Schrei-Seminar in Wolfsburg: Wenn Nachbar Max zum Monster wird

Stand: 22.03.2024 22:05 Uhr

Fans besonders harter Metal-Musik haben im Wolfsburg die Gelegenheit, sich im Schreien und Grunzen ausbilden zu lassen. Die Sängerin Britta Görtz zeigt, wie man ohne Halsschmerzen wieder rauskommt.

von Tino Nowitzki

Was zum Teufel ist denn hier los? Knorriges Krächzen und gurgelndes Grunzen schallt über den Hinterhof eines unscheinbar wirkenden Hauses in Wolfsburg-Vorsfelde. Zwischendurch glaubt man, eine sterbende Ente zu hören. Aber: Keine Sorge - alles ganz normal und alles ganz menschlich. Und vor allem gewollt: Die Geräusche kommen von dem knapp einem Dutzend Teilnehmer des Seminars "Growlen, scream & shouten". Sie versuchen hier kollektiv zu lernen, was die großen Stars – die Sängerinnen und Sänger von extremen Metal-Bands schon können: Ihre Stimme richtig schön aggressiv und böse klingen zu lassen.

Physiotherapeut mit Metal Musik als Nachbarschreck

Einblick in den Unterricht des Schrei-Seminars. © NDR Foto: Tino Nowitzki
Knapp ein Dutzend Teilnehmer des Seminars "Growlen, scream & shouten" lernen hier, wie sie ihre Stimme richtig schön aggressiv und böse klingen lassen.

Böse Mädels und Typen sucht man hier aber vergebens. Max Sarstedt ist einer der Teilnehmer - und sieht eigentlich ziemlich normal aus: schwarze Jeans, ein etwas ausgebleichter schwarzer Pulli, dichter, aber gepflegter rot-blonder Bart. Gleich um die Ecke des Schrei-Seminars arbeitet er als Physiotherapeut, kennt sich also zumindest mit Schmerzen-Schreien ein bisschen aus. Und mit harter Musik: "Metal begleitet mich schon mein ganzes Leben", sagt Max. Selbst habe er schon einige Hobby-Band-Erfahrung und will hier lernen, seine Stimme richtig einzusetzen. "Vielleicht auch ein bisschen, um die Nachbarn zu erschrecken", sagt er. Dass das gar nicht so unrealistisch ist, erfährt er später.

Gesangsübungen: Zunge rollen und Kaffee hochwürgen

Anatomie-Lehre im "Schrei-Seminar". © NDR Foto: Tino Nowitzki
Seminarleiterin Britta Görtz erklärt den Teilnehmerinnen und Teilnehmern alles über die Anatomie des Stimmorgans.

Zuerst geht’s aber um Aerobic. Zumindest wirkt es so - denn Seminarleiterin Britta Görtz lässt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erst einmal ordentlich stretchen und dehnen. Gestandene Metal-Fans, die den Sonnengruß machen? Gehört alles dazu! Denn Singen - und ja, auch Schreien gehört streng genommen dazu - ist Körpersache. Deshalb gibt’s nebenbei auch noch Nachhilfe in Anatomie: Warum Stimmbänder eigentlich Stimmlippen sind, wo welche Geräusche im Kopf gebildet werden und warum es vielleicht komisch klingt, wenn man die Zunge rollt und so tut, als würde man den Nachmittagskaffee wieder hochwürgen - das aber trotzdem eine gute Übung ist, um Schreien zu lernen.

Blubber-Blasen für gestandene Metaller

Skurril ist auch die nächste Sache: Gesangsexpertin Görtz nimmt einen Gummischlauch, tunkt ihn in einen Eimer mit Wasser und fängt an, Luft hinein zu pusten. Ohne mit der Wimper zu zucken machen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer es ihr nach. Ein Dutzend Metaller blubbern vor sich hin, als säßen sie am Samstagabend in einer Shisha-Bar. Um's richtige Atmen geht's, erklärt die Seminarleiterin: "Die Blubber-Blasen sind eine gute visuelle Hilfe, um zu sehen: Atme ich mit der richtigen Kraft und vor allem mit einer konstanten Intensität", sagt Britta Görtz. Auch Physiotherapeut Max findet: "Gar nicht so einfach und echt anstrengend, das Ganze!" Was die Blubbernden auch lernen: Um nicht ratz-fatz heiser zu werden, darf die Kraft beim Schreien später nie aus dem Hals kommen, sondern entsteht durch bewusste Kontrolle des Zwerchfells - diesem "pfannkuchen-artigen Muskel im Körper", wie Görtz es beschreibt.

Gesangsstil wie ein "weibliches Monster"

Seminarleiterin Britta Görtz hilft einer Teilnehmerin. © NDR Foto: Tino Nowitzki
Beim Schreien ist die richtige Atemtechnik sehr wichtig. Die Sängerinnen und Sänger müssen laut Görtz mit der richtigen Kraft und einer konstanten Intensität atmen.

Britta Görtz, Hannoveranerin, weiß, wovon sie da redet: In diversen Bands hat sie schon ins Mikrofon geschrien, ist aktuell eine der gefragtesten Gesangs-Trainerinnen im Bereich extrem harter Musik. Musik, wie sie sie aktuell auch mit ihrer Band Hiraes macht - einer Death-Metal-Formation. Das ist die Musik, bei der die meisten mit Howard Carpendale oder den Bee Gees sozialisierten Menschen eher fluchtartig das Weite suchen. Görtz aber lebt und atmet Metal und den dazugehörigen, aggressiven Gesangsstil. "Klar kling ich damit wie ein weibliches Monster", sagt die 46-Jährige. Aber genau das liebe sie daran. Nicht-Metal Fans erklärt sie es dann so: "Du kannst gegenüber einem Monster stehen, was dich so anschreit, oder du hast das Monster als Beschützer hinter dir".

Musik als Ventil

Für Physiotherapeut Max ist die Musik eine Art Ventil: Einfach mal alles Negative rauslassen. "Es ist quasi, wie ein paar Mal ordentlich gegen einen Boxsack hauen", sagt er. Nur eben mit der eigenen Stimme. Dabei klingt das, was man jetzt auch dem Seminar-Raum hört, doch völlig anders: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer stehen im Halbkreis, die Münder halb geöffnet - Geräusche, wie aus einer Enten-Tröte hallen durch den Raum. Alles Warm-up für das eigentliche Schreien: Der Ton verändert sich in ein gellendes Krächzen.

Metal-Dämonen mit Dauergrinsen

"Jetzt mit mehr Power", motiviert Görtz ihre Lehrlinge. Und zack: Eben noch normale Sterbliche, haben sich die Metal-Fans in eine Horde Dämonen verwandelt, die sich gegenseitig anfauchen und angrunzen. Auf den Gesichtern: ein dickes Grinsen, weil man es endlich geschafft hat. Auch Physiotherapeut Max ist zufrieden. Ob er mit seinen Fähigkeiten beim nächsten Singen unter der Dusche doch einmal die Nachbarn erschrecken will? "Könnte gut sein…", sagt er mit einem Lachen. "Könnte gut sein!"

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Dieses Thema im Programm:

Hallo Niedersachsen | 22.03.2024 | 19:30 Uhr

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