Sendedatum: 24.11.2015 21:15 Uhr

Wolfsburger im "heiligen Krieg"

von Kaveh Kooroshy, Anne Ruprecht, Nino Seidel

Salah T. hat noch ein Foto. Es zeigt seinen Sohn Alaeddine in der Kampfweste der Terrororganisation Islamischer Staat (IS). Alaeddine starb Anfang September in Syrien. Er wurde 23 Jahre alt. Warum er sich 2013 auf den Weg machte und sich dem IS anschloss, für seinen Vater Salah bleibt das ein Rätsel.

Mehr als 20 junge Männer aus Wolfsburg sind seit 2012 nach Syrien gereist, um für den IS zu kämpfen. Mindestens neun der Wolfsburger Djihadisten wurden seitdem in Syrien und im Irak getötet, einige starben als Selbstmordattentäter.

VIDEO: Wolfsburger im heiligen Krieg (6 Min)

Die Familien bleiben ratlos zurück

Zurück in Wolfsburg blieben verzweifelte Familien und ratlose Freunde. So wie Salim Zaizaa. Er ist in Wolfsburg geboren und mit einigen der jungen IS-Anhänger gemeinsam zur Schule gegangen. Heute arbeitet er als Anwalt. Er sagt: "Den Jungs ging's gut, da muss ein krasser Einstellungswechsel passiert sein. Das ist unerklärlich!"

Bereits im März berichtete Panorama 3 über die hohe Zahl der Wolfsburger Terrorkämpfer. Die meisten von ihnen waren von einem einzelnen IS-Anwerber rekrutiert worden: Yassin O., seine Anhänger nannten ihn den "Scheich". Aufgrund seines Einflusses kam es zwischen September 2013 und November 2014 zu einer regelrechten Ausreisewelle, offenbar ohne dass die Behörden dies unterbinden konnten. Salim Zaizaa, der zeitweise zwei der zurückgekehrten Wolfsburger IS-Kämpfer anwaltlich vertrat, kritisierte damals, dass die Polizei und Sicherheitsbehörden trotz deutlicher Hinweise auf bevorstehende Ausreisen nicht handelte. Dabei hätte man vom Mittel des Passentzugs Gebrauch machen können.

Weitere Informationen
Eine Grafik zeigt den IS-Anwerber Yassin O. und 14 mutmaßliche Dschihadisten
7 Min

Wolfsburg: Behörden lassen Dschihadisten ziehen

Recherchen des NDR haben ergeben: Trotz konkreter Hinweise auf Reisepläne von Wolfsburger Dschihadisten hat die Polizei die Männer offenbar ungehindert ziehen lassen. 7 Min

22 Rückkehrer

Inzwischen sind nach Angaben des niedersächsischen Landeskriminalamtes 22 von insgesamt 64 aus Niedersachsen zum IS gereisten Personen zurückgekehrt. Zwei von ihnen stehen zurzeit in Celle vor Gericht, müssen sich wegen der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung verantworten. Auch gegen andere Rückkehrer laufen staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren.

Die Frage, die man sich nicht nur in Wolfsburg stellt: Welche Gefahr geht von den Rückkehrern aus? Nach den Anschlägen von Paris und der Absage des Länderspiels in Hannover sind die Ermittlungsbehörden besonders alarmiert. Konkret will sich das Landeskriminalamt Hannover zu Ermittlungen gegen IS-Rückkehrer nicht äußern, nur so viel: Man schaue intensiv hin, jede Information werde überprüft und gegebenenfalls neu bewertet. "Polizeiliche Maßnahmen [...] reichen von so genannten Gefährderansprachen bis hin zu Observationsmaßnahmen." Sämtliche Rückkehrer rund um die Uhr zu überwachen könne man selbstverständlich nicht leisten.

Höchste Zeit für Präventionsarbeit

Salah T. hält ein Telefon mit dem Foto seines Sohnes in der Hand.
Für Salah T. ist es nach wie vor ein Rätsel, warum sich sein Sohn dem IS anschloss.

Umso wichtiger wird die Präventionsarbeit - und das nicht nur von Seiten der Polizei, wie der Wolfsburger Oberbürgermeister Klaus Mohrs im Interview mit Panorama 3 betont: "Wir können mit unserer Sozialarbeit die Menschen erreichen, die sich noch nicht entschieden haben, die in der Gefahr sind, angesprochen zu werden. Insbesondere junge Menschen, dass sie lernen, sich mit den Fragen auseinanderzusetzen."

Für Salah T., der seinen toten Sohn betrauert, kommt diese Einsicht zu spät. Auch er fragt sich, was er anders hätte machen können: "Vielleicht war ich in meiner Rolle als Vater nicht gut, oder habe nicht genug aufgepasst. Es ist nicht so einfach! Das ist ein Teil von mir, ich habe ihn verloren!“

Weitere Informationen
Zeichnung von IS-Kämpfern.

Ein Sommer im Dschihad

"Wenn du dahin gehst, bist Du tot", sagt Ebrahim B. Der Wolfsburger ist der erste deutsche IS-Rückkehrer, der offen vor einer Kamera spricht. Er distanziert sich von der Terrororganisation. mehr

Die beiden verschwundenen Mädchen auf einem Suchbild, das im Internet hochgeladen wurde.

Zwei Mädchen auf dem Weg zum IS

Zwei Mädchen aus Hamburg und Geesthacht haben sich nach Recherchen von Panorama auf den Weg nach Syrien gemacht. Offenbar wollen sie sich der Terrororganisation IS anschließen. mehr

Islamist Hayan M. sitzt in seinem Rollstuhl auf seinem Gefechtsstand in Syrien.

Deutsche Gotteskrieger für Syrien

Ein deutschsprachiger Islamist in Syrien hat Glaubensbrüder per Video zum Heiligen Krieg aufgefordert. Auch in Norddeutschland sind radikale Gotteskrieger gut vernetzt. mehr

 

Dieses Thema im Programm:

Panorama 3 | 24.11.2015 | 21:15 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Terrorismus

Mehr Nachrichten aus der Region

Eine Person raucht einen Joint. © picture alliance Frank Hoermann/Sven Simon Foto: Frank Hoermann/Sven Simon

Kritik oder Kampagne? Debatte um Göttinger Cannabis-Club

Kritiker werfen dem Cannabis Social Club Göttingen unseriöses Geschäftsgebaren vor. Die Betreiber weisen das zurück. mehr

Mehr Nachrichten aus Niedersachsen