Mitarbeiter eines Schlachthofs zerteilen am Fließband hängende Schweine. © picture alliance/dpa Foto: Mohssen Assanimoghaddam

Pfarrer Kossen: Fleischarbeiter werden weiterhin ausgebeutet

Stand: 26.03.2024 17:18 Uhr

Der katholische Pfarrer Peter Kossen hat bei einem Vortrag in Cloppenburg erneut schwere Vorwürfe gegen die Fleischindustrie erhoben. Arbeitsmigranten würden in großen Schlachtbetrieben weiter ausgebeutet.

Stundenlöhne von fünf Euro bei einer 70-Stunden-Woche sowie Matratzenmieten zwischen 300 und 400 Euro im verschimmelten Mehrbettzimmer seien keine Seltenheit, so Kossen am Montagabend. Der im westfälischen Lengerich lebende Pfarrer prangert seit Jahren die Arbeits- und Lebensbedingungen von Arbeitsmigranten an. Den Behörden wirft Kossen mangelnde Kontrollen vor.

Der Autor und Pfarrer Peter Kossen aus Lengerich bei der Vorstellung des Buches "Das Schweinesystem". © dpa-picture alliance Foto: Friso Gentsch
Der katholische Pfarrer kritisiert seit Jahren die Arbeits- und Lebensbedingungen von Arbeitsmigranten. (Archivbild)

Die Arbeitsvermittler begingen Sozialbetrug in dem sie Hartz-IV, Kindergeld und Wohngeld in die Lohnkalkulation einbezögen. Kriminalisiert würden hingegen die Opfer, kritisiert Kossen. Die Fleischindustrie fahre auf Kosten der Fleischarbeiter satte Gewinne ein. Viele Vermittler betreiben laut Kossen obendrein Bordelle und zwingen osteuropäische Mädchen und Frauen zur Prostitution. Im Gespräch mit NDR Niedersachsen untermauert Peter Kossen seine Vorwürfe.

Herr Kossen, eigentlich sollte sich die Lage der Menschen in der Fleischindustrie längst verbessert haben. Sie kritisieren nach wie vor die menschenunwürdige Situation der meist osteuropäischen Arbeitskräfte in Schlachthöfen und Zerlegebetrieben. Ist die Situation denn noch immer schlimm?

Peter Kossen: Sie ist tatsächlich noch schlimm. Mein Bruder ist Arzt in Goldenstedt im Landkreis Vechta und die Hälfte seiner Patientinnen und Patienten sind aus der Szene der Fleischindustrie. Er erzählte mir zu Weihnachten dieses Beispiel eines bulgarischen Arbeiters dort, der zusammen mit zwei Landsleuten 26.500 geschlachtete Puten aufhängt. Das sind pro Arbeiter etwa 9.000 Tiere, das sind mehr als 200 Tonnen Fleisch in der Schicht - elfeinhalb Stunden am Tag, sechs Tage in der Woche. Und der Verdienst - was eigentlich gar nicht geht mit dem Mindestlohn - liegt bei fünf Euro in der Stunde. Er hat ihm das sehr glaubwürdig gesagt und ich weiß, dass es solche Verhältnisse immer noch gibt. Und das bedeutet: Wir sind da nicht viel weiter.

Sie haben als Quelle ihren Bruder angeführt. Haben Sie weitere Belege und Quellen?

Kossen: Ich bin eigentlich gut vernetzt - also durch Beratungsstellen. Wir haben selbst eine Beratungsstelle in Lengerich mit dem Verein, den ich mit gegründet habe. Und da haben wir jeden Tag Kontakt mit Menschen, die in der Fleischindustrie tätig sind. Wir müssen leider sagen, dass die Verhältnisse, das unter Druck setzen, das Erpressen, das Abzocken von Menschen und auch die Wohnverhältnisse nicht besser geworden sind.

Auch die Wohnverhältnisse? Die standen ja damals wirklich im Fokus. Haben Sie dafür noch Beispiele?

Kossen: Wir haben im November eine Aktion gemacht in Lengerich, wo wir auf Wohnverhältnisse aufmerksam gemacht haben. Auch da ein Beispiel: Sechs Personen, Männer und Frauen, die nicht miteinander verwandt sind, leben auf 80 Quadratmeter Wohnfläche. Jeder von ihnen zahlt 400 Euro für die Matratze und den Transport zur Arbeitsstelle. Das sind 2.400 Euro und das gibt der Mietspiegel in Lengerich in keiner Art und Weise her.

