Web 2.0: das Mitmach-Netz
User-generated content, Bürgerjournalismus, Mash-Ups: Das Web 2.0 schillert bunt und erregt die Gemüter. Für die einen bricht eine Revolution im Web los, die anderen tun die Aufregung als bloßen Hype ab. Richtig ist, dass eine Fülle neuer Anwendungen die Inhalte des Netzes verändert und die Art und Weise, wie die Menschen es benutzen. Das Internet macht eine Evolution durch. NDR Online erklärt, was die neue Qualität ausmacht.
Selbermachen heißt die Devise
Das Web 2.0 verwandelt Konsumenten in aktive Inhalte-Produzenten: Bei der Fotoplattform Flickr stellen Hobby-Fotografen Bilder ein, in der Online-Enzyklopädie Wikipedia schreiben Freiwillige Artikel und verbessern Texte anderer, auf der Auktionsplattform eBay bewerten sich Käufer und Verkäufer gegenseitig. "User-generated content" (etwa: "von Nutzern erstellter Inhalt") heißt dieses Phänomen: "Wir sind das Netz". Weniger schmeichelhaft für diese Entwicklung ist der Begriff Aal-Prinzip, der für "andere arbeiten lassen" steht. Denn Web 2.0-Firmen müssen nur noch Web-Plattformen bereitstellen, für die Inhalte sorgt die - unbezahlte - Netzgemeinde.
Das Prinzip "jeder kann das"
Weil niemand mehr Programmierkenntnisse braucht, um mitzumachen, ist das Web 2.0 ein Massenphänomen geworden. Um zum Beispiel im "Web 1.0" eine eigene Homepage ins Netz zu stellen, mussten die Nutzer mindestens über HTML-Kenntnisse, die Sprache des Webs, verfügen. Wer sich heute im Netz präsentiert, richtet sich mit wenigen Klicks einen Blog ein, eine Art Online-Journal. Das Programmieren erledigen andere. Die User haben Zeit, sich um die Inhalte zu kümmern.
Populäre Web 2.0-Seiten
Neben Blogs gehören Videosharing-Seiten wie youtube, blip.tv oder sevenload und Bilderdienste wie Flickr oder Ipernity zu den beliebtesten Anwendungen. Eine Redaktion, die die Inhalte aussucht oder gar produzieren lässt, haben diese Dienste nicht. Jeder kann Texte, Bilder und Filme veröffentlichen. Diese Entwickung wird auch unter dem Stichwort Bürgerjournalismus zusammengefasst.
Vom Desktop zum Webtop
Auch das gute alte Browser-Lesezeichen, ehemals auf der heimischen Festplatte abgelegt, hat den Sprung ins Web 2.0 geschafft: Bei sogenannten "Social-Bookmarking-Diensten" wie del.icio.us oder Mr. Wong kann jeder seine Bookmarks öffentlich abspeichern, verschlagworten und so mit anderen teilen. Dieses "Taggen" genannte Prinzip ist einer der Grundpfeiler des Web 2.0: Die Netzgemeinde selbst klassifiziert Inhalte und entscheidet, was wichtig ist. Die Inhalte wandern vom Heim-PC ins Netz und werden öffentlich.
Mash-Ups: Offenheit ist Trumpf
Das Web 1.0 arbeitete viel mit geschlossenen Systemen - die Firmen hüteten ihren Code und ihre Schnittstellen eifersüchtig, Inhalte waren an Plattformen gebunden. Auch dieses Prinzip hat sich überlebt: Viele der erfolgreichsten Anwendungen wie zum Beispiel die Blog-Software Wordpress basieren auf Open-Source-Software, die jedermann weiterentwickeln und anpassen darf. Offene Schnittstellen (APIs) ermöglichen es, Daten und Inhalte auszutauschen und zu kombinieren. NDR Online bietet beispielsweise Nachrichten-Schlagzeilen als RSS-Feed an. Dieser Abo-Service informiert seine Nutzer automatisch über Neuigkeiten, auch können die Nutzer den Feed auf die eigene Homepage setzen. Besonders beliebt ist es, Fotos, die bei Flickr liegen, in Blogs einzubinden - dank offener APIs ist es leicht, diese Daten auszutauschen.
Chancen und Risiken
Hochfliegende Träume und große Ängste gehen mit den Innovationen und den neuen Web-Angeboten einher: Die einen sehen in der Nutzbarmachung einer kollektiven Intelligenz eine große Chance, die Demokratisierung zu fördern und mündigen Bürgern digitale Werkzeuge in die Hand zu geben, mit denen sie ihre Interessen durchsetzen können. Die anderen warnen davor, persönliche Daten online zu veröffentlichen. Denn wer seine privaten Schnappschüsse oder seine politischen Ansichten in das Web speist, ist längst ein "gläserner Nutzer" - und kann Opfer von Daten-Missbrauch werden. Auch die vielgepriesene "Weisheit der Massen" ist eher Wunsch denn Wirklichkeit - auch das Kollektiv kann irren. Fehlerhafte Angaben in der Wikipedia oder verleumderische Blog-Artikel kommen vor.
Wer hat's erfunden?
Der Begriff Web 2.0 ist das Ergebnis eines Brainstormings zwischen dem amerikanischen Verleger und Netz-Visionär Tim O'Reilly und seinem Geschäftspartner Dale Dougherty. Die beiden suchten ein Schlagwort, um die aufkommenden neuen Techologien und Phänomene zusammenzufassen. Die ganz Eiligen reden übrigens längst vom Web 3.0 - aber was sich dahinter verbirgt, weiß noch keiner so recht.