Stand: 01.02.2023 06:00 Uhr

Knochenbrüche, Peitschenhiebe, psychische Gewalt: Recherche gibt umfassend Einblick in Irans Folterpraxis gegen Demonstranten

Mehr als ein Dutzend ehemalige iranische Häftlinge und ein geflohener Gefängniswärter berichten gegenüber NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung umfassend, wie brutal das Regime im Iran seit Beginn der Proteste im Herbst 2022 gegen inhaftierte Demonstranten vorgeht.

Ein Großteil der Betroffenen gab übereinstimmend an, iranische Sicherheitskräfte hätten sie bei der Verhaftung oder in den Verhören mit Knüppeln oder Fäusten geschlagen, mehrere berichten von Knochenbrüchen. In Haft habe man sie über Tage und Wochen gefoltert und gedemütigt. So hätten sie 24 Stunden mit verbundenen Augen knien müssen. Andere Iraner berichten, sie hätten gesehen, wie Menschen mit Wasserschläuchen ausgepeitscht und mit Elektroschockern gefoltert wurden. In insgesamt drei Fällen soll es zu sexueller Gewalt gekommen sein. Die Betroffenen sollen an Möbelstücken festgebunden und mit Gummiknüppeln oder Elektroschockern missbraucht worden sein. Viele der Betroffenen schildern, dass ihre teils massiven Verletzungen tagelang nicht behandelt worden seien. Neben der körperlichen Folter berichten die mehr als ein Dutzend Iraner übereinstimmend von psychischer Einschüchterung. So seien mehrere Betroffene mit der Todesstrafe bedroht worden.

Fast alle Betroffenen befinden sich bis heute im Iran. Gestützt werden ihre Berichte auch von einem geflüchteten Gefängniswärter, den Reporter von NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung in Deutschland treffen konnten. Nach eigenen Angaben arbeitete er mehr als zehn Jahre in verschiedenen iranischen Gefängnissen - auch nach Beginn der Proteste. Das belegen sein Dienstausweis und seine Gehaltsabrechnung. Täglich seien in seinem Gefängnis Menschen ausgepeitscht worden, berichtet er. Andere Wärter hätten mit Elektroschockern, Schlagstöcken und Pfefferspray Insassen gefoltert. Es sei alles dafür getan worden, um die inhaftierten Demonstranten zu quälen, die Wärter hätten kein Erbarmen haben dürfen.

Seit Beginn der Proteste im September 2022 ist es für Journalisten nur schwer möglich, Aussagen aus dem Iran zu verifizieren. Ausgelöst hat die Demonstrationen der Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini, die von der Sittenpolizei festgenommen worden war, weil sie ihren Hijab nicht ordnungsgemäß getragen hatte. Sie war auf der Polizeiwache zusammengebrochen und anschließend gestorben.

NDR, WDR und SZ haben die Berichte der Gesprächspartner systematisch geprüft und konnten viele Angaben mit öffentlich verfügbaren Informationen und mit geographischen Details abgleichen. Die Angaben decken sich auch mit Haftbedingungen, wie sie in früheren Jahren von Gefangenen beschrieben wurden. Zudem konnten die Reporter für einen Großteil der beschriebenen Fälle Dokumente von Gerichten und Gefängnissen sowie Fotos, Videos und medizinische Unterlagen sichten. Diese und Berichte von Verwandten, Freunden oder betreuenden Ärzten stützen die Angaben der Betroffenen.

Ein vertraulich eingestufter Lagebericht des Auswärtigen Amtes von Ende November, der NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung vorliegt, unterstreicht Erkenntnisse der Recherchen. Demnach gebe es „zahlreiche Berichte über durch Folter und psychischen Druck erzwungene Geständnisse”. Zudem seien “seelische und körperliche Folter sowie unmenschliche Behandlung bei Verhören und in Haft” bei politischen Häftlingen üblich. Auf Anfrage sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes: „Die von den Betroffenen genannten schrecklichen Erfahrungen decken sich mit Berichten, die auch dem Auswärtigen Amt bekannt sind“. Neben den bereits bestehenden Sanktionen prüfe man weitere Maßnahmen. Die iranische Botschaft in Deutschland und das iranische Außenministerium ließen eine Anfrage unbeantwortet.

1. Februar 2023/ LL

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