Lehrer zweiter Wahl? Ein Plädoyer für Quereinsteiger
Sich noch einmal ganz hinten anstellen
Lässt sich alles regeln!, antworten die Kultusbehörden und Schulämter. Wer als Lehrerin oder Lehrer arbeiten will, muss sich entsprechend ausbilden lassen. Einige Bundesländer sind da sehr versiert. Die Kandidatinnen und Kandidaten stehen dann mitten im Berufsleben und doch wieder ganz am Anfang. Auch finanziell.
Das ist die zweite Herausforderung: sich noch einmal ganz hinten anstellen. Im Vorbereitungsdienst, in Qualifizierungsseminaren, vielleicht auch eine gute Strecke in Begleitung erfahrener Kollegen. In anderen Ländern, Finnland zum Beispiel, lassen sich da schöne Modelle studieren - eine Art Mentorengemeinschaft, in der weniger ein Gefälle als wechselseitige Wertschätzung das Verhältnis bestimmt. Immerhin sind es ja berufserfahrene Fachleute, die da in ein kaum vorgeheiztes Wasser springen, Menschen aus der Praxis, routinierte Könner, aufgewachsen vielleicht in genau der Sprache, die sie nun unterrichten sollen. Finnland, nebenbei, schneidet in den Pisa-Leistungsvergleichen immer wieder besonders gut ab.
Personalpolitik nach Gutsherrenart
Warum aber gibt es bei uns bleibende Unterschiede in der Entlohnung? Warum trotz allem Lehrerinnen und Lehrer, die den Beamtenstatus nie erreichen? Hat erfolgreiche Bildungsarbeit ohne zweites Staatsexamen oder bei einem Berufseinstieg in mittleren Jahren etwa weniger hoheitliche Bedeutung? Die Unterschiede in Bezahlung und Altersgeld sind enorm. Sind sie zu rechtfertigen? Warum gibt es Bundesländer, sogar das wohlhabende Baden-Württemberg, die immer wieder Arbeitsverträge am letzten Schultag auslaufen lassen und ihr Personal nicht in die Ferien, sondern in die Arbeitslosigkeit schicken? Mit etwas Glück und gutem Willen gibt es zum neuen Schuljahr dann einen neuen Vertrag. Das ist Personalpolitik nach Gutsherrenart. Wenn aber wirklich so viele Lehrer fehlen, wie es die Bildungsforscher vorrechnen, wenn wirklich schon heute immer mehr Unterricht gestreckt werden oder ausfallen muss, gerade in Zukunftsfächern wie Mathematik und Naturwissenschaften - Donnerwetter: Dann muss man sich solche Herablassung schon leisten können.
Insofern ist es ärgerlich, wenn eine offizielle Bestandsaufnahme in aller Mahnung und Warnung immer wieder in ein Zwei-Klassen-Denken zurückfällt, wenn sie im Zusammenhang mit Quer- und Seiteneinsteigern in den Lehrerberuf nicht von Experten spricht, die sich richtig gut in den Naturwissenschaften auskennen, in Fremdsprachen, darstellender Kunst oder in IT-Technologie, sondern von "Personal ohne grundständiges Lehramtsstudium", also von Menschen, die sich zunächst mal dadurch auszeichnen, dass sie etwas Wichtiges nicht besitzen. Von Lehrern zweiter Wahl. Wirklich klug ist solche Ausgrenzung nicht.
Quereinsteiger als Retter in der Not
Denn wer Wissen und Kreativität als die wichtigsten Rohstoffe der kommenden Jahrzehnte begreift, der sollte die Arme ausbreiten und jeden Neuen jubelnd willkommen heißen. Nicht nur als willige und billige Hilfskraft bei der Aufgabe, die Löcher im Lehrplan zu stopfen, sondern mindestens als Retter in der Not - die, nebenbei, nicht kleiner wird, wenn sich weiterhin mehr Lehrkräfte pensionieren lassen als Studierende sich um einen entsprechenden Studienplatz reißen. Wenn immer mehr von ihnen nur in Teilzeit zur Verfügung stehen. Und wenn ganz unerwartet eine Million und mehr Flüchtende aus der Ukraine aufgenommen werden müssen. Irgendjemand sollte dann da sein, um Bildung zu vermitteln und Lebenswege zu ebnen. Wie war das noch mit dem so gern beklagten Fachkräftemangel?
Und nur mal als Gedankenspiel: Wie wäre es denn, die Verhältnisse mal von der anderen Seite zu betrachten? Liegt nicht in der zähen Verteidigung eines durchregulierten Bildungsweges - Lehramtsstudium, dann Referendariat, dann erst die Lehrbefähigung - liegt nicht schon darin eine Beharrlichkeit, die längst nicht mehr der Lebenswirklichkeit entspricht? Jede Architektin, jeder IT-Entwickler, jede Managerin und jeder Handwerker stellt sich heute darauf ein, im Laufe des Berufslebens mehrfach den Arbeitsplatz, oft auch die Arbeit selbst zu wechseln. Lehrerinnen und Lehrer tun das in der Regel gerade nicht. Insofern könnte, wer von der Seite in den Schuldienst einsteigt, sogar als Vorbild dienen: für den Mut zum Sprung, die Fähigkeit zum Wandel, zu Kooperation und für die Bereitschaft, das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Das neue Schuljahr rollt an. Kann sein, dass gerade solche Haltung in Zukunft sehr gefragt sein wird.
- Teil 1: Das Lehrerproblem als Folge von Leichtgläubigkeit und Ignoranz
- Teil 2: Sich noch einmal ganz hinten anstellen