Stand: 14.10.2014 17:20 Uhr

Palliativ-Versorgung: Kampf mit Krankenkassen

von Pia Lenz & Anne Ruprecht

Wenn sich Uli Scholz in seiner Wohnung die Pfeife anzündet, ist das für ihn Lebensqualität. Der süßliche Tabak ist oft das einzige, was Scholz noch schmecken kann, denn er hat Speiseröhrenkrebs und kann kaum noch etwas essen. Die Metastasen in der Leber werden nicht mehr verschwinden, die Ärzte bezeichnen ihn als austherapiert. Scholz wird von seinem Pflegedienst zu Hause versorgt und künstlich ernährt.

VIDEO: Palliativ-Versorgung: Kampf mit Krankenkassen (8 Min)

Ein Stück Lebensqualität bewahren

Niemand kann Scholz jetzt noch mehr Tage schenken, aber durch diese kleinen Genüsse im Alltag bekommen seine Tage mehr Leben: "Wenn Sie das Gefühl haben, Sie sitzen auf einer Rutsche und sausen in einen Abgrund und zwischendurch sehen Sie wenigstens mal ein Gänseblümchen, dann ist dieses Gänseblümchen viel wert."

Scholz möchte zu Hause sterben. Seit 2007 hat jeder Todkranke in Deutschland einen gesetzlichen Anspruch, daheim bis in den Tod palliativ versorgt zu werden. Für die Umsetzung dieses Gesetzes sind die Krankenkassen zuständig. Doch bei Uli Scholz steht diese Versorgung auf der Kippe, seine Krankenkasse möchte sie nicht weiter zahlen.

Nicht krank genug für Palliativpflege?

Uli Scholz leidet unheilbar an Speiseröhrenkrebs. © NDR
Kämpft um seine Lebensqualität: Uli Scholz.

Palliativpfleger Nils Wommelsdorf hilft Scholz, wo es noch geht. Er kommt nicht um zu heilen, sondern um zu lindern und Ängste zu nehmen. Er ist speziell dafür ausgebildet, Menschen zu Hause in den Tod zu begleiten. Gemeinsam haben sie viel ausprobiert, um Scholz' Schmerzen und Symptome wie Übelkeit, Krämpfe und Schwindel zu lindern, mit Erfolg.

Das Absurde: Genau dieser Erfolg wurde dann zum Problem. Seine Krankenkasse ist nun der Meinung, Uli Scholz gehe es zu gut für die Palliativversorgung. Doch wenn Scholz diese spezielle Palliativpflege nicht mehr bekäme, bliebe ihm nur die normale Krankenpflege - für seine Situation völlig unzureichend. Zeit für eine ausführliche Symptomkontrolle und jegliche psychosoziale Betreuung gäbe es dann nicht mehr.

Fast alle wollen zu Hause sterben

"Palliativpatienten kann man nicht schnell versorgen, da muss man sich immer Zeit nehmen können", sagt Pfleger Nils Wommelsdorf. Sein Team, das aus Palliativ-Ärzten und -Pflegern besteht, ist im Notfall rund um die Uhr für die Patienten da. "Wir versuchen die Leute so weit es geht aus dem Krankenhaussystem rauszuhalten, damit sie zu Hause im Kreis ihrer Angehörigen, Freunde - oder auch allein - ruhig einschlafen können.“ Fast alle Deutschen wünschen sich, friedlich zu Hause sterben und nicht im Krankenhaus an Geräte gefesselt. Doch tatsächlich stirbt ein Großteil der Menschen eben nicht in den eigenen vier Wänden.

Entscheidungen nach Paragrafen und Aktenlage

Sven Goldbach hat einen Palliativ-Pflegedienst. © NDR
Sven Goldbach beklagt die mangelnde Kompetenz vieler Entscheidungsträger.

Sven Goldbach ist der Chef des Palliativpflegedienstes und will seinen Patienten ermöglichen, bis zum Ende zu Hause zu sein. Doch der seit 2007 geltende Rechtsanspruch auf eine spezialisierte ambulante palliative Versorgung bringt häufig gar nichts. Denn die Kriterien, die Patienten für diese Versorgung erfüllen müssen, lassen viele Sterbenskranke durchs Raster fallen. Die Krankenkassen lehnen eine Versorgung oft ab, wenn die Patienten nicht an Krebs erkrankt sind, zum Beispiel bei Patienten mit schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lungen- oder Nervenkrankheiten.

"Man weiß auch irgendwann nicht mehr, was man gegenüber den Kostenträgern und Kassen anbringen soll", sagt Pflegedienstleiter Goldbach, "weil ein Großteil derjenigen, die strikt nach irgendwelchen Richtlinien oder Vorschriften arbeiten, gar nicht versteht, was wir letztendlich machen oder machen können". Für alle Patienten, die keine spezialisierte Palliativversorgung genehmigt bekommen, ist momentan im System keine Möglichkeit der ambulanten Palliativpflege vorgesehen. Ihnen bleibt die normale Kranken- und Altenpflege - und im Notfall das Krankenhaus.

Der Gutachter hat den Patienten nie gesehen

Auch Uli Scholz fürchtet, im Notfall wieder im Krankenhaus zu landen, wenn es nach seiner Krankenkasse ginge und er zu Hause keine spezialisierte Palliativversorgung mehr bekäme. Seine Kasse hat einen Gutachter bestellt, um Scholz' Gesundheitszustand zu beurteilen. Der Gutachter hat Scholz nie gesehen, doch nach Aktendurchsicht war sein Urteil klar: "Trotz der schweren Gesamterkrankung“ sei eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung "medizinisch nicht angemessen“. Sogar die künstliche Ernährung wurde gestrichen. Uli Scholz wäre verhungert, wenn der Palliativpflegedienst ihn nicht trotzdem weiter versorgt hätte.

Mittlerweile bekommt Scholz die Ernährung wieder bezahlt, doch die spezielle Palliativversorgung nicht. Das Palliativpflegeteam versorgt ihn trotzdem erst einmal unentgeltlich weiter und hofft, ihn aus dem Krankenhaus heraushalten zu können. Doch ob das zum Beispiel auch im Fall eines nächtlichen Notfalls möglich wäre, ist unsicher.

Der Kampf um das letzte bisschen Glück

Tomatenpflanze auf einem Balkon. © NDR
Großes Glück im kleinen Garten: Eine Tomatenpflanze auf dem Balkon von Herrn Scholz.

Weil jeder verbleibende Tag für Scholz so kostbar ist, will er weiter für sein Recht und seine kleinen Glücksmomente zu Hause kämpfen. Er hofft auf einen neuen Antrag bei der Krankenkasse. Die prüft auf unsere Anfrage hin den Fall und will schon bald dazu Stellung nehmen. Scholz möchte unbedingt zu Hause bleiben: "Ich lebe hier in dieser Wohnung seit 30 Jahren und ich möchte hier auch irgendwann einschlafen", sagt er. Doch zu Hause sterben kann er nur, wenn er dabei auch die notwendige Unterstützung bekommt.

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 14.10.2014 | 21:15 Uhr

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