Innenaufnahme Kunsthalle Emden © Kunsthalle Emden / Erhard Bühler Foto: Erhard Bühler
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AUDIO: Expressionismus: Zwischen "Anödung des Publikums" und "krankhafter Erscheinung" (4 Min)

Expressionismus: Anödung, kindlicher Trotz oder Publikumsmagnet?

Stand: 10.02.2024 12:21 Uhr

Die Kunsthalle Emden zeigt in einer neuen Ausstellung, wie der Expressionismus in seinen Anfängen Unverständnis hervorgerufen hat, von den Nationalsozialisten diffamiert wurde und bis heute Künstler beeinflusst.

von Helgard Füchsel

Schwungvoll und pastos, mit viel Grün und Rot - so hat der Maler Erich Heckel die Farbe auf sein Landschaftsgemälde von Dangast aufgetragen. Im selben Raum: die "Blauen Fohlen" von Franz Marc - Tiere in leuchtendem Blau vor bunten geometrischen Formen, heute sehr beliebte Bilder.

Das war nicht immer so, wie ein Text aus einer Ausgabe der avantgardistischen Kunstzeitschrift "Der Sturm" von 1913 beweist: Darin wurde eine Liste von Schimpfwörtern veröffentlicht, mit denen Kritiker expressionistische Kunst beschrieben hatten, erzählt die Kunsthallendirektorin Lisa Felicitas Mattheis: "Ich darf kurz vorlesen: 'Anödung des Publikums, Verhöhnung des Philisters, unfähige Akademiker, anmaßliche Theoretiker, Kirmesschützenscheiben, krankhafte Erscheinung, scheußlicher und lächerlicher Klumpen'."

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Kunsthalle Emden: Expressionistische Kunst ins Zentrum rücken

Einige Museen stellten die neuartige Kunst dennoch aus. Im nächsten Raum in der Kunsthalle Emden hängt ein großes Gemälde mit holzschnittartig gemalten, nackten Menschen im Wald. Das berühmte Werk von Otto Mueller ist außerdem auf einem Schwarz-Weiß-Foto daneben zu sehen. 1937 war es Teil einer Ausstellung mit sogenannter "entarteter Kunst" in München, erzählt Mattheis: "Dadurch, dass wir zwischen 2020 und 2022 ein Provenienzforschungsprojekt am Hause hatten, ist es uns mit dieser Sammlungspräsentation ein Anliegen, diesen Teil der Kunstgeschichte - und im Speziellen das Werk von Otto Mueller mit seiner wirklich bewegenden Geschichte - gezielt ins Zentrum zu rücken."

Nach dem Zweiten Weltkrieg knüpften viele Künstler an die Zeit vor dem Nationalsozialismus an. Die erste Documenta im Jahr 1955 zeigte bewusst Künstler, die vorher diffamiert wurden, sagt die Kuratorin Kristin Schrader. Auch die folgende Künstlergeneration habe mit bunten, abstrakten Bildern an die Zeit vor dem Krieg angeknüpft. Manches wirkt wie von Kindern gemalt, erklärt Schrader: "Diese Linie fortzuführen, war eine Möglichkeit, sich politisch zu positionieren. Gleichzeitig wollte man sich weiterentwickeln. Daher kommt dieses kindlich Trotzige, Zerstörerische."

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Verständnis für zeitgenössische Kunst wecken

Bilder der avantgardistischen Künstlergruppen "Cobra" oder "Spur", die bunten Farbexplosionen von Helmut Sturm oder Asger Jorn - vieles wirkt, als habe sich Energie mit Überdruck entladen. Mit rund vierzig Bildern umspannt die Schau die Zeit von etwa 1900 bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Unter den neusten Werken sind die Collage eines fratzenartigen Gesichts von Jonathan Meese und ein riesiges über Kopf hängendes Frauenporträt von Georg Baselitz. Die Direktorin will mit der Ausstellung auch Verständnis für zeitgenössische Kunst wecken: "Hier geht es um die Wirkungsgeschichte des Expressionismus und letztendlich ist uns als übergeordnetes Ziel wichtig, unseren Besucherinnen und Besuchern zu sagen: Nicht alles, was neu ist, ist automatisch Dilettantismus", sagt Lisa Felicitas Mattheis.

Beim Publikum rennt die Direktorin mit diesem Anliegen offene Türen ein: "Die Zusammenhänge und wie die am Anfang gekämpft haben, um anerkannt zu werden - das ist sehr gut herausgekommen", meint zum Beispiel eine Besucherin. Die Schau "Expressionismus. unverstanden, angegriffen, gefeiert" ist noch bis Ende des Jahres in der Kunsthalle Emden zu sehen.

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Art:
Ausstellung
Datum:
Ort:
Kunsthalle Emden
Hinter dem Rahmen 13
26721 Emden
Preis:
10 Euro, ermäßigt 7 Euro, unter 18 Jahren Eintritt frei 
Öffnungszeiten:
Wochenende und Feiertage: 11 bis 17 Uhr
Dienstag bis Freitag 10 bis 17 Uhr
An jedem ersten Dienstag im Monat bis 21 Uhr
Besonderheit:
Die Ausstellung läuft bis Ende des Jahres
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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 10.02.2024 | 07:20 Uhr

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