Stand: 21.12.2017 20:00 Uhr

Computerspiel erkennt Leseschwäche bei Kindern

von Sebastian Dettmer

Schätzungsweise zwischen fünf und zehn Prozent aller Menschen haben eine Lese- und Rechtschreib-Schwäche oder -störung: auch Legasthenie genannt. Die Betroffenen haben oft eine ganz andere Wahrnehmung von Bildern oder Tönen und können deshalb Sprache nicht gut in Schrift umsetzen - oder umgekehrt: Schrift in Sprache. Es gibt Therapien, eine Legasthenie auszugleichen. Das Problem ist nur: Die Schwäche wird oft zu spät oder gar nicht erkannt. Und das kostet vor allem Kinder in der Schule viel Zeit und sorgt für Schul-Frust. Die Oldenburger Forscherin Maria Rauschenberger arbeitet jetzt daran, Legasthenie künftig früher und besser zu erkennen - spielerisch mit Hilfe einer Computer-App.

Eine Gruppe Menschen sitzt an einem Tisch und arbeitet mit Tablets. © www.jarahn.de
Die Oldenburger Forscherin Maria Rauschenberger (l.) hat eine App entwickelt, mit der man Legasthenie bei Kindern früher erkennen kann.

Die Idee von Maria Rauschenberger ist einfach: Sie entwickelte ein kleines Computerspiel für PC, Tablet und Handy, mit dem spielerisch getestet wird, wie Kinder etwas wahrnehmen. Zum Beispiel indem sie bei einer Art Memory Tonabfolgen wiederkennen müssen. "Die Testpersonen versuchen bei dem Spiel, die gleichen Töne zu finden", erklärt Maria Rauschenberger. "Man sieht Karten, die man nacheinander anklickt, und dann sucht man die gleichen Töne."

Eltern können ihr Kind selbst testen

"Während die Kinder spielen, sammeln wir Daten", sagt die Forscherin. "Wie häufig geklickt wird, was geklickt wurde, wie häufig es richtig war und wie häufig falsch." In der aktuellen Testphase werden diese Daten gesammelt und ausgewertet, so dass daraus Reaktionsmuster zu erkennen sind. Anhand dieser Muster will Maria Rauschenberger in Zukunft Vorhersagen treffen können, ob ein Kind unter einer Lese-Rechtschreib-Störung leidet. Das Spiel könnte zu den Einschultests oder auch zu Hause genutzt werden.

"Das Ziel ist, dass wir am Ende ein Tool zur Verfügung stellen können, mit dem Eltern, Schüler oder Lehrer herausfinden können, wie wahrscheinlich ist es, dass dieses Kind eine Legasthenie hat oder nicht."

Lesen und Schreiben lernen © picture alliance / dpa Themendienst Foto: Andrea Warnecke
AUDIO: Mit neuer App Legasthenie früher erkennen (4 Min)

Forscherin ist selbst Legasthenikerin

Die Idee der 31 Jahre alten Oldenburgerin ist so vielversprechend und innovativ, dass sie schon eine Auszeichnung der Stiftung Lesepreis dafür bekam. Maria Rauschenberger hat ein besonderes Interesse an dieser Forschung: Sie ist selbst Legasthenikerin. "Mir fällt es schwerer, Sachen, die ich zum ersten Mal höre, aufzuschreiben", sagt Rauschenberger. Aber sie hatte Glück; ihre Rechtschreib-Schwäche wurde früh erkannt: "Meiner Mutter ist aufgefallen: Das Kind kann alles mögliche, aber das Lesen und Schreiben funktioniert nicht. Wieso ist das so? Das war mein Glück, ich hab dann Frühförderung bekommen."

Eine frühe Diagnose ist hilfreich

Ihrer wissenschaftlichen Karriere hat die Schwäche nicht geschadet. Die 31-Jährige hat einen Master in Medientechnik und forscht jetzt an der Universität in Barcelona für ihre Doktorarbeit daran, mit Hilfe der App Legasthenie früher zu erkennen. Denn der Zeitpunkt der Diagnose kann entscheidend sein. "Wir haben gesehen, wenn wir mit Schulen in Kontakt kamen, dass die Diagnose relativ spät vorliegt - mit 10 oder 12 Jahren, mitunter auch noch später. Wenn wir dann erst in der 5. Klasse mit der Förderung anfangen, dann ist das zu spät", sagt Rauschenberger. Das sei verschenktes Potenzial. "Wir müssen früher anfangen, um den Kindern mehr Zeit zum Lernen zu geben. Dann können sie ganz viel erreichen und ganz viel machen."

Kinder für Testphase gesucht

Um eine breitere Datenbasis zu haben, sucht Maria Rauschenberger noch Kinder zwischen fünf und 12 Jahren für die Testphase - auch anonym und ganz einfach per Internet. In zwei bis drei Jahren will sie ihre Doktorarbeit fertig haben, und die App soll dann im Alltag eingesetzt werden.

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