3D-Produktion für die Ohren: "Aufgehört"

Der alte Kunstkopf der Ausbildungsabteilung. © NDR
Der alte Kunstkopf der Ausbildungsabteilung.

Unsere Meinung zur Kunstkopf-Produktion "Aufgehört"

Wir Fachausbilder sind sehr stolz darauf, dass sich unsere Azubis in ihrem Berufsschulprojekt für eine fast schon vergessene Produktionsweise entschieden haben: die Kunstkopf-Aufnahme. Mit ihrem Titel "Aufgehört" haben sie sich nicht nur im Wort für größere Dimensionen entschieden.

Kunstkopf-Hörspiele wurden hauptsächlich in den 70er und 80er Jahren produziert, in den 90ern schon seltener. Eine aktuelle Liste von Kunstkopf-Produktionen (Hörspiele und Feature), gefunden unterwww.jokan.de/kunstkopf-liste, weist im Jahr 2003 die letzte Produktion aus.

Dass sich die Kunstkopf-Produktion, also die "3D-Produktion für die Ohren", in der Hörfunkwelt leider nicht durchgesetzt hat, ist der Tatsache geschuldet, dass der Kunstkopf an sich zwar immer gleich aufgebaut ist, das Abhören jedoch nur mit Kopfhörern möglich ist und die Wiedergabe nicht nur von der Art und Qualität des Kopfhörers sondern auch und im Besonderen vom Hörenden selbst und seiner physiologischen Hörfähigkeit abhängt. Unsere "Köpfe" und "Ohren" sind mit dem Aufbau eines standardisierten Kunstkopfes oft nicht kompatibel. Während der Hörende die Rechts-Links-Lokalisation sicher vornehmen kann, sind die Oben-Unten- und Vorne-Hinten-Unterscheidungen dagegen wesentlich schwieriger. Es stellt sich uns also generell die Frage, wie gut solch eine Produktion überhaupt zu beurteilen ist. Hinzukommt, wie bei jedem Hörspiel, die unvermeidlich subjektive Wahrnehmung. Kann sich der Zuhörer auf die Geschichte einlassen und schafft er es wirklich, die Augen zu schließen und genau hinzuhören?

Wir Fachausbilder haben genau hingehört!

Unserer Meinung nach

  • eignet sich die Geschichte besonders gut für eine Kunstkopf-Produktion, da die Zentralfigur unfallbedingt lernen muss, mit einem Sinn weniger zu leben. Neben dem Tastsinn (mit dem Blindenstock) gewinnt der Hörsinn an Gewicht. Er wird mehr und mehr geschärft. Geräusche werden lauter wahrgenommen, technisch: überbetont. Der Hörspielhörer lernt, dank Kunstkopfaufnahme, quasi mit der Zentralfigur mit
  • kann sich eine Kunstkopf-Produktion ohne Kopfhörer subjektiv vielleicht angenehmer anhören, aber Sinn und Ziel der Produktion werden dadurch ad absurdum geführt. Der Effekt ist dahin. Eine Beurteilung der Produktion ist definitiv nicht mehr möglich, da die dritte Ebene beim Hören ohne Kopfhörer komplett entfällt. Vergleichbar mit einer "3D-Produktion beim Film", den man ja auch nicht ohne 3D-Brille anschauen und beurteilen kann
  • sind die Aufnahmen kunstkopf-typisch. Sonst wären z. B. die wunderbare Drehbewegung der Figur am Klavier oder die tollen Außenatmos niemals so realistisch abbildbar
  • hätten die Azubis viele Sprachaufnahmen in einem schalltoten Raum machen müssen, um die Einzelsignale/Gespräche den Außenatmos besser zumischen zu können. Da solch ein schalltoter Raum nicht zur Verfügung stand, wird der Raumklang des Aufnahmestudios im Stück leider mehr wahrgenommen als gewollt
  • kann das Filtern von Kunstkopfsignalen zu Verfälschungen in der Lokalisation führen und ist deshalb nur mit großer Vorsicht einzusetzen
  • ist eine 100%ige  Abbildung der Realität in der Regel nicht gewollt und technisch auch nicht möglich. Es ist eine künstlich geschaffene Welt mit allen Freiheiten, die man sich in der Kunst nehmen darf und sollte

Abschließend noch ein paar persönliche Worte zum Hören und zum Hörspiel. Wir "Fernseh-Macher" vertreten oft nach außen, dass die Welt ohne das Bild um einiges ärmer ist. Doch das Gegenteil ist der Fall. In der Konzentration auf das gesprochene Wort lassen wir der Phantasie freien Lauf. Was gibt es Schöneres als die Bilder allein im Kopf zu "sehen" und plötzlich zu spüren, dass uns ein Schauer über den Rücken läuft oder ein Lachen über die Lippen huscht.

Das alles passiert bei "Aufgehört".

Elke Kellermann und Conrad Zelck, NDR - Fachausbilder Ton/Fernsehen

 

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