sehr klein im Bild zu sehen. Das konnte inzwischen anhand des Drehplans nachvollzogen werden. In der Handlung des "Polizeirufes" waren diese Aufnahmen kurz nach der Mitte des Filmes zu sehen, sodass es sich im Bild um einen Anschlussfehler handelte, denn sowohl davor als auch danach spielten weitere Szenen im Büro von Katrin König, in denen der Sticker nicht zu sehen war.

Wie konnte der Sticker im Bild auftauchen?

"Ganz genau ließ es sich nicht rekonstruieren, vermutlich wurde die Pinnwand nach einer Drehpause wiederhergestellt und dabei könnte der Sticker angebracht worden sein, ohne dass jemand aus dem Kreativteam die rekonstruierte Pinnwand künstlerisch oder redaktionell abgenommen hat", so Schreiber. Sie sei zuvor für Gegenschuss-Aufnahmen im Motiv abgenommen worden. Bei der täglichen Sichtung der Filmmuster, im Schnitt und bei den Abnahmen sei der Sticker nicht aufgefallen, weil die Spielhandlung im Vordergrund der Aufmerksamkeit gestanden habe.

Für Iris Kiefer von Filmpool, die Produzentin der Reihe, ist es eine "schwer erträgliche Vorstellung", dass sie nicht wisse, welche Requisite in ihrem Film verwendet werde, das habe sie schockiert.

Wurde die künstlerische Freiheit verletzt?

Regisseur, Produzentin und Redaktion haben gemeinsam entschieden, diesen Aufkleber mit einer digitalen Nachbearbeitung zu entfernen.

Thomas Schreiber betont: "Weder die Kunstfreiheit noch die Pressefreiheit wurden durch die digitale Bildbearbeitung berührt, da weder Regie noch ein anderer Kreativer oder die Redaktion diesen Sticker intendiert hatten."

Alle anderen Merkmale, die zur Charakterisierung der in sich widersprüchlichen Figur Katrin König dienten – zum Beispiel die Aufkleber gegen Rechtsradikalismus in ihrem Büro, ein Anti-Atomkraft-Aufkleber, ihre alte benzinschluckende S-Klasse, ihr Einkaufen im Bio-Supermarkt, für das sie gelegentlich von ihren Kollegen kritisiert wird - blieben davon unberührt. Dass manche Aufkleber wie zum Beispiel "FCK NZS", der seit Jahren auf ihrem Laptop klebt, in der Vergangenheit nicht so prominent wahrgenommen wurden, mag daran liegen, dass bei "Für Janina" ein großer Teil der Szenen in Katrin Königs Büro spielt, erläutert Schreiber weiter.

Eoin Moore, Drehbuchautor und Regisseur vieler Filme des Rostocker "Polizeirufes", sagt: "Während es für die Figur Katrin König wichtig ist, Motive gegen Faschismus und Rechtsradikalität in ihrem Arbeitsraum zu zeigen, sollte keine Partei konkret genannt werden. Die Entscheidung, die kurzen Sequenzen mit dem Aufkleber nachträglich digital zu bearbeiten, habe ich mit getroffen. Es handelt sich somit in keiner Weise um einen Akt der Zensur."

Daniela Mussgiller, Redakteurin des Films, betont: "In regelmäßigen Abständen machen wir hier in der Redaktion Filme, die im politischen Milieu spielen: Zuletzt die Mini-Serie 'Die Stadt und die Macht', der 'Tatort: Dunkle Zeit' oder auch die vorletzte Folge des Rostocker 'Polizeiruf', 'In Flammen', der im Juni 2018 im Ersten zu sehen war. Wir verwenden dabei nie die echten Parteinamen, ebenso wenig wie wir Lidl- oder Prada-Tüten zeigen. Deutlich werden wir aber mitunter bei politischen Haltungen unserer Filmfiguren, deshalb kleben zum Beispiel bei Katrin König im Büro auch 'FCK NZS'-Sticker, Anti-Atomkraft-Banner und Antifa-Plakate. Über diese Requisiten stimmen wir uns mit Regie und Ausstattung ab. Wenn jedoch in einigen Szenen ein Sticker auftaucht, der da nicht hängen sollte, dann sind wir uns der redaktionellen Verantwortung bewusst, das zu korrigieren. Wir hätten es vor der Ausstrahlung getan, hätten wir ihn bemerkt. Die politische Einstellung der Filmfigur und auch unsere Haltung, zu dieser zu stehen, sind davon unberührt. Es wurde ein Fehler behoben – nicht mehr und nicht weniger."

Christian Granderath, Leiter der Abteilung Film, Familie und Serie beim NDR. © NDR
Christian Granderath: "Es handelt sich in keiner Weise um künstlerische Zensur."

Fernsehfilmchef Christian Granderath erläutert: "Es gehört zum fundamentalen Selbstverständnis der Abteilung 'Film, Familie & Serie', dass wir uns in unseren Filmen mit der gesellschaftlichen Entwicklung auseinandersetzen und Debatten aufnehmen und anstoßen. Die Serie 'Die Stadt und die Macht', der 'Tatort: Dunkle Zeit' sowie der 'Polizeiruf 110: In Flammen' stehen stellvertretend für viele andere Beispiele. Die beiden Krimiformate haben sich dabei in jüngster Zeit explizit mit dem Phänomen des Rechtspopulismus auseinandergesetzt. Wenn politische Parteien eine Rolle spielen, behandeln wir diese wie andere Marken – wir arbeiten grundsätzlich mit erfundenen Namen, von der Margarine bei den 'Roten Rosen' bis hin zu politischen Parteien. Ebenso wenig wie 'FCK AFD' würden wir einen Aufkleber 'Wählt CDU/SPD/Grüne' akzeptieren. Der retuschierte Aufkleber ist ohne Einverständnis und unbemerkt von Regisseur, Produzentin und Redakteurin platziert worden und im völligen Einverständnis mit dem Regisseur retuschiert worden. Es handelt sich in keiner Weise um künstlerische Zensur, diese würde ich ebenso wenig akzeptieren wie Eoin Moore und alle anderen Beteiligten."