Sie hatten ja damals vor allem das Oldenburger Münsterland im Blick. Auch dort ist die Situation nach wie vor schlimm, sagen Sie?

Kossen: Man hat nichts getan. Also es braucht ja wirklich Wohnraum, der gebaut wird - also sozialen Wohnraum. Menschen, die kein Geld haben und die deutsche Sprache nicht sprechen, haben schlichtweg keine Chance auf dem Wohnungsmarkt, der ja überall eng ist. Wenn da nicht von öffentlicher oder Konzern-Seite, erschwingliche Betriebswohnungen gebaut werden, dann bleibt nur der freie Wohnungsmarkt. Und das heißt, dass die Leute das nehmen müssen, was ihnen angeboten wird. Häufig ist das die Matratze im verschimmelten Mehrbettzimmer - immer noch.

Nun sind in der Fleischbranche seit 2021 Werkverträge und Leiharbeit verboten. Da hat sich also eigentlich etwas getan. Zudem gibt es ja zum Beispiel im Emsland Runde Tische, an denen alle Beteiligten die Situation verbessern wollen. Warum trotzdem Ihre Kritik?

Kossen: Der Gesetzgeber hat erzwungen, dass die Menschen, die in Schlachtung und Zerlegung tätig sind, in die Stammbelegschaft aufgenommen werden müssen. Genau das hat die Fleischindustrie getan - und auch nur das. Es gibt Tausende von Menschen, die in der Gebäudereinigung, in der Verpackung oder in der Logistik tätig sind - und die können nach wie vor ganz legal ausgebeutet werden.

Wer ist schuld daran?

Kossen: Die Fleischindustrie, die nach wie vor keine Haltungsänderung erkennen lässt. Und auch die Politik, die dann nicht kontrolliert. Das beste Gesetz ist nur so gut, wie es kontrolliert und durchgesetzt wird. Und dann braucht die Gesellschaft einen wertschätzenden Blick auf Arbeitsmigranten.

Immer wieder werden wir auch als Verbraucher gefordert. Aber das ist in einer internationalen Branche schwierig. Was geben Sie da für Tipps?

Kossen: Wenn man die Möglichkeit und das Geld hat, kann man bewusster einkaufen. Direktvermarktung ist manchmal eine Möglichkeit. Aber an vielen Stellen haben Sie nur die Discounter, an denen Sie Fleisch einkaufen können. Aber ich würde mir zum Beispiel auch von den Kirchen wünschen, dass sie im Beschaffungswesen - bei Bildungshäusern, Altenheimen oder Krankenhäusern - mehr Wert auf gerechte Arbeitsbedingungen, saisonale und faire Produkte legen.

Sie haben jetzt immer von der Fleischbranche gesprochen, aber prekäre Arbeitsbedingungen gibt es auch in anderen Bereichen. Ist es da ähnlich schlimm?

Kossen: Leider haben sich eine Reihe Branchen ein schlechtes Beispiel an der Fleischbranche genommen. Zum Beispiel die Paketdienste: Häufig sind die Boten nicht mehr beim Paketdienstleister direkt angestellt, sondern bei Subunternehmen.

Weitere Informationen
Schweinehälften passieren einen Kontrollterminal in einem Schlachthof in Ostfriesland. © picture alliance / Ingo Wagner/dpa | Ingo Wagner Foto: Ingo Wagner

Weiterhin Streit um Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen

Seit Anfang 2021 sind Werkverträge verboten. Trotzdem würden die Arbeiter ausgenutzt, kritisiert die Gewerkschaft NGG. (23.05.2023) mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Funkbilder - der Tag | 26.03.2024 | 17:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Lebensmittelindustrie

Mehr Nachrichten aus der Region

Blick auf den Eingang des Landgerichts Osnabrück. © picture alliance/dpa Foto: Focke Strangmann

Mehr als 100 Fahrräder gestohlen: Bande zu Haftstrafen verurteilt

Das Landgericht Osnabrück hat fünf Männer schuldig gesprochen. Sie müssen für drei bis fünf Jahre ins Gefängnis. mehr

Mehr Nachrichten aus Niedersachsen