Stand: 14.02.2019 17:40 Uhr

Missbrauchsfälle in Lügde: Schwere Vorwürfe gegen Behörden

Die Mutter, die mit ihrer Anzeige die Ermittlungen zu den Missbrauchsfällen im nordrhein-westfälischen Lügde ausgelöst hat, erhebt schwere Vorwürfe gegen Polizei und Jugendämter. Im Interview mit NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung sagte sie: „Wenn sie schon 2016 den Hinweisen nachgegangen wären, dann wäre meiner Tochter nichts passiert.“

Die Behörden sind jedoch erst zwei Jahre nach den ersten Verdachtsmomenten gegen Andreas V. und seine mutmaßlichen zwei Mittäter vorgegangen – nachdem die Mutter am 20. Oktober 2018 eine Anzeige gestellt hatte. Sie schildert im Interview, dass sich ihre Tochter im Sommer vergangenen Jahres mit der Pflegetochter von Andreas V. angefreundet habe. Später habe das Mädchen zweimal, jeweils für mehrere Tage bei ihm und seiner Pflegetochter auf dem Campingplatz übernachtet. Nach dem zweiten Mal habe ihre Tochter gesagt, dass Andreas V. ihr Schlimmes angetan, ihr wehgetan habe.

„Natürlich, wenn man den Hinweisen 2016 nachgegangen wäre, wäre sicherlich die ganze Geschichte völlig anders abgelaufen“, sagt auch der jetzt für die Ermittlungen zuständige Detmolder Oberstaatsanwalt Ralf Vetter. Er bezieht sich auf zwei Verdachtsmeldungen, die im August und November 2016 eingegangen waren.

Im August 2016 schilderte eine Mitarbeiterin des Kinderschutzbundes aus dem Kreis Hameln-Pyrmont einen möglichen Kindesmissbrauch. Sie hat nach eigenen Angaben dem Hamelner Jugendamt zunächst auf den Anrufbeantworter gesprochen und die Vorwürfe eines Vaters von zwei Mädchen gegen Andreas V. geschildert haben. Dies geht aus einem internen Vermerk hervor, den die Mitarbeiterin des Kinderschutzbunds nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Andreas V. angefertigt hat, und der NDR, WDR und SZ vorliegt. Andreas V. soll demnach gegenüber dem Vater gesagt haben, „es sei so ein schönes Gefühl, so einen warmen Körper im Nacken sitzen zu haben“.

Am nächsten Werktag, dem Montag darauf, meldete sich laut Vermerk das Hamelner Jugendamt auf die Nachricht auf dem Anrufbeantworter zurück. Die Meldung sei noch einmal genauestens geprüft worden. Zugleich habe das Jugendamt versichert, sich darum zu kümmern.

Der für die Behörde zuständige Landrat von Hameln-Pyrmont, Tjark Bartels, sagte im Interview mit NDR, WDR und SZ: „Wenn ein deutlicher Hinweis, der auf sexuellen Missbrauch hindeutet, bei uns im Haus vorgelegen hätte, dann hätten wir darauf reagiert.“

Der Kinderschutzbund hat damals nicht nur das Jugendamt, sondern auch die Polizei informiert. Dies bestätigt unter anderem ein interner Bericht des Innenministeriums in Nordrhein-Westfalen. Der Polizist, der die Meldung entgegennahm, sprach anschließend noch mit dem Vater der betroffenen zwei Mädchen, schrieb einen Vermerk über die Gespräche und reichte ihn beim Jugendamt ein. Offenbar hat aber der Polizist weder die zuständige Kriminalpolizei noch die Staatsanwaltschaft informiert, obwohl dies die Regeln bei solchen Verdachtsfällen vorschreiben. Den Vermerk über die Gespräche fanden Ermittler nach einer Durchsuchung im Jugendamt im Dezember 2018.

Ein weiterer Hinweis auf einen sexuellen Missbrauch kam im November 2016 von einer Mitarbeiterin des Jobcenters in Blomberg. Aktiv wurden die Behörden jedoch erst Ende 2018, nachdem die Mutter am 20. Oktober eine Anzeige gestellt hatte. Auch in diesem Fall reagierten die Behörden nach Recherchen von NDR, WDR und SZ offenbar langsam. Erst elf Tage nach der Anzeige der Mutter wurde die Tochter vom Fachkommissariat Bad Pyrmont vernommen. Die Terminierung auf den 31. Oktober wird in der Akte mit „Terminschwierigkeiten“ begründet. Trotz klarer Hinweise auf einen möglichen schweren Missbrauch der beiden Kinder, vergingen erneut zwei Wochen, bis am 13. November 2018 das Jugendamt Lippe informiert wurde. Dieses nahm dann das Pflegekind von Andreas V. sofort in Obhut. Der Beschuldigte wurde am 6. Dezember 2018 festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft.

Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) sprach im Interview erneut von klaren Fehlern der Behörden. „Unabhängig von den Ermittlungen, die jetzt laufen und in die ich auch nicht eingreifen darf und auch nicht will, ist offenkundig, dass bei den beteiligten Behörden, bei den Jugendämtern und auch der Polizei, nicht alles richtig gelaufen ist, um es vorsichtig zu formulieren“, sagte Reul. Dies sei keine Vorverurteilung, sondern „einfach der Eindruck, den man hat, wenn man alle Fakten auf sich wirken lässt“, so Reul. Ob es auch strafrechtlich relevant sei, bleibe abzuwarten.

14. Februar 2019/RP

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