Carl Philipp Emanuel Bach: Hansjörg Albrecht über den Hamburger Bach
Er war zu Lebzeiten berühmter als sein Vater: Carl Philipp Emanuel Bach. Hansjörg Albrecht ist künstlerischer Leiter der Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Akademie in Hamburg. Ein Gespräch über die Pläne der Akademie und über den außergewöhnlichen Komponisten.
Carl Philipp Emanuel Bach hat über 1.000 Werke komponiert. Er steht musikalisch am Übergang vom Barock zur Klassik. Der zweite Sohn von Johann Sebastian Bach wurde noch von Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig van Beethoven hoch geschätzt, wegen seiner Werke, aber auch wegen seiner berühmten Klavierschule.
Das weltweit einzige Ensemble, das nach Carl Philipp Emanuel Bach benannt ist, findet sich in Hamburg: der Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor. Frischgebackener künstlerischer Leiter ist Hansjörg Albrecht, der den Chor schon seit langer Zeit als Gast dirigiert hat. Albrecht soll auch die Gründung einer Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Akademie (CPEB-Akademie) in Hamburg verantworten.
Herr Albrecht, Sie sind Organist, Cembalist, Dirigent und ausgewiesener Bach-Experte. 18 Jahre lang haben sie den Münchner Bach-Chor und das Bach-Orchester geleitet. Jetzt sollen sie dazu beitragen, Hamburg zu einer Bach-Stadt zu machen. Da steht klar Carl Philipp Emanuel im Mittelpunkt. Wir wollen ihn gemeinsam vorstellen. Ich werfe ein paar Stichworte in den Raum und bitte Sie dazu etwas zu sagen.
Der Sohn:
Hansjörg Albrecht: Der zweite Sohn, der aber der bekannteste der Bach-Söhne wurde.
Der Avantgardist:
Albrecht: Carl Philipp hat eine total verrückte Schreibweise. Wenn man ihn als empfindsam charakterisiert, ist es nur ein Bruchteil dessen. Ich würde ihn mit Sturm und Drang charakterisieren und dann später vergleichbar mit Arnold Schönberg, der alles aufgebrochen hat.
Der Klaviervirtuose:
Albrecht: Ein phänomenaler Cembalist, vor allen Dingen in den Sonaten und den Konzerten für Cembalo. Er verkümmerte etwas am Hofe Friedrichs II. und hat dann endlich den Absprung nach Hamburg bekommen können.
Der Patensohn:
Albrecht: Patensohn von Georg Philipp Telemann, der wiederum hoch dotierter und angesehener Musikdirektor der Stadt Hamburg war.
Der Hamburger Bach:
Albrecht: Der Hamburger Bach Carl Philipp kam 1768 nach Hamburg und hatte die Position des Musikdirektors an den fünf Hauptkirchen. Zudem hatte er Latein am Johanneum zu geben, von dem er sich allerdings befreien ließ. Er hat das 20 Jahre lang ausgeübt und war in ganz Europa berühmt dafür.
Der Unternehmer:
Albrecht: Carl Philipp hat in ganz Europa ein Netzwerk aufgebaut. Sogenannte Kollekteure haben in Städten und an Höfen seine Noten vertrieben. Städte wie London, Paris, Stockholm, Oslo, Wien, Prag, Warschau, Moskau, Sankt Petersburg und sogar Südafrika waren mit dabei. Es sind über 100 Orte, an die er seine Noten vertrieben hat. Da ist er in die Fußstapfen seines Patenonkels getreten, der sich ebenfalls recht gut vermarkten konnte.
Der Lebemann:
Hansjörg Albrecht: Carl Philipp war der guten Küche nicht abgeneigt. Er hat einen sehr erlesenen Freundeskreis gehabt, war mit Diderot im Briefwechsel und mit Klopstock und Lessing befreundet. Außerdem war er mit zwei Oberbürgermeistern im engen, freundschaftlichen Kontakt und hat ein offenes Haus geführt. Wenn hoch angesehene Gäste von außen kamen, war er immer bereit sie zu empfangen.
Wird man all das, was Sie uns jetzt erzählt haben, künftig an der Carl Philipp Emanuel Bach Akademie in Hamburg erfahren können?
Hansjörg Albrecht: Wir haben diese Akademie im April 2023 anlässlich des ersten Festivals für Carl Philipp gegründet. Schirmherr Ton Koopman hat nicht gezögert und gesagt: Hamburg, das ist die Stadt für Carl Philipp. Auch vom Bach-Archiv aus Leipzig kommt vehement Unterstützung. In Hamburg gab es 1998 schon einmal ein Carl-Philipp-Bewerb, und daran möchten wir anknüpfen. Es gab 2014 anlässlich des 300. Geburtstages von Carl Philipp ein großes Bachfest, ein Festival quasi über das ganze Jahr.
Der Name Akademie deutet darauf hin, dass dort Wissenschaft betrieben werden soll. Ist das auch etwas für die Allgemeinheit?
Hansjörg Albrecht: Es ist beides. Das Ganze ist wie ein Start-up, das eine gewisse Zeit brauchen wird, bis wir das so groß haben, wie wir es uns vorstellen. Die Idee ist, nach dem Vorbild der Stuttgarter Bach-Akademie, in Hamburg eine Plattform aufzubauen. Da wird natürlich Carl Philipp im Zentrum stehen, aber die Musik seiner drei Brüder, die genauso wie er am Übergang zur Wiener Klassik ganz vehement mitgeholfen haben, wird vertreten sein.
Die Zusammenarbeit mit der Universität werden wir nach und nach ausweiten. Es gibt konkrete Gespräche mit dem Bach-Archiv in Leipzig. Wir wollen versuchen, ein möglichst weltweites Netzwerk von interessierten Ensembles - zum Beispiel das Orchestra of the Age of Enlightenment - mit an Bord zu holen. Mit der Akademie für Alte Musik wollen wir so eine Art Residenzensemble aufbauen. Aber auch das Ensemble Resonanz und mit programmatischer Weiterentwicklung die Philharmoniker und das NDR Elbphilharmonie Orchester wollen wir über das CPE-Bachfest mit einbinden.
Bei Vater Johann Sebastian kann fast jeder ein paar bekannte Werke aus dem Handgelenk schütteln. Bei Carl Philipp Emanuel Bach ist das noch anders, oder?
Hansjörg Albrecht: Wir sehen unsere Aufgabe darin, das in den nächsten Jahren zu bündeln. Carl Philipp hat einen komplett anderen Stil gepflegt, der sehr wild ist. Bei Johann Sebastian ist es einfach so: Man kann noch so schlecht spielen, auf noch so schlechten Instrumenten - von der erste Note an wirkt die Musik. Carl Philipps Musik ist nicht zweite Garnitur, aber sie spricht anders. Es ist Musik des Übergangs, und Übergänge haben immer die Schwierigkeit, dass sie länger brauchen, bis sie wahrgenommen werden.
Das Gespräch führte Christiane Irrgang